Veltheim (Ohe). Bei einer Veranstaltung der Initiative „Land schafft Verbindung“ in Veltheim gibt es viel Diskussionsbedarf mit Bundestagskandidaten der Region.

Immer mehr Auflagen, immer weniger Wertschätzung, eine unsichere Zukunft – so sehen viele Landwirte zwischen Harz und Heide ihre aktuelle Lage. Das wurde am Dienstagabend bei einer Podiumsdiskussion mit Bundestagskandidaten verschiedener Parteien aus der Region deutlich. Die Basisbewegung der Landwirte „Land schafft Verbindung“ (LSV) Braunschweiger Land hatte unter dem etwas provokanten Titel „Bauer sucht Partei – wen können wir (noch) wählen?“ auf den Hof Sell nach Veltheim geladen. Trotz des parallel stattfindenden EM-Achtelfinalspiels der deutschen Fußball-Nationalmannschaft verfolgten mehr als 100 Zuhörer aus Landwirtschaft und Landjugend die Diskussion und beteiligten sich daran intensiv. Schon allein das zeigt die Brisanz der Veranstaltung.

Ein Thema, das den Landwirten aus der Region besonders unter den Nägeln brennt, ist das vor gut einer Woche mit den Stimmen der Regierungsparteien beschlossene Insektenschutzgesetz/Bundesnaturschutzgesetz. Dieses geht aus Sicht der Bauern nur zu Lasten der Landwirtschaft. Es sieht unter anderem vor, zusätzliche Gebiete unter einen besonderen Schutz zu stellen, die wichtige Lebensräume für Insekten sind: Wiesen mit verstreut stehenden Obstbäumen, artenreiche Weiden, Steinriegel und Trockenmauern. Zudem soll in vielen Schutzgebieten der Einsatz insektenschädlicher Chemikalien wie Holzschutzmittel eingeschränkt werden. Auch nächtliche helle Lichtquellen als „Insektenfallen“ sollen verhindert werden.

Bundestagskandidaten aus der Region diskutierten intensiv bei einer Podiumsdiskussion von „Land schafft Verbindung“ (LSV) auf dem Hof Sell in Veltheim (Ohe) (von links): Dunja Kreiser (SPD), Anika Lilienthal (FDP), Anikó Merten (FDP), Max Weitemeier (FDP), Thomas Schellhorn (FDP, verdeckt, links daneben Henrik Meyer von LSV), Carsten Müller (CDU), Holger Bormann (CDU), Ingrid Pahlmann (CDU),  Andreas Weber (CDU), Claudia Bei der Wieden (Grüne) und Henrik Werner (Grüne). Im Vordergrund mit Mikro bei der Begrüßung: Landwirt Christian Sell.
Bundestagskandidaten aus der Region diskutierten intensiv bei einer Podiumsdiskussion von „Land schafft Verbindung“ (LSV) auf dem Hof Sell in Veltheim (Ohe) (von links): Dunja Kreiser (SPD), Anika Lilienthal (FDP), Anikó Merten (FDP), Max Weitemeier (FDP), Thomas Schellhorn (FDP, verdeckt, links daneben Henrik Meyer von LSV), Carsten Müller (CDU), Holger Bormann (CDU), Ingrid Pahlmann (CDU),  Andreas Weber (CDU), Claudia Bei der Wieden (Grüne) und Henrik Werner (Grüne). Im Vordergrund mit Mikro bei der Begrüßung: Landwirt Christian Sell. © Kerstin Kalkreuter

Glyphosat ist ab 2024 komplett verboten

Als zweiter Teil des Pakets treffen die Landwirte die neuen Vorgaben für Pflanzenschutzmittel. Generell sollen diese nahe größeren Flüssen und Seen demnach nur noch mit Mindestabständen von fünf bis zehn Metern eingesetzt werden. Zudem darf der Unkrautvernichter Glyphosat auf Äckern nur noch stark eingeschränkt verwendet werden. Ab 1. Januar 2024 ist dann damit komplett Schluss.

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Als Ausgleich will der Bund zusätzliche 65 Millionen Euro zweckgebunden für Höfe anbieten, die dadurch Mehrkosten haben. Insgesamt stehen über ein Bund-Länder-Programm für Insektenschutzleistungen 250 Millionen Euro zur Verfügung.

Gesetz als Kompromiss

„Wir haben seit Monaten um das Paket gerungen“, sagte die Bundestagsabgeordnete Ingrid Pahlmann (CDU) aus Gifhorn. Ein Grund sei unter anderem der schwierige Koalitionspartner SPD gewesen. Sie habe dem Gesetz nur zugestimmt, um Schlimmeres zu verhindern. So gebe es nun etwa zusätzliche Erschwernisausgleiche. „Ein Ausgleich da, wo man Einbußen hinnehmen muss.“ Zudem wäre die Pflanzenschutz-Anwendungsvereinbarung in jedem Fall vom Bundesrat beschlossen worden. „Naturschutz und Insektenschutz gehen nur mit den Landwirten“, stellte sie heraus. Durch dieses Gesetz könne der Niedersächsische Weg fortgeführt werden.

