Braunschweig. Mehrere Grüne aus unserer Region loben ruhigen Entscheidungsprozess. Doch es gibt auch Selbstkritik: Partei darf nicht nur Akademiker ansprechen.

Auch wenn Robert Habeck vor Annalena Baerbock die Bühne betritt und zuerst das Wort ergreift, ist es doch ihr Moment: Annalena Baerbock wird Kanzlerkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen. Auch die Grünen aus unserer Region reagieren auf diese Entscheidung.

Beide Kandidaten kommen gut an

„Dass Annalena unsere Kandidatin ist, finde ich großartig. Nicht nur in der Partei hat sie völlig zurecht große Rückendeckung“, so die Gifhornerin Imke Byl, die für die Grünen im Niedersächsischen Landtag sitzt. Die Sprecherin der Wolfsburger Grünen, Elke Braun, zollt der Entscheidung Respekt. Sie sei froh, dass sie die Entscheidung nicht treffen musste. Auch Henrik Werner zeigt sich im Namen des Kreisvorstandes der Grünen in Gifhorn zufrieden damit, dass diese Entscheidung in einem starken Team getroffen wurde. „Ohne jegliche Zweifel unsererseits wären beide für diese Position geeignet“, so Werner.

Stefanie Weigand, Co-Sprecherin des Kreisverbands Peine und Kandidatin für das Amt der Landrätin, sagt: „Meine Favoritin war Annalena Baerbock. Sie ist eine unglaublich kraftvolle Frau, die weiß was sie will und die sich in den letzten Jahren auch in Krisensituationen als Führungskraft bewährt hat“, so Weigand. Wer schon einmal erlebt hätte, wie Baerbock mit ihren Reden einen Saal zum Kochen bringe könne, sei begeistert von ihrer unglaublichen Energie. Und auf Robert Habeck verzichten müsse man ja auch nicht. „Ich bin mir sicher, dass die beiden weiterhin im Team arbeiten werden und Robert Habeck mit seinen Kompetenzen zur Verfügung stehen wird. Leider sind wir in Deutschland noch nicht so weit, dass wir eine Doppelspitze im Kanzlerinnenamt haben können.“

Es gibt auch Team Habeck

Bernd Hauck ist Team Habeck.
Bernd Hauck ist Team Habeck. © Privat

Doch es gibt auch Grüne, deren Favorit Robert Habeck war. Einer von ihnen ist Bernd Hauck, der als einziger Grüner Mitglied im Lengeder Gemeinderat ist. „Habeck schätze ich, weil er ,Nachdenklichkeit’ als politische Tugend in den Regierungsalltag einbringen würde und dabei trotzdem geradlinig wichtige Reformprojekte verfolgt und realisiert. Annalena Baerbock den Vortritt zu lassen, zeugt von Größe und macht Habeck eher größer als kleiner.“ Das Doppelgespann solle nicht nur im Wahlkampf gemeinsam auftreten, sondern auch bei der Übernahme von Regierungsverantwortung zusammenarbeiten: Idealerweise solle Habeck dann als Kanzleramtsminister grüne Regierungsarbeit organisieren, wünscht sich Hauck.

Viola von Cramon-Taubadel, die für den Wahlkreis Goslar-Northeim-Osterode in den Bundestag gezogen ist und nun im Europaparlament sitzt, lobt das Führungsduo ebenfalls. Mit ihrem kooperativen Führungsstil hätten sie zu guten Umfragen geführt und damit eine neue Ära für die Partei eingeleitet.

Ein stiller Prozess

Einig sind sich die Grünen bei der Bewertung des Entscheidungsprozesses. „Er war harmonisch, da es um die Sache und nicht um persönliche Eitelkeiten ging“, sagt Ulrike Siemens, Co-Sprecherin der Wolfenbütteler Grünen. Harald Wintjen von den Grünen aus Salzgitter lobt die Souveränität der Entscheidung und Völker Möll, Kreisvorsitzender im Landkreis Helmstedt, wie geschlossen entschieden wurde. Die Entscheidung muss jedoch noch auf der Bundesdelegiertenkonferenz im Juni beschlossen werden.

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„Während sich andere Parteien im Kampf um die Kanzlerkandidatur regelrecht zerlegen, haben wir Grünen einen vertrauensvollen und von der Breite der Partei mitgetragenen Entscheidungsprozess erlebt“, so von Cramon-Taubadel. Höchst professionell habe der Bundesvorstand bewiesen, dass die Grünen die Brisanz der Lage erkannt haben und sich statt interner Machtkämpfe lieber der inhaltlichen und politischen Arbeit widmen wolle.

