Braunschweig. Roger Fladung, der Vizepräsident der Polizeidirektion Braunschweig, spricht über Corona-Partys in der Region und Querdenker.

8162 Ordnungswidrigkeiten, 1475 Platzverweise und 826 Straftaten – das ist die Corona-Bilanz für unsere Region, die Roger Fladung, der Vizepräsident der Polizeidirektion Braunschweig, nennt. Er spricht auch über die Akzeptanz der Regeln und geimpfte Landräte.

Polizisten stehen in der ersten Reihe, müssen im Zweifel Corona-Regeln durchsetzen. Wie sehr sehnen Sie selbst das Ende des Lockdowns herbei?

Wir wissen alle, wofür wir uns im Dienst einsetzen: Es geht darum, Infektionsgefahren möglichst gering zu halten. Wir denken an Gesundheitsgefahren, an Erkrankte in den Kliniken und in den Heimen. Deshalb kommt unserer Arbeit gerade in dieser Zeit noch mal eine höhere Bedeutung zu.

Roger Fladung ist Vizepräsident der Polizeidirektion Braunschweig. Auch er wünscht sich ein Ende des Lockdowns herbei.
Roger Fladung ist Vizepräsident der Polizeidirektion Braunschweig. Auch er wünscht sich ein Ende des Lockdowns herbei. © BestPixels.de | Philipp Ziebart

Es gibt also keine Corona-Müdigkeit unter Ihren Mitarbeitern?

Jeder ersehnt ein Ende des Lockdowns, ein Ende der gesamten Pandemie herbei. Wenn die Infektions- und Gefahrenlage allerdings so wie derzeit ist, gibt es keinen anderen Weg, als die wichtigen Regeln der Kontaktreduzierung und Hygiene zu beachten. Und natürlich sind wir nicht müde, diese Regeln zu überwachen. Wir haben zum Beispiel vor wenigen Wochen beim Wintertourismus im Harz eine schnelle Reaktion gezeigt und auch zeigen müssen. Wir waren mit den Ordnungsbehörden im engen Austausch. Das gilt auch für Hinweise von nicht genehmigten Veranstaltungen – zum Teil fließt dann auch Alkohol. Auch dort leisten wir einen Einsatz. Die Gefahren für die Bevölkerung sind weiterhin sehr hoch.

Bemerken Sie denn einen Stimmungswandel in der Bevölkerung im Vergleich zum ersten Lockdown im vergangenen Frühjahr?

Es besteht immer noch ein großer Konsens innerhalb der Bevölkerung, dass die Corona-Regeln notwendig sind, dass der Lockdown sein muss. Jeder muss auch weiterhin seinen Beitrag dazu leisten, die Kontakte zu reduzieren, die Maske zu tragen und auf die Hygiene zu achten. Auch ich selbst habe die Vorstellung gehabt, zum Beispiel Geburtstage anders zu feiern. Das gilt auch für Kollegen. Die Aussagen der Fachleute des Robert-Koch-Instituts sind auch für uns maßgebend.

Werden die Menschen aggressiver nach Monaten des Lockdowns?

Das hängt ganz von der Situation ab. Wir hatten zum Beispiel erst am Dienstag einen Einsatz in der Peiner Innenstadt, weil ein Mann sich geweigert hat, eine Maske zu tragen. Er hatte Alkohol getrunken, lieferte sich ein Wortgefecht mit Passanten und widersetzte sich dann unseren Kollegen. Da ist die Hemmschwelle beim einen oder anderen schon mal niedriger. Ich würde nicht sagen, dass die Aggression allgemein zunimmt. Die Kollegen im Einsatz merken aber schon, dass mehr diskutiert wird.

Kommen wir mal zu den konkreten Zahlen: Wie viele Einsätze, Maßnahmen und Verstöße gegen die Corona-Regeln haben Sie denn in unserer Region bisher gezählt?

Seit Mitte März schreiben wir täglich das Lagebild fort. Bis zum 11. Februar hatten wir 8736 Einsatzanlässe, alleine 2581 davon in Braunschweig. Ordnungswidrigkeiten als Ergebnis dieser Maßnahmen hatten wir 8162, darunter 2147 alleine in Braunschweig. Da ging es zum Beispiel darum, dass Bürger keine Maske getragen haben. Straftaten hatten wir seit letzten März 826. Da ging es unter anderem um unerlaubte Einreisen aus einem Corona-Risikogebiet, um nicht erlaubte Veranstaltungen oder Feiern. Es ging bei den Straftaten auch um gefälschte Atteste, um Subventions-Betrug, um Beleidigungen. Es gab 14 Fälle von Widerständen gegen Polizeibeamte. In diesen Fällen wurden die Kollegen angegriffen. Es gab 45 Festnahmen.

Zumindest die 14 Widerstände hören sich erfreulich wenig an.

Ja, das spricht auch für die Fähigkeit unserer Kollegen, mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Wir deeskalieren und kommunizieren derzeit ganz besonders viel und erzeugen so noch einmal eine größere Akzeptanz für die Corona-Regeln und deren Einhaltung. Die Ahndung soll nur da gelten, wo wir die Menschen nicht mehr erreichen können und Hygiene- und Abstandsregeln beharrlich missachtet werden.