„Es ist ein Kompromiss mit Verbesserungen für die Landwirtschaft“, sagte Pahlmann. Ihr Parteikollege Carsten Müller aus Braunschweig unterstrich: „Es heißt nicht, dass dieses Gesetz in Stein gemeißelt ist.“

Thema Agrarsubventionen

Abgelehnt wurde das Gesetz unter anderem von den Grünen. Auf die Frage von Moderator Christian Linne vom LSV, ob die Grünen denn keinen Insektenschutz wollten, ging Henrik Werner (Gifhorn-Peine) nicht direkt ein. Er forderte vielmehr: „Für gesellschaftliche Leistungen muss es auch Geld von der Gesellschaft geben.“ Kleinere Höfe müssten unterstützt werden.

Christdemokrat Andreas Weber (Helmstedt-Wolfsburg) stellte später mit Interesse fest, dass in diesem Punkt die Positionen von Grünen und Union nahe zusammenliegen. „Es muss einen Ausgleich für Landwirte geben, wenn die Weltmarktpreise dies nicht mehr hergeben“, sagte er. Auch Sozialdemokratin Dunja Kreiser (Salzgitter-Wolfenbüttel) betonte, dass es nicht funktioniere, wenn die Landwirtschaft nur über den Markt gehe.

Die Vertreter der Liberalen wollen diese Subventionen eher abschaffen. „Ziel muss es sein, dass Sie unabhängig vom Staat sein können“, sagte etwa Max Weitemeier (Salzgitter-Wolfenbüttel) den Zuhörern. Dafür müssten politisch die entsprechenden Bedingungen geschaffen werden. Moderator Linne betonte: „Ich möchte als Landwirt nicht von Subventionen leben. Aber anders geht es im Moment nicht.“ Dafür gab es Zustimmung von den anderen Landwirten.

Bei einer Podiumsdiskussion von „Land schafft Verbindung“ mit Bundestagskandidaten aus der Region am 29. Juni 2021 auf dem Hof Sell in Veltheim (Ohe) hatten die Landwirte einige Forderungen auf ihren Traktoren angebracht.
Bei einer Podiumsdiskussion von „Land schafft Verbindung“ mit Bundestagskandidaten aus der Region am 29. Juni 2021 auf dem Hof Sell in Veltheim (Ohe) hatten die Landwirte einige Forderungen auf ihren Traktoren angebracht. © Kerstin Kalkreuter

Landwirte fordern EU-weite Standards

Einige Bauern bemängelten, dass sich Gesetze und Vorgaben ständig veränderten und teilweise widersprechen würden. „Wir befinden uns in der Quadratur des Kreises“, beschwerte sich eine Landwirtin. So müsste etwa der Schweinestall ständig umgebaut werden, um den Vorgaben zu entsprechen. Zudem: „Es ist eine Zumutung, was an Zeit im Büro verbracht werden muss.“ Sie kritisierte, dass es nicht einmal in allen Bereichen der Landwirtschaft EU-weite Standards gebe.

„Wir stehen dafür, dass mindestens EU-weit einheitliche Rahmenbedingungen gelten etwa in Bezug auf Tierwohl und Tierhaltung“, sagte FDP-Kandidat Thomas Schellhorn aus Vechelde. Auch die Vertreter der anderen Parteien unterstrichen, dass Standards auf EU-Ebene festgelegt werden müssen.

Fehlender Dialog trotz Treckerdemos?

Ein anderer Landwirt bemängelte, dass es trotz der Treckerdemos unter anderem in Berlin keinen Austausch mit der Politik gegeben habe. Dem widersprachen die Kandidaten teilweise. „Wir stellen uns dem Austausch“, sagte etwa Ingrid Pahlmann. Der Landwirt kritisierte zudem die Einspeisevergütung für Photovoltaikanlagen auf landwirtschaftlichen Flächen. Diese sei nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) höher als für die von Dachflächen. Damit würden unnötig Flächen versiegelt. Sozialdemokratin Kreiser merkte an, dass sie das EEG reformieren würde. FDP-Kandidat Weitemeier ging einen Schritt weiter: „Ich würde das EEG abschaffen“ sagte er.

Zum Abschluss der fast dreistündigen Diskussion sollten die Kandidaten ihre Vision der Landwirtschaft im Jahr 2030 vorstellen. Der Wunsch vieler Beteiligter: Dass die Höfe in der Region auch in den kommenden Jahren noch so vorhanden sind.