Braunschweig. Der Soziologe und Buchautor Sacha Szabo erklärt die klassische Rollenverteilung am Grillabend – und warum Grillen immer auch Show ist.

Zeige mir, wie Du grillst, und ich sage Dir wer Du bist. Fragt man den Soziologen Sacha Szabo, dann ist der Grillabend eine Theateraufführung mit festen Regeln und verteilten Rollen. Im Interview erklärt der Freiburger Forscher, wann das Grillen seinen Siegeszug antrat und warum es weiter boomt. Und er spricht über den Gewissenskonflikt des Grillfans – zwischen Tofuwürstchen-Vernunft und der Magie des blutigen Rindersteaks.

Wie kamen Sie darauf, sich ausgerechnet dem Thema Grillen wissenschaftlich zu nähern?

Ich hatte schon immer ein Interesse für die vermeintlich banalen Dinge des Alltags. Dabei haben mich immer die Phänomene begeistert, bei denen sich Menschen zu Gemeinschaften verbinden. Dazu zählen Vergnügungen, Feste – und eben auch das Grillen.

Wann hat sich unsere Form des Grillens entwickelt?

In Deutschland wird seit Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre so gegrillt, wie wir es heute kennen. Erst als der Elektroherd Einzug hält und das offene Feuer schrittweise aus der Küche vertrieben wird, wird das Grillen zu etwas Besonderem – zu einem Ereignis, bei dem die Essenszubereitung sinnlich erfahrbar wird. Sie wird sichtbar zelebriert, man nimmt die Wärme wahr, den Rauch, den Grillduft.

So verstanden ist das Grillen eine Gegenbewegung zur Modernisierung des Alltagslebens.

Genau. Diese Gegenbewegung äußert sich auch darin, dass manche Regeln der Tisch-Etikette beim Grillen aufgehoben sind. Man isst mit den Händen, und auch die Speisen dürfen ruhig ein bisschen rustikaler ausfallen. Das Grillgut darf – zumindest kenne ich das so aus meiner Jugend – auch mal ein bisschen

Der Soziologe Sacha Szabo nimmt Alltagskultur in den Blick – auch das Grillen. Er sagt: „Die Grillschürze ist das Herrschaftsornat des Grillmeisters, Grillzange und Grillgabel sind seine Insignien.“
Der Soziologe Sacha Szabo nimmt Alltagskultur in den Blick – auch das Grillen. Er sagt: „Die Grillschürze ist das Herrschaftsornat des Grillmeisters, Grillzange und Grillgabel sind seine Insignien.“ © Privat | Conny Ehm

verbrannt sein. Auf dem Teller wurde das Fleisch dann mit etwas merkwürdigen Grillsoßen übertüncht, die nach der Grillsaison immer wieder für ein halbes Jahr in der hintersten Kühlschrankecke verschwinden. Ich bin mir nicht mal mehr sicher, ob das immer wirklich gut geschmeckt hat, aber diese Abende waren trotzdem etwas Besonderes.

Unterm Strich haben Sie diese Abende in positiver Erinnerung?

Ja, aber das betrifft eher die Abende als solche. Den Nackensteaks, die ich damals gegessen habe, trauere ich nicht hinterher.

Sie haben als Ursprung des Grillens in Deutschland die Zeit um 1970 genannt. Kam das damals aus den USA?

Wir haben in den USA eine deutlich ältere Grilltradition – das Barbecue. Hierbei wird allerdings ein anderer Grill verwendet, bei dem das Grillgut eher indirekt mit dem Feuer in Kontakt kommt. Die Besonderheit des Barbecues liegt darin, dass es eine Art des Fests ist. Seine Stellung lässt sich mit Straßen- oder Nachbarschaftsfesten vergleichen. Da trifft sich eine Gemeinschaft zum Essen. Ab den 60er Jahren allerdings verändern sich die traditionellen Familien- und Gemeinschaftsgefüge zunehmend und werden durch neue Modelle abgelöst.

...zum Beispiel von der klassischen Kernfamilie mit Auto, Eigenheim und eigener Terrasse, auf der gegrillt wird. Kommt diese Art zu Grillen auch aus den USA?

