Braunschweig. Braunschweigs Landeschef Oesterhelweg geht mit dem Koalitionspartner SPD hart ins Gericht. Seine Corona-Mängelliste ist lang.

Der Vorsitzende des CDU-Landesverbandes Braunschweig, Frank Oesterhelweg, ist bekennender „Merzianer“, Landtagsvizepräsident und in Niedersachsen Teil einer großen Koalition von SPD und CDU. Mit Oesterhelweg sprachen per Videoschalte die Redakteure Armin Maus und Michael Ahlers über die Lage der Bundes-CDU, Lernen im „Lockdown“ – und die Corona-Performance der Landesregierung.

Herr Oesterhelweg, wie zufrieden sind Sie mit dem Ablauf des digitalen CDU-Bundesparteitags? Und vor allem: Wie zufrieden sind Sie mit Armin Laschet als neuem Bundesvorsitzenden der CDU?

Der Parteitag war ein Musterbeispiel dafür, wie man sowas durchführt. Friedrich Merz hat gesagt, so gehe Digitalisierung. Natürlich ersetzt ein solcher Parteitag keinen Parteitag mit Präsenz. Es fehlen die Gespräche, das Drumherum, die direkten Kontakte. Aber die CDU hat damit Maßstäbe gesetzt. Der Parteitag war von Handhabung, Organisation und Programm her eine tolle Sache.

Und wie zufrieden sind Sie damit, dass der neue Vorsitzende nicht Merz, sondern Laschet heißt? Sie hatten sich im Vorfeld immer für Merz ausgesprochen. Was bedeutet die Wahl für die Konservativen in der CDU, was für die Integrität der CDU?

Das ist keine einfache Situation für die Union. Ich habe aus meiner Meinung in der Tat keinen Hehl gemacht. Merz hätte wohl eine etwas straightere Führung an den Tag gelegt, weil er auch im positiven Sinn polarisiert hätte. Positionen und Kernkompetenzen der Union hätte Merz, glaube ich, etwas deutlicher gemacht als es beispielsweise Laschet tun wird. Es hätte aber möglicherweise auch Unmut und Irritationen gegeben, wenn Friedrich Merz Vorsitzender geworden wäre. Die Aufgabe ist es jetzt, die Flügel wieder zusammenzuführen. Aber alle drei Kandidaten hätten den Vorsitz gekonnt. Das unterscheidet uns von Mitbewerbern. Im Vergleich mit Frau Esken und Herrn Borjans (den beiden SPD-Vorsitzenden, die Red.) bin ich von Herrn Laschet mehr als überzeugt (lacht).

Das kann man auch als vergiftetes Kompliment sehen…

(lacht) Nein, das ging eher in Richtung Sozialdemokratie. Wichtig ist, dass wir jetzt auch die konservativen Elemente in der Union einbinden. In einem Schreiben hat Friedrich Merz jetzt ja ganz klar gesagt, dass er sich weiter einbinden lässt.

Davor hatte er nach seiner knappen Niederlage allerdings getwittert, er wolle gerne Wirtschaftsminister im Kabinett Merkel werden. Das fanden auch viele seiner Unterstützer hochgradig seltsam.

Diese Reaktion direkt beim Parteitag fand auch ich grenzwertig. Ich hätte das an seiner Stelle nicht gesagt sondern gut gefunden, wenn er im CDU-Präsidium mitgemacht hätte. Und ich fände es ausgesprochen gut, wenn Merz einem Kompetenzteam zur Bundestagswahl und später der neuen Bundesregierung angehören würde. Die „ganze Kiste“ heißt ja bewusst Union und nicht Partei: Es geht darum, die Flügel der letzten deutschen Volkspartei zusammenzuhalten. Alles andere, wie nicht mehr mitzumachen, eine neue Partei zu gründen, widerspricht dem, was ich mir vorstelle. Es ist eine große Aufgabe für Laschet und sein Team. Ich glaube aber, das klappt.

