Braunschweig. Die Motivation ist vielfältig. In den seltensten Fällen zündeln Feuerwehrleute, sagen Experten. Konkrete Zahlen dazu sind aber rar.

Wird unsere Region verstärkt von Brandstiftern und Brandstifterinnen heimgesucht? Oder ist es Zufall, dass innerhalb von wenigen Wochen nicht nur in Braunschweig, sondern auch in Velpke im Kreis Helmstedt oder in Salzgitter Ermittler Personen festnahmen, die unter dem dringenden Tatverdacht stehen, Feuer gelegt zu haben. Zerstört wurden dabei nicht nur Container und Mülltonnen, sondern auch Autos und Vereinsheime.

Eher wenig Brandstiftungsdelikte in unserer Region

Falle im ermittelten Deliktfeld „Brandstiftungen“ zwischen 2016 und 2020 in Niedersachsen und dem Bereich der Polizeidirektion Braunschweig.
Falle im ermittelten Deliktfeld „Brandstiftungen“ zwischen 2016 und 2020 in Niedersachsen und dem Bereich der Polizeidirektion Braunschweig. © Runo | Runo

Die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) des Landes Niedersachsen zeigt zumindest, dass die Zahl der ermittelten Fälle im Zusammenhang mit Brandstiftung seit Jahren auf einem ähnlich hohen Niveau liegt (siehe Grafik). Das Landeskriminalamt (LKA) stellt hier zwischen 2016 und 2020 keine besonderen Spitzen oder Rückgänge fest. Die Spanne bei den Fallzahlen „Brandstiftung und Herbeiführen einer Brandgefahr – §§ 306-306d, 306f StGB“ – liegt landesweit zwischen 1807 (im Jahr 2017) und 2154 (Jahr 2018).

Die Polizeidirektion Braunschweig, die für unsere Region zuständig ist, hat im selben Zeitraum zwischen 257 und 342 Fälle erfasst. Im Vergleich zu den anderen Polizeidirektionen in Niedersachsen verzeichnete nur die Polizeidirektion Hannover in den letzten fünf Jahren weniger „Brandstiftungs“-Fälle als die Braunschweiger Ermittler. Die Polizeidirektion Göttingen führt in ihrer Fünf-Jahres-Statistik rund 120 Fälle mehr auf als die PD Braunschweig.

Feuerwehr-Präsident: Wir wollen Menschen helfen, nicht in Not bringen

Die Frage, in wie vielen der Fälle von vorsätzlicher Brandstiftung der Täter oder die Täter aus dem Umfeld der Feuerwehr selbst kamen, konnten weder LKA noch das Landesjustizministerium beantworten. Aus dem CDU-geführten Ministerium hieß es, dafür müsste man alle „Brand“-Akten bei den zuständigen Staatsanwaltschaften auswerten. Aus dem niedersächsischen Innenministerium hieß es dazu: Die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik könne zwar ausweisen, wer die Opfer von Kriminalität seien, sie könne aber nicht den Taten bestimmte Tätergruppen zuordnen.

Olaf Kapke, Präsident des Niedersächsischen Landesfeuerwehrverbandes, führt darüber auch keine Statistik. Der Kreisbrandmeister aus Lehre sagt jedoch: „Die allergroße Mehrheit der überführten Brandstifter stammt nicht aus dem Umfeld ehemaliger oder noch aktiver Einsatzkräfte.“ Die Feuerwehr sei wie eine große Familie. „Wenn wir von solchen Taten hören, stößt das natürlich auf völliges Unverständnis. Wir sollen Menschen in ihren Notlagen helfen und sie nicht in diese bringen.“ Brandstiftung passiere aus der unterschiedlichsten Motivation heraus. Dazu zähle neben Profilierungssucht auch Rache. „Es gab Fälle, da fühlte sich jemand vom ganzen Dorf gemobbt. Und es gibt die, die einen Warmabriss bevorzugen, um von der Versicherung noch Geld für ihre Bruchbude zu erhalten.“

Ein Forschungsprojekt aus dem Jahr 2009 an der Ruhr-Universität Bochum scheint die Annahmen Kapkes einer geringen Anzahl von brandstiftenden Feuerwehrleuten zu bestätigen. Der Leiter des Projektes, Frank Dieter Stolt, ging damals davon aus, dass sich unter etwa
1,3 Millionen Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr nur rund 3000 Brandstifter befänden, der prozentuale Anteil also unter einem Prozent liege. Laut Stolt sei allerdings die Außenwirkung in solchen Fällen sehr verheerend. Besonders das Paradox, dass der Helfer zum Täter werde, präge sich in der Öffentlichkeit sehr stark ein. Später verglich Kriminologe Stolt das mit einer Krankenschwester, die Patienten tötet, oder mordenden Polizisten.