Was Sie beschreiben, kennen wir alle bestens aus US-Fernsehserien wie King of Queens. Grillabende nehmen da eine zentrale Rolle ein. Grillen zählt zu den Trends, die in der Nachkriegszeit aus Amerika zu uns herübergeschwappt sind – genauso wie Kaugummikauen oder Jeanshosen. Die USA waren damals eben eben auch massenkulturell die Hegemonialmacht. Übernommen wurden spannenderweise vor allem solche Phänomene, die einen gewissen Lässigkeitsfaktor hatten. Das Grillen war damals auch ein Gegenentwurf zum althergebrachten förmlichen Abendessen, bei dem es hochkontrolliert zugeht und wo man sich keinen Fauxpas erlauben darf. Wir kennen das heute noch von manchen Geschäftsessen. Das Grillen dagegen war ungezwungen. Auf den zweiten Blick folgt es aber ebenfalls festen Regeln.

Wie sehen diese Regeln aus?

Wenn wir das Grillen mal als Theaterstück betrachten, dann stellen wir fest, dass es eine Rollenverteilung gibt. Wir sehen eine Show, bei der sich der Mann als Ernährer seiner Sippe inszenieren darf. Der Grillmeister hat eine prominente Stellung: als Beherrscher des Feuers, als Meister der Technik. Die Grillschürze ist sein Herrschaftsornat, Grillzange und Grillgabel sind seine Insignien – Zepter und Reichsapfel sozusagen.

Aber tatsächlich ist das, was am Grill passiert, nur ein kleiner Teil der Grill-Arbeit.

In der Soziologie unterscheiden wir zwei Arten Arbeit. Die produktive Arbeit, also etwas herzustellen oder zu bauen, genießt gemeinhin eine höhere Anerkennung als die reproduktive Arbeit – zum Beispiel pflegen, putzen, Kinder erziehen. Letztere Tätigkeiten werden oft als Frauenarbeit abgetan und meist schlechter bezahlt. Beim Grillen wird die produktive Arbeit des Grillens prominent sichtbar inszeniert – ähnlich wie bei

Old School: Grillen mit Alu-Einweggrills im Park.
Old School: Grillen mit Alu-Einweggrills im Park. © dpa | Sebastian Gollnow

Fernsehköchen in Kochshows. Da wird ein möglichst mächtiges Stück Fleisch stolz präsentiert und mit der Grillgabel mit großer Geste auf den Rost gelegt. Die weniger effektvolle, dafür effizientere Arbeit – das Einkaufen, das Vorbereiten der Beilagen und Salate, der Abwasch – findet dagegen im Verborgenen statt und wird meist von anderen erledigt. in der Regel von Frauen. Aber damit man mich nicht falsch versteht: Natürlich ist die Rolle des Grillmeisters nicht biologisch, sondern sozial eingebettet. Frauen können sie mit dem gleichen Bierernst einnehmen wie Männer. In der Realität erlebe ich das Grillen übrigens so, dass diese Rollen zunehmend spielerisch interpretiert werden.

Welches Spiel meinen Sie?

Grillen ist eine Art Live-Rollenspiel. Vielleicht kann man das mit dem Oktoberfest vergleichen. Da zwängen sich die Männer in die Lederhosen und die Frauen in die Faschingsdirndls. Aber authentisch ist daran gar nichts. Genauso kennen wir alle dieses Neandertaler-Motiv beim Grillen: Fred Feuerstein und Barney Geröllheimer ziehen mit der Keule los, erschlagen ein Mammut und braten es für die Sippe über dem Feuer. Dieser Mythos hat allerdings mehr mit Vorstellungen von der bürgerlichen Familie zu tun als mit der Realität der Steinzeit. Aber obwohl wir das wissen, begeben wir uns bereitwillig, manchmal augenzwinkernd, in diese Rollen – sei es die des Grill-Zeremonienmeisters oder des staunenden Publikums.

Welche Rolle spielen denn die teuren, immer ausgefeilteren Grills?

Wenn ich früher als Student mit Freunden gegrillt habe, haben wir uns an der Tankstelle einen dieser ökologisch inkorrekten Einweggrills gesorgt, irgendwelche Würstchen und Bier gekauft und uns damit an den Baggersee gesetzt. Die heutigen beeindruckenden Grillstationen sind dagegen High-Tech-Geräte und prestigeträchtige Statussymbole. Wenn man heute mit seinem Weber-Grill den Luxus-Grillduft durch die Straße wabern lässt, setzt man damit ein Statement.