Was heißt die Wahl von Laschet denn inhaltlich für die CDU? Die CDU war beispielsweise immer eine der wenigen explizit und kontinuierlich wirtschaftsfreundlichen Kräfte in dieser Republik.

An der Sozialen Marktwirtschaft wird nicht gerüttelt. Dass man sich wirtschaftlich auch bewegen muss in diesen Zeiten, dass man über Klimawandel, Globalisierung und solche Punkte reden muss, ist klar. Wir wären aber schlecht beraten, wenn wir nicht wirtschaftsfreundlich blieben. Da geht es ja nicht um ein paar Unternehmer, die dicke Zigarren rauchen. Es geht um Millionen von Arbeitsplätzen. Wir müssen natürlich mit der Zeit gehen, bei der Digitalisierung, auch beim Umstellen auf andere Energieformen. Bei der E-Mobilität geht mir das alles allerdings zu schnell. Die ist wichtig, man muss sich aber schon klar sein, woher der Strom dafür kommt. Und welche Wirkungsgrade man erzielt. Es wird auch viel zu wenig gefragt, woher die Rohstoffe kommen und wie sie gewonnen werden. Das haben uns die Grünen früher bei anderen Themen doch immer vorgehalten. Und es ist wichtig, dass man die bisherigen Technologien vernünftig weiterentwickelt. Sonst bekommen wir Versorgungs- und Standortprobleme. Die CDU bleibt nicht die Partei DER Wirtschaft, aber die Partei FÜR die Wirtschaft. Und dazu gehören auch die Arbeitnehmer. Ich will aber noch einmal zur Lage der Union zurück, über die wir gesprochen haben. Ich sage: Leute, bleibt im Boot. Es ist ja nicht nur Corona, worüber wir uns im Moment Sorgen machen müssen, und die Wirtschaftskrise. Ich mache mir Sorgen, dass wir in dieser Europäischen Union so weiterwursteln wie bisher. Wir müssen über den Wirtschaftsstandort Europa und eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht nur nachdenken, sondern entschlossen und schnell handeln. Wer mit dem Parteiaustritt liebäugelt, der sollte sich fragen, wer das in Deutschland eigentlich durchziehen soll, wenn nicht die Union. Wir brauchen Leute, die sich einbringen.

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Offen ist noch die Frage, wer Kanzlerkandidat wird. Halten Sie Laschet nun für den gesetzten Kandidaten? In den Umfragen lag ja CSU-Chef Markus Söder bisher deutlich vorn…

Ich halte mich da voll und ganz an den neuen Bundesvorsitzenden. Armin Laschet hat gesagt, die Sache wird um Ostern und gemeinsam mit der CSU entschieden. Diese Linie kann ich unterstützen. Ich könnte mir einen Kanzlerkandidaten Söder auch sehr gut vorstellen, gar keine Frage. Aber da werden sich die beiden Herren als Parteivorsitzende erstmal unter vier Augen unterhalten. Ob es dann weitere Möglichkeiten gibt, diese Position zu besetzen, weiß ich nicht. Die Sozialdemokraten haben es ja fertiggebracht, jemanden, den sie in weiten Teilen nicht als Vorsitzenden wollten, zum Kanzlerkandidaten zu machen. Das wird sicher bei uns nicht so laufen, auch wenn ich es bei Merz gut fände. Mit einem Kanzlerkandidaten Söder könnte ich aber sehr, sehr gut leben.

Immerhin hat Laschet, als es drauf ankam, eine sehr gute Performance abgeliefert, und Merz wieder einmal eine ziemlich durchwachsene.

Merz bringt in der Regel Säle zum Brodeln, nun hat er schon bei zwei Parteitagen vielleicht nicht den richtigen Ton getroffen. Ich fand seine Rede inhaltlich exzellent, aber sie war zu wenig emotional. Laschet hat es taktisch richtig gemacht, auch mit der Bergmannsmarke seines Vaters – das war „ganz großes Kino“.