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„Brandstifter befriedigen Bedürfnis nach Anerkennung“

Doch warum legen Menschen überhaupt absichtlich Brände? Laut Experten gebe es den typischen Brandstifter nicht, dennoch seien die Täter häufig alleinstehende Männer mit wenig Bildung und psychischen Problemen. Laut Prof. Thomas Bliesener, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, spielt oft ein Machtbedürfnis bei den Tätern eine Rolle. Durch das Legen von Bränden könne dieses Bedürfnis relativ einfach gestillt werden. Der vergleichsweise geringe und gefahrlose Aufwand, etwas in Brand zu setzen, ziehe oft große Reaktionen nach sich. Das beginne mit dem Feuer selbst, das Gaffer und besorgte Anwohner auf den Plan riefe und dann in einem spektakulären Feuerwehr- und Polizeieinsatz gipfele. Dem Täter reiche dann allein das Gefühl, etwas „bewegt zu haben“.

Auch Extremisten nutzen Brandstiftung als Druckmittel. „Die Brände sind dann in der Regel mit einer Forderung verbunden“, so Bliesener. Die Ziele würden bewusst ausgewählt, etwa eine Flüchtlingsunterkunft oder Polizeieinrichtungen. Damit sei dann eine Botschaft verknüpft. „Bei den Opfern einer Brandstiftung ist das Grundbedürfnis nach Sicherheit dann erheblich erschüttert“, erklärt Bliesener. Durch ein Feuer im eigenen Haus werde für die Betroffenen die Gefahr sehr präsent. Diese Erfahrungen würden unterschiedlich verarbeitet. Wie bei einigen Opfern von Einbrüchen, komme es nach gelegten Bränden manchmal auch zu einem Umzug der Betroffenen.

Spektakuläre Brände in unserer Region – eine Chronik

Immer wieder erschüttern Brände und Brandserien unsere Region, zuletzt in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch im Braunschweiger Stadtgebiet. Die Hintergründe und Motive sind vielfältig, auch Feuerwehrleute werden als Täter ermittelt. Der Sachschaden ist oft immens. Eine Auswahl an Fällen:

Juli, 2021, Velpke: Seit November 2020 war es immer wieder zu Brandstiftungen an Autos in Velpke gekommen. Nach intensiven Ermittlungen konnte eine dafür eingerichtete Ermittlungsgruppe der Polizei Helmstedt einen 26-Jährigen festnehmen Gegen ihn besteht dringender Tatverdacht wegen vier vorsätzlich gelegter Brände.

Juni 2021, Salzgitter: Mehr als 20 Mal brennt es seit 2019 in Mehrfamilienhäusern in Salzgitter. Die Polizei nimmt im Juni einen 26-Jährigen fest. Wie viele Brandstiftungen auf sein Konto gehen, wird aktuell ermittelt.

März 2021, Einbeck: Nach einer Serie von Brandstiftungen in Einbeck im Kreis Northeim im vergangenen Sommer wird ein 24 Jahre alter Ex-Feuerwehrmann zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Überzeugung des Göttinger Landgerichts hatte der 24-Jährige vor allem Gartenlauben, Scheunen und Strohballen in Brand gesteckt.

21. September 2019, Meine: Ein 43-Jähriger aus dem Kreis Meine wird verhaftet. Im Juli 2020 wird er vor dem Landgericht Hildesheim wegen insgesamt neunfacher Brandstiftung, achtmal schwere Brandstiftung, zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der Verurteilte legte Berufung ein. Das Urteil ist mittlerweile durch das BGH rechtskräftig.

September 2018, Kreis Helmstedt: Eine Brandserie – unter anderem in einer Kleingartensiedlung – die seit Ende 2016 Polizei und Feuerwehr in Atem hält, endet mit der Festnahme eines 45-jährigen Helmstedters.

Juli 2017, Bad Harzburg: In Bad Harzburg wird ein 20-jähriger Feuerwehrmann auf frischer Tat ertappt. Er muss sich später vor dem Landgericht Braunschweig verantworten. Die Anklage lautet Brandstiftung in zwölf Fällen. Bis zum Prozessauftakt befindet sich der Mann in psychiatrischer Behandlung.

Salzgitter, August 2015: Die Polizei nimmt zwei Männer (22 und 24 Jahre) fest, die für eine Vielzahl von Bränden in Lebenstedt und Bad verantwortlich gemacht werden. Einer von ihnen ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Salzgitter-Bad. Er gilt für die Ermittler als Haupttäter, der andere Festgenommene wird wenig später freigelassen.

Dezember 2013, Braunschweig: Ende einer spektakulären Serie: Ein 21-jähriger Feuerwehrmann gesteht, 26 Brände gelegt zu haben. Container, Autos, später einen Wohnwagen zündete er an. Er ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und zum Teil selbst an den Löscharbeiten beteiligt. Braunschweigs damaliger Kripo-Chef Ulf Küch spricht von sehr aufwendigen Ermittlungen. Eine eingerichtete Soko ermittelt: Küch: „Uns ging es darum, die Bevölkerung zu schützen. Denn ein Feuer ist niemals steuerbar. Es kann zur Katastrophe führen.“

Juli 2011, Wolfsburg-Sülfeld: Bei einem Feuer in einem Schweinestall nahe Sülfeld kommen bis zu 1000 Tiere um, 90 Feuerwehrleute befinden sich im Einsatz. Der Schaden wird damals auf etwa 230.000 Euro geschätzt. Als Ursache stellt sich später ein technischer Defekt heraus.