Braunschweig. Der Schacht in Salzgitter ist ungeeignet, die Pläne sind veraltet. Das sagen Gutachter, die von Stadt, Landvolk und IG Metall bestellt wurden.

Das altbewährte Bündnis aus der Stadt Salzgitter, der Gewerkschaft IG Metall und dem Landvolk aus unserer Region hat einen neuen Anlauf unternommen, um sich gegen das geplante Atommüll-Endlager Schacht Konrad zu stemmen. Das Bündnis forderte einen sofortigen Baustopp des Endlagers in Salzgitter, das ab 2027 Atommüll aus ganz Deutschland aufnehmen soll.

Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel (CDU) sagte laut Mitteilung: „Solange nicht bewiesen ist, dass Schacht Konrad den heutigen Anforderungen an ein tiefengeologisches Lager für radioaktive Abfälle entspricht, dürfen keine weiteren Fakten geschaffen und keine weiteren Gelder in der Tiefe versenkt werden.“ Das Bündnis stellte die Ergebnisse von zwei Experten vor, dem Geologen Jürgen Kreusch und dem Physiker Wolfgang Neumann, die die 2020 veröffentlichten Ergebnisse des Betreibers bewerten sollten. Betreiber ist die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) mit Sitz in Peine.

Das geplante Endlager wurde vor fast 20 Jahren genehmigt

Das Atomgesetz schreibe die Anwendung des Standes von Wissenschaft und Technik vor, sagte der Physiker Neumann. Bei Schacht Konrad stammten wichtige Kriterien aber noch aus den 80er Jahren. „Die Gutachter der Bundesgesellschaft für Endlagerung stützen ihre Bewertungen wesentlich auf die zum Zeitpunkt der Begutachtung gültigen Gesetze und Verordnungen sowie die längst überholten Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle von 1983“, führt Neumann an. Dadurch würden die Ergebnisberichte aus 2020 dem selbst gestellten Anspruch eines Vergleichs mit dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik nicht gerecht.

Hier befindet sich Schacht Konrad.
Hier befindet sich Schacht Konrad. © Jürgen Runo

Beispielsweise habe sich seit dem Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 2002 die Einschätzung des Gesundheitsrisikos durch Radon erhöht, einem radioaktiven chemischen Element. Der Planfeststellungsbeschluss ist so etwas wie die endgültige Genehmigung. Doch auch diese Genehmigung ist schon wieder fast 20 Jahre alt. Wenn der erste schwach- und mittelradioaktive Atommüll ab 2027 in Konrad eingelagert werden soll, werden bereits 25 Jahre vergangen sein.

Ehemaliger stellvertretender Konrad-Leiter unterstützt den Protest

Geologe Kreusch kritisiert, dass die BGE-Gutachter sich nicht die Frage gestellt haben, wie man nach heutigem Stand von Wissenschaft und Technik beim Langzeitsicherheitsnachweis für das geplante Endlager Schacht Konrad vorgehen würde. Es würde sich dann beispielsweise auch die Frage stellen, ob das bereits seit Beginn der 80er Jahre vorliegende Modellgebiet die realen Verhältnisse ausreichend gut abbildet – oder ob man zu einem realitätsnäheren Modellgebiet käme, wenn man beispielsweise die heute übliche hochauflösende 3-D-Seismik einsetzen würde.

Diese weitaus modernere Technik hat die BGE zum Beispiel beim Atommüll-Lager Asse bei Wolfenbüttel vor ein bis zwei Jahren verwendet. Mittels Tausender kleiner Sprengungen im Boden der Asse hat die BGE Schallwellen erzeugt, die einen viel besseren Aufschluss über den Untergrund geben – und somit auch über die Standortsicherheit eines alten Bergwerks wie der Asse und auch Schacht Konrad.

Massive Kritik am geplanten Endlager Schacht Konrad erhebt auch ein ehemaliger Beteiligter. Volker Eyssen war zwischen 1984 und 1990 in leitenden Funktionen bei Konrad beschäftigt, in den letzten drei Jahren davon als stellvertretender Werkleiter. Er sagte unserer Zeitung auf Anfrage zum vorgelegten Gutachten des Anti-Konrad-Bündnisses: „Der geforderte Baustopp ist berechtigt.“

Der Wissenschaftsrat übte massive Kritik

Eyssens Einschätzung birgt durchaus Sprengkraft, denn er war einst im inneren Zirkel der Verantwortlichen. Bereits seit den 1960er Jahren gebe es in Deutschland DIN- und kerntechnische Regelwerke, so Eyssen. Diese würden ständig neuen Standards angepasst. Mit Blick auf Schacht Konrad gelte aber: „Die Verantwortlichen haben diese Regelwerke nicht angewendet.“ Eyssen erhebt angesichts der Sensibilität, die gerade bei einem Atommüll-Endlager angebracht wäre, einen schweren Vorwurf. Er sagte: „Bei Schacht Konrad hat eine Qualitätssicherung nur rudimentär stattgefunden.“ Und noch etwas: „Die geologischen Unterlagen für den Planfeststellungsbeschluss im Jahr 2022 waren nicht vollständig“, so der Ex-Konrad-Stellvertreter.

Diese Kritik Eyssens deckt sich im Wesentlichen mit einer Studie des Wissenschaftsrats aus dem Jahr 2006. Der Wissenschaftsrat berät Bund und Länder, nahm vor 15 Jahren Schacht Konrad unter die Lupe und kam zu einem vernichtenden Ergebnis – vor allem, was die Frage von Stand von Wissenschaft und Technik bei Schacht Konrad anbelangt. Diese Studie fand damals in der Öffentlichkeit allerdings nur wenig Beachtung.