Sie mussten doch sicher auch Platzverweise erteilen.

Wir haben 1475 Platzverweise dokumentiert. Bis zu 120 Beamte sind in der Region täglich im Einsatz, um ausschließlich auf die Corona-Regeln zu achten. Diese haben nicht nur Platzverweise erteilt, sondern sprechen im Schnitt pro Monat 5000 Mal Bürger an, um auf Gefahren durch Corona hinzuweisen. Da geht es dann zum Beispiel um die Maskenpflicht. Wir haben unsere sofortige Verfügbarkeit verbessert, wir haben Einsatzkommandos gebildet, um gegebenenfalls robust einzugreifen.

Gab es denn besonders starke Einsatzwochen?

Ja, die gab es. Von Mitte März bis Ende April im ersten Lockdown hatten wir fast 3200 Einsätze. Ähnlich war es dann noch mal von Anfang November bis Anfang Februar mit fast 2600 Einsätzen. Da wurde die Länge und Härte des Lockdowns in Deutschland intensiv diskutiert.

Alle paar Wochen verkünden die Ministerpräsidenten und Kanzlerin Merkel eine Verlängerung des Lockdowns. Spüren das die Polizisten in der Region an diesen Tagen in ihrer Arbeit besonders?

Ja, das schlägt sich in den Einsatzberichten an den jeweiligen Tagen nieder. Die Beamten merken das vor Ort sofort anhand einer gereizteren Stimmung. Das berücksichtigen wir dann auch in unseren Einsatzkonzepten, zum Beispiel mit weiteren Kontroll-Tagen im öffentlichen Nahverkehr. Dann achten wir ganz besonders auf die Einhaltung der Maskenpflicht. Wir behalten auch die Sieben-Tage-Inzidenz in der Region ganz besonders im Blick, handeln gegebenenfalls. Wir konzentrieren unsere Kräfte insbesondere in den Landkreisen oder Städten, in denen wir auffällige Verläufe haben.

Bundesweit nehmen sogenannte Corona-Partys zu. Vor allem jüngere Menschen wollen wieder feiern, treffen sich zum Teil dutzendweise. Gab es da bei uns in der Region besondere Ausschläge?

Der Begriff ist verwerflich. Ich habe kein Verständnis dafür, dass Leute gezielt einladen, um gegen Corona-Regeln zu verstoßen. In Ilsede im Kreis Peine gab es kürzlich eine kleinere Party, in Vechelde haben Kollegen ein Treffen mit elf Leuten beenden müssen. In Braunschweig gab es ein Treffen am 1. Februar mit neun Personen. Da hat sich der Einladende völlig uneinsichtig gezeigt, hat Widerstand geleistet und musste in Gewahrsam genommen werden. Das passt alles nicht zur Corona-Gefahrenlage. Anfang November sollte in Braunschweig ein Imbiss mit einem Dutzend Personen eröffnet werden. In Salzgitter hatten wir Ende Januar eine private Feier in einem Vereinsheim mit 14 Personen. Wir hatten in Salzgitter ebenfalls Ende Januar einen Kindergeburtstag mit 14 Personen. Die Menschen setzen sich einer Gefahr aus. Wir als Polizei müssen nicht nur konsequent und berechenbar sein, wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass die Akzeptanz der Corona-Regeln hoch bleibt.

Die Querdenker haben in Braunschweig wiederholt demonstriert. Bundesweit gibt es bei Querdenker-Demos einen klaren Zusammenhang zur Zunahme von Corona-Fallzahlen. Haben Sie Verständnis für den Protest?

Protest ist ein legitimes Mittel der Meinungskundgabe – und gerade zu einem Thema, das uns als Gesellschaft so fordert, nachvollziehbar. Mit Blick auf Demonstrationen der Querdenker ist unser Auftrag eindeutig ein Schutzauftrag. Wir wissen, dass Ideologien und der Nährboden der Querdenker gefährlich sind. Ich halte damit nicht hinter den Berg: Jeden Ansatz von Verschwörungstheorien halte ich für fragwürdig und fehl am Platz. Wenn Demonstranten durch Verstöße gegen Corona-Regeln – wie etwa in Leipzig – auf sich aufmerksam machen, kann ich dafür absolut kein Verständnis haben. Wir hatten aber nicht nur Demonstrationen der Querdenker in unserer Region, sondern insgesamt im Zusammenhang mit Corona 21 Versammlungen, darunter Demonstrationen oder Mahnwachen. Hier werden verschiedene Anliegen thematisiert.

In den Niederlanden gibt es ein Ausgangsverbot ab 21 Uhr. Dort kam es wiederholt zu Ausschreitungen. Fürchten Sie das auch bei uns, falls der Lockdown immer weiter verlängert wird?

Nein, das fürchte ich nicht. Ausgangssperren hatten wir im Landkreis Gifhorn ja zum Beispiel auch.

In den Niederlanden ist die Ausgangssperre flächendeckend.