In Niedersachsen stehen dieses Jahr Kommunalwahlen an. Die CDU hat in Braunschweig gerade einen Kandidaten aufs Schild gehoben, der anders ist als viele Kandidaten vorher. Kaspar Haller ist deutlich jünger, erst 37, er hat deutlich weniger Erfahrung, er hat eine landwirtschaftliche Vergangenheit und er ist kein CDU-Mitglied. Ist das nun etwas Positives, nach dem Motto: Die CDU kann integrieren, oder ist es ein bedenkliches Zeichen, weil sich vielleicht kein anderer fand?

Die CDU-Mitgliedschaft ist nicht Pflicht, Oliver Junk in Goslar war CSU-Mitglied, Landrat Gerhard Radeck in Helmstedt war parteilos und hatte keine politische Erfahrung, auch Salzgitters OB Frank Klingebiel hatte die nicht, der war Beamter im Innenministerium. Und wie Sie wissen, können Landwirte eine Menge (lacht). Ich war in die Personalie nicht eingebunden, das ist eine Entscheidung der Braunschweiger Stadt-CDU , auch der Landesvorsitzende Bernd Althusmann saß mit im Boot. An der Entscheidung habe ich nichts zu kritisieren. Ich finde das sehr mutig, einen jüngeren zu nehmen muss doch nicht verkehrt sein. Wenn die Braunschweiger CDU einen ordentlichen Mann vom Lande brauchen kann, finde ich das gut.

Wird es angesichts der Corona-Lage überhaupt einen vernünftigen Wahlkampf geben? Und wird es eine Kommunalwahl geben, so wie wir sie gewöhnt sind?

Die Wahl selbst wird es geben können, weil wir die Möglichkeit der Briefwahl haben. Die Nominierungsveranstaltungen für die Kandidaten sind schwieriger. Der Wahlkampf wird vollkommen anders sein. Unser jährliches Aschermittwoch-Treffen beispielsweise wird jedenfalls nicht funktionieren. Wir haben als CDU-Landesverband das neue digitale Format CDU innovativ. Diese Gesprächsrunden ersetzen aber nicht den persönlichen Kontakt. Wir müssen sehen, ob wir das über Infomaterial und witzige Kampagnen ein bisschen ausgleichen können. Bis zur Sommerpause wird es wohl größere Veranstaltungen nicht geben, und danach bleibt wenig Zeit – wenn es überhaupt geht.

Wie sind Sie denn damit zufrieden, wie in Niedersachsen die Corona-Krise gemanagt wird? Ministerpräsident Weil tritt betont zurückhaltend auf. Aber es bleiben ja viele Fragen, von der Teststrategie über die Impfungen bis zum Home-Schooling. Zuletzt hatten wir das Wirrwarr über die Impftermin-Anschreiben für über 80-Jährige…

Das bewegt sich so im Bereich „befriedigend“. Die Frage ist natürlich, ob mehr drin sein kann. In der ersten Welle konnte man sehr viel nachsehen. Beim Zusammenbruch der Server für die Förderanträge haben die Landesregierung und Minister Althusmann seinerzeit sehr schnell reagiert, auch mit Hilfe von Experten von VW. Deshalb wundert mich, dass es jetzt bei den Corona-Hilfen Schwierigkeiten gibt. Das hat wohl viel mit dem Bund zu tun. Manches verstehe ich aber überhaupt nicht. Dass es im Schulbereich eher schleppend und unkoordiniert läuft, kann ich nicht nachvollziehen. Darauf konnte man sich doch einstellen. Warum konnte man keine Konzepte entwickeln, umschichtig zu unterrichten, vormittags, nachmittags, warum kann man nicht vom gleichzeitigen Schulbeginn abweichen? Warum hat man es in einem Dreivierteljahr nicht hinbekommen, Schüler und Lehrer auf digitalen Unterricht besser vorzubereiten? Und zum Impfen: Da ist in einem Pflegeheim eine Krankengymnastik-Einrichtung ansässig, und deren Mitarbeiter werden nicht geimpft, ein konkreter Fall. Das kann mir auch niemand erklären. Und an Adressen kommt man über die Einwohnermeldeämter, alles andere ist doch Stückwerk.