Ist Grillen auf dem Balkon erlaubt?

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    Wird denn das Versprechen dieser Grills in der Realität eingelöst?

    Sicherlich kann man auf einem Weber-Grill komplizierte Sterne-Menüs grillen. Aber wer auf einem solchen Gerät grillt, möchte es auch vorführen. Wenn man dann noch ein teures Wagyu-Rindersteak auf den Rost legt, steigt das Prestige noch. Aus meiner Sicht ist der Hi-Tech-Grill das gastronomische Äquivalent zum Laubbläser. Bei letzterem bin ich mir auch nicht sicher, ob er wirklich effektiver ist als die gute alte Laubharke. Wer ihn nutzt, lässt aber alle Nachbarn unüberhörbar daran teilhaben, dass hier gearbeitet wird. Als Soziologe weiß man: Arbeit derart imposant zu inszenieren, kann auch ein Mittel sein, sich vor ihr zu drücken. (lacht)

    Mitunter wird aus dem Grillen heute eine regelrechte Wissenschaft gemacht. In Kühl-Vitrinen der Supermärkte wird trockengereiftes Fleisch zu stolzen Preisen feilgeboten: Das Warenangebot ums Grillen wird immer luxuriöser. Wie ordnen Sie das ein?

    Hi-Tech: Teilnehmer der Deutschen Grillmeisterschaften 2018.
    Hi-Tech: Teilnehmer der Deutschen Grillmeisterschaften 2018. © picture alliance/dpa | Swen Pförtner

    Die Angebote zeigen, dass das Grillen mittlerweile eine gewisse kulturelle Höhe erreicht hat. Das Bild des rauchenden Malochers, der im Unterhemd vorm Einweggrill sitzt und sein Nackensteak mit Flaschenbier begießt, wird abgelöst von einem gepflegten Typen, den der Journalist Carsten Otte als „gastrosexuellen Mann“ bezeichnet. Und da das Grillen mittlerweile so stark auf Showeffekte angelegt ist, lässt es sich auch wunderbar in den Sozialen Medien teilen: Das teure Wagyu-Steak, die Marinaden, die Grillstation kann man dort wunderbar vorführen – und zwar einem Publikum, das um ein Vielfaches größer ist als bei einem Grillabend.

    Was sagt uns der Erfolg lifestyliger Männermagazine wie „Beef“?

    Es gibt ja eine ganze Reihe solcher Grill- und Fleisch-Zeitschriften, die sich vorrangig an männliche Leser richten. Es ist interessant, wie unterschiedlich dort und in Frauenzeitschriften übers Grillen geschrieben wird. Für die Männer muss das Fleisch groß und blutig sein. Als Beiwerk kommen höchstens Fleur de Sel und grob geschroteter Pfeffer hinzu. Als Grillgut für Frauen hingegen wird Gemüse, Tofu oder weißes Fleisch präsentiert. Frauen wird Gesundheit und Vernunft zugeschrieben, während dem Mann eine gewisse archaische Unvernunft zugestanden wird. Aber letztlich stecken wir alle tagtäglich in diesem Konflikt: Einerseits wissen wir, dass die veganen Bratwürstchen in puncto Nachhaltigkeit irgendwie vernünftiger wären. Andererseits ist da die Magie, die von einem großen Stück blutigen Fleisches ausgeht.

    Und nun?

    Dann kommt der Grillabend. Und plötzlich lassen wir diese ganzen Widersprüche hinter uns. Genau das macht den Grillabend als Auszeit so besonders. Für einen kurzen Moment kann man die Komplexität des Alltags hinter sich lassen und wohlig in eine Art zivilisatorischen Regress eintreten. Für einen kurzen Moment lebt man in einem vormodernen Mythos.

    Der große Grill-Ratgeber- Der Seitenkocher // IMTEST

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      Zur Person

      Dr. Sacha Szabo (52) ist Literaturwissenschaftler und Soziologe. Er ist Mitbegründer des Instituts für Theoriekultur, eines Zusammenschlusses von Forschern, die sich Alltags- und Unterhaltungsthemen widmen.

      Szabo ist Mitherausgeber des Sammelbands „BBQ: Grillen – eine Wissenschaft für sich“ (Marburg 2014)