Das Instrument ist uns aber bekannt. Es gilt, auf Hotspots zu reagieren. In unserer Region sind wir als Polizei sehr aufmerksam, wir betreiben viel Kommunikation, auch in den sozialen Netzwerken. Wir sind interventionsschnell, auch mit Unterstützung anderer Polizeibehörden in Niedersachsen. Wir können schnell Grenzen aufzeigen.

Ärgern Sie sich denn im Sinne der Akzeptanz der Corona-Regeln darüber, dass Peines Landrat Einhaus, der dortige Klinik-Chef und auch der DRK-Kreisverbandschef in Wolfenbüttel sich haben vorzeitig impfen lassen, obwohl sie noch gar nicht an der Reihe waren?

Das hat natürlich auf die Menschen eine Wirkung. Ich kenne aber die Einzelfälle nicht gut genug, um mir ein Urteil darüber erlauben zu können. Wenn es hier nicht um eine nachvollziehbare Priorisierung ging, ist es nicht akzeptabel.

Polizisten sind in der Impfreihenfolge erst an dritter Stelle. Ist das zu spät?

Es ist völlig unstrittig, dass ältere Menschen, Krankenhaus-Personal und Pflegekräfte in den Heimen zuerst zu impfen sind.

Dann wird es noch Monate dauern, bis Polizisten, die täglich im Einsatz sind, an der Reihe sind.

Das gilt für viele andere ja auch. Ich weiß aus dem privaten Umfeld, wie lange es dauert, bis ältere Menschen einen Termin im Impfzentrum bekommen. Solange wir nicht mehr Impfstoff-Dosen zur Verfügung haben, werden wir als Polizei nicht über Dinge wie die Impfreihenfolge diskutieren. Es ist aber richtig, dass wir gerade für unsere Beamten, die ständig im Einsatz sind, eine Priorität erfahren müssen. Das ist ohne Zweifel so. Genauso richtig finde ich es aber, dass auch Lehrer und Erzieher früh geimpft werden, weil sie einen sozialen Auftrag haben.

Wie viele Polizisten aus der Polizeidirektion haben sich denn bisher mit Corona infiziert?

Wir haben insgesamt 34 Infizierte, aktuell sind es drei – bei etwa 3000 Mitarbeitern inklusive der Verwaltung. Jeder Fall ist einer zu viel, gemessen am Landesschnitt liegen wir aber sehr gut. Wir haben 220.000 OP-Masken verfügbar gemacht, weitere 16.000 FFP2-Masken. Wir haben unsere Arbeitszeiten angepasst, arbeiten in Kohorten und wo es möglich ist auch im Homeoffice. Bis zu 1200 Mitarbeiter können im Homeoffice arbeiten.

Am Mittwoch hat Forsa eine Umfrage veröffentlicht. Demnach sagen 72 Prozent der Befragten, dass die Lockdown-Verlängerung richtig ist. Ermutigt Sie das in Ihrer Arbeit, dass es immer noch eine breite Akzeptanz für die Corona-Regeln in der Bevölkerung gibt?

Ja, das macht Mut, das begünstigt polizeiliche Arbeit. Wir bekommen gerade jetzt auch viel wertschätzende Rückmeldung für unsere Arbeit und sind ein stabilisierender Faktor. Wir wissen, dass es für die Menschen nicht normal ist, in so konsequenter Art und Weise in ihren Freiheitsrechten beschränkt zu werden, aber es geht um den Schutz der Gesundheit vieler Menschen. Das erkennen die meisten. Ich habe aber Verständnis dafür, dass Menschen, die um ihre berufliche Existenz kämpfen, Fragen nach der Sinnhaftigkeit einzelner Maßnahmen stellen. Man kann das Virus nicht sehen, nicht riechen und nicht schmecken. Das macht es für uns alle so schwierig.

Wenn Sie einen Wunsch bei der Politik frei hätten, welcher wäre das?

Sich nicht beirren und treiben zu lassen und gleichzeitig ernsthaft einen Plan zu entwickeln, um wieder zur Normalität zurückkehren zu können. In Niedersachsen haben wir einen solchen Stufenplan ja schon. Den wünsche ich mir auch für den Bund.

Die Polizeidirektion Braunschweig:

Zum Verantwortungsbereich der Polizeidirektion Braunschweig gehören die Landkreise Goslar, Wolfenbüttel, Peine, Gifhorn und Helmstedt sowie die Städte Braunschweig, Salzgitter und Wolfsburg. Zur Polizeidirektion Braunschweig gehören die Polizeiinspektionen Braunschweig, Gifhorn, Goslar, Salzgitter/Peine/Wolfenbüttel sowie Wolfsburg/Helmstedt.

Eine Besonderheit ist die Zentrale Kriminalinspektion Braunschweig. Diese Spezialdienststelle hat ihren Sitz in Braunschweig und bekämpft das Organisierte Verbrechen, schwere Wirtschaftsdelikte und Bandenkriminalität im gesamten Direktionsbereich. Das Autobahnpolizei-Kommissariat Braunschweig ist für alle Autobahnen der Region Braunschweig zuständig.

Präsident der Polizeidirektion ist Michael Pientka, sein Stellvertreter Roger Fladung. Die Polizeidirektion hat 3000 Beschäftigte.