Kritik an der Union

Stefanie Weigand hofft auf eine Kanzlerin Baerbock.
Stefanie Weigand hofft auf eine Kanzlerin Baerbock. © Grüne

Vor allem im Vergleich mit der Kandidatensuche bei der CDU/CSU – CDU-Chef Armin Laschet und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder liefern sich einen offenen Machtkampf – sehen sich die Grünen als die vernünftigere Partei. „Das, was die CDU und CSU gerade abliefern ist ein Trauerspiel. Ich finde es nicht angemessen, sich in einer Krisensituation in einer so elementaren Frage so zu geben. Ich glaube, das führt auch zu Politikverdrossenheit“, so die Peiner Co-Sprecherin Weigand. „Unseren Prozess habe ich zu 100 Prozent gegensätzlich zu dem der Union wahrgenommen. Habeck und Baerbock haben sich da besonnen gegeben.“

Eine grüne Kanzlerin Baerbock?

Zum ersten Mal, seit sie grün wählt, schätzt Elke Braun die Chancen, dass die Grünen eine Regierung führen könnten, als realistisch ein. Es ist das erste Mal, dass die Partei eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten stellt. Sascha Poser von den Wolfenbütteler Grünen sagt dazu: „Wir haben auf die Herausforderungen der Gegenwart die überzeugendsten Antworten und das spüren die Wähler und Wählerinnen. Es ist also alles drin! Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, den Führungsanspruch geltend zu machen.“ Auch Ulrike Siemens sieht das so. Neben Corona seien die drängenden Probleme der heutigen Zeit die Klimakrise und das Artensterben – und hierfür sei das Bewusstsein in der Mitte der Bevölkerung angekommen.

Mit einer Union, die sich selbst zerlege, und einer SPD, die nicht aus ihrem Tief komme, werde deutlich, dass die großen Parteien sich neu erfinden müssten, so Möll. „Derzeit scheint es mir so, dass die Grünen die frischste Partei sind, die zur Wahl steht. Dazu passt die Kandidatin Annalena sehr gut.“ Außerdem, so Julia Willie Hamburg, Fraktionsvorsitzende im Landtag, seien die Grünen beim Kampf um die Kanzlerinnenschaft so geschlossen wie keine andere Partei.

Ein Wechsel muss her

„Die Korruptionsskandale der CDU/CSU, die Planlosigkeit der Regierung in der Pandemie und die Mutlosigkeit der Großen Koalition haben gezeigt, dass es Zeit für einen Wechsel ist. Neue Wege in eine gerechtere und klimaneutrale Zukunft sowie ein handlungsfähiges Europa sind für uns besonders wichtig“, sagt von Cramon-Taubadel.

Viola von Cramon-Taubadel sitzt für die Grünen im Europaparlament.
Viola von Cramon-Taubadel sitzt für die Grünen im Europaparlament. © Grüne

Es gehe darum, die großen Herausforderungen der Zukunft zu meistern – gemeinsam. Annalena Baerbock verkörpere dies wie keine andere, so Julia Willie Hamburg. „Sie hat zurecht heute sehr deutlich gemacht: Wir haben lange genug gehört, warum vieles nicht geht. Es geht darum, eine zukunftsfähige starke und klimagerechte Wirtschaft zusammenzudenken und endlich die sozialen Voraussetzungen zu schaffen, damit niemand in diesem Umbruch unter die Räder kommt und die beschämende Armut in unserem reichen Land zu beenden. Es muss jetzt darum gehen, was alles möglich ist.“ Für Henrik Werner macht die Klimakrise diese Wahl zur entscheidenden Wahl für unsere Zukunft.

Die nächste Regierung sei nämlich die letzte, die das Ruder in Sachen Klima wirklich herumreißen könne, so Byl aus dem Niedersächsischen Landtag. „Die Bundesrepublik braucht dringend einen Politikwechsel. Nach dann 16 Jahren Merkel-Regierung gibt es einen riesigen Reformstau.“

So müssen sich die Grünen ändern

Doch von allein kommt ein solcher Politikwechsel nicht. Das wissen die Grünen – und schlagen selbstkritische Töne an. Annalena Baerbock müsse nun, insbesondere um für Wechselwähler attraktiv zu werden, weniger laut und rechthaberisch auftreten und versuchen, die fehlende Regierungserfahrung durch inhaltlich fundierte und souverän vorgetragene Meinungsäußerungen zu kompensieren, so Hauck aus dem Lengeder Gemeinderat.

„Wir dürfen nicht zulassen, dass die Gesellschaft weiter auseinanderdriftet. Wenn wir es nicht schaffen, näher zusammenzurücken, werden die Krisen nicht zu bewältigen sein“, so Weigand von den Peiner Grünen. „Ich will, dass nicht nur Akademiker und Akademikerinnen sich angesprochen fühlen. Jede Arbeiterin und jeder Arbeiter soll merken, dass es sich lohnt, grün zu wählen. Weil diese Zukunft unsere gemeinsame Zukunft ist.“

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