Woher kommen diese handwerklichen Fehler? Dass der zweite Lockdown kommen würde, war ja absehbar. Und dennoch dauert es dann eine halbe Stunde, bis Kinder in Videokonferenzen kommen. Und der Lehrer kann zwar die Schüler sehen, aber nicht zu ihnen sprechen. Wie wird es besser?

Ich bin kein Experte, aber das ist schon peinlich. Wir haben uns Digitalisierung und Modernisierung des Schulbetriebs auf die Fahnen geschrieben. Man hat das offensichtlich zu leicht genommen und zu wenig Druck gemacht. Es ist aber nicht nur an den Schulen so. Es sollen ja eigentlich noch mehr Menschen ins Home office. Das läuft auch in vielen Verwaltungen schleppend. Das muss besser organisiert werden, und es muss mehr Geld in die Hand genommen werden. Das steht außer Frage. Da kommt auch unser Ministerpräsident ins Spiel. Immer heraushalten geht nicht, da muss man sich auch mal erinnern, dass man Chef dieser Regierung ist. Das muss man koordinieren und vorantreiben. Auch bei Luftfiltern und -reinigern passiert wenig, immer wird auf offene Fragen verwiesen. Da braucht es für Kindergarten und Schule, für den Bus und das Zugabteil Pilotprojekte mit wissenschaftlicher Begleitung. Wir sind aber offensichtlich nicht bereit, mal entschlossen und mutig Druck auf den Kessel zu geben, da wird zuviel rumgeeiert.

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Der Abbau von Ölschiefer ist auch in der Region ein großes Thema. Wie groß ist die Gefahr, dass ein solcher Abbau etwa über den Kreis Gifhorn hereinbricht? Es gab auch Vorwürfe, dass die CDU das Thema verschlafen habe…

Diese Gefahr eines Abbaus ist derzeit mehr als gering, diese Lagerstätten gelten bisher als nationale Energiereserve. Da ist noch nicht gesagt, dass man diese überhaupt abbauen will und darf. Ich halte einen Abbau dort für vollkommen abwegig und würde mich wehren dagegen. Das ist auch gemeinsames Ziel der Landesregierung und der beiden sie tragenden Fraktionen. Auch Landwirtschaftsministerin Otte-Kinast, deren Haus für Raumordnung zuständig ist, arbeitet intensiv daran daran, es zu keiner Verschlechterung kommen zu lassen. Man muss allerdings auf folgendes achten: Wenn gar nichts mehr im Raumordnungsprogramm des Landes steht, könnte das möglicherweise über Bundesbergrecht ausgehebelt werden – das ist zu verhindern. Verschlafen? Wir haben im Wolfenbütteler Kreistag einstimmig eine Resolution verabschiedet, vor den Sommerferien. Ich habe bei einer Energiedebatte im Landtag gesagt, dass ein Abbau mit uns nicht in Frage kommt. Dadurch sind einige aufgeschreckt. Da jetzt so zu tun, als sei man als SPD der Retter in der Not, ist schon abenteuerlich ... und auch bedauerlich wegen des Umgangs in der großen Koalition. Ich will aber auch noch eines sagen, was mir als Politiker und Landwirt am Herzen liegt…

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Sie meinen die Proteste gehen den Preisdruck der Konzerne?

Ein vernünftiges, hochwertiges Produkt muss man auch vernünftig bezahlen. Was die großen Lebensmittelketten mit ihren Preisen machen, geht gar nicht. So machen wir die heimische Landwirtschaft platt und bekommen unsere Lebensmittel aus Ländern, in denen man sich um Umwelt- und Sozialstandards wenig schert. Ich verstehe die Wut vieler Berufskollegen. Wir müssen endlich davon weg, Agrarpolitik durch die ideologische und pseudo-moralische Brille zu betrachten. Zahlen, Daten, Fakten sind die Grundlage für eine vernünftige Politik. Das gilt für die Energiepolitik und das gilt auch hier.