77 Anti-Atom-Initiativen aus ganz Deutschland sind gegen Konrad

Das Bündnis aus Stadt Salzgitter, Landvolk, IG Metall und Umweltverbänden aus unserer Region erneuert nun also diese Kritik. Es erfährt Unterstützung von 77 Anti-Atom-Initiativen aus ganz Deutschland. Sie haben eine gemeinsame Resolution unterschrieben. Deren Titel lautet: „Nach Gorleben auch Schacht Konrad aufgeben!“

Gorleben in Nordostniedersachsen wurde jahrzehntelang als Standort für ein Atomendlager erkundet. Im vergangenen Herbst jedoch teilte die BGE aus Peine mit, dass Gorleben nicht mehr unter den 90 Gebieten in Deutschland ist, die günstige geologische Bedingungen für die Lagerung hoch radioaktiver Abfälle bieten. Die 77 Anti-Atom-Initiativen aus ganz Deutschland schrieben in der Resolution vom Montag über Schacht Konrad nun: Das Projekt stamme wie Gorleben aus den 1970er Jahren. Es habe ebenfalls kein Standortauswahlverfahren gegeben.

Die 77 Verfasser der Resolution meinen: „Das Projekt Konrad wäre nach heutigem Stand von Wissenschaft und Technik nicht mehr genehmigungsfähig.“

Umweltminister Lies hält an Schacht Konrad fest

Das Land Niedersachsen ist die Genehmigungsbehörde für Schacht Konrad. Landesumweltminister Olaf Lies (SPD) kennt diese Kritik, die schon häufiger geäußert wurde. Und doch verteidigte er das Endlager Schacht Konrad unter anderem in Interviews mit unserer Zeitung – wohl wissend, dass eine Neubetrachtung des Projekts Jahre dauern würde, vielleicht sogar Jahrzehnte. Das zeigt sich derzeit bei der Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll. Läuft alles gut, steht der Standort 2031 fest. Ab 2050 soll der erste Atommüll eingelagert werden. Bestenfalls übrigens auch der schwach- und mittelradioaktive Atommüll aus der Asse, denn Schacht Konrad ist zu klein, um auch noch den Müll aus der Asse aufzunehmen.

Unterwegs im Endlager Schacht Konrad bei Salzgitter

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    Der Konrad-Betreiber, die BGE, wehrte sich auf Anfrage gegen die Kritik am geplanten Endlager. Zum Vorwurf, es entspreche nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik, beteuerte BGE-Sprecherin Monika Hotopp: „Als verantwortungsvoller Betreiber unternimmt die BGE vor der Inbetriebnahme eine Überprüfung der sicherheitstechnischen Anforderungen des Endlagers.“ Hotopp widersprach der Darstellung des Gutachters und Physikers Neumann, dass sich die Einschätzung des Gesundheitsrisikos durch Radon seit 2002 verändert hätten. Sie sagte: „Nach gegenwärtigem Stand würde sich nach keinem der neuen Modelle aus den Radon-Ableitungen des Endlagers Konrad eine Grenzwertüberschreitung ergeben.“

    Auch die Kritik vom Gutachter und Geologen Kreusch hinsichtlich der 3-D-Seismik wies sie zurück. Die 2-D-Seismik sei immer noch Stand von Wissenschaft und Technik. Abschließend erklärte sie zu den Forderungen des Bündnisses: „Die BGE hat die Stellungnahme zur Kenntnis genommen und wertet sie jetzt aus.“ Ob das ein Erfolg für das Bündnis ist, wird sich zeigen.

    Das ist Schacht Konrad:

    Bis 1976 wurde in Schacht Konrad Eisenerz gefördert. Ab 2027 soll im alten Bergwerk in Salzgitter Atommüll eingelagert werden. Die beiden Schächte werden saniert, Konrad 2 für die Einlagerung des Mülls vorbereitet. Der Atommüll stammt in erster Linie aus deutschen Kernkraftwerken und Forschungsreaktoren, wo er seit mehr als 40 Jahren im laufenden Betrieb erzeugt wird. Er fällt auch bei ihrem Abriss an. Derzeit lagert der Müll oberirdisch in Zwischenlagern wie in Karlsruhe. Es handelt sich dabei zum Beispiel um Schutzanzüge und Teile, deren Oberflächen kontaminiert sind.

    Das Endlager Konrad wird 303.000 Kubikmeter mittel- und schwachradioaktiven Atommüll aufnehmen. Rund 90 Prozent der in Deutschland anfallenden radioaktiven Abfälle gehören in diese Kategorie. Sie enthält aber nur 0,1 Prozent der Radioaktivität, die für immer entsorgt werden soll. Für die anderen 99,9 Prozent der Radioaktivität, also für den hoch radioaktiven Atommüll aus den Kernkraftwerken, gibt es noch kein Endlager in Deutschland.

    Der Widerstand gegen Konrad war groß, flachte in den vergangenen Jahren aber etwas ab. 290.000 Einwender brachten ihre Bedenken im Zuge des Planfeststellungsverfahrens zum Ausdruck. Ganze 75 Tage lang dauerte der Erörterungstermin. 2002 schließlich wurde Konrad nach jahrzehntelanger Planung genehmigt. Mit Beginn der Einlagerung sollen pro Woche im Schnitt 10 LKW mit je einem Container Konrad erreichen – dazu 20 Eisenbahnwaggons mit bis zu 40 Containern.