Braunschweig. Rechtsprofessor Winfried Huck sieht den noch amtierenden US-Präsidentenweiter in Kampflaune. Zwischen EU und USA erwartet er ein Handelsabkommen.

Die USA werden ab Januar dieses Jahres von einem neuen Präsidenten regiert, dem Demokraten Joe Biden. Mit ihm kehrt Vertrauenswürdigkeit in die internationalen Beziehungen zurück, sagt Ostfalia-Professor Winfried Huck. Allerdings würde auch Biden weiter gegen die Abhängigkeit Deutschlands von Russland vorgehen.

Professor Huck, im letzten Orakel haben Sie vorausgesagt, dass US-Präsident Donald Trump wiedergewählt werden würde – damit lagen Sie falsch. Glauben Sie, wäre die Corona-Pandemie nicht dazwischen gekommen, hätten Sie Recht behalten und Trump die Wahl gewonnen?

Ich bin sehr froh, dass meine Voraussage falsch war. Die Wahl von Joe Biden und Kamala Harris ist, finde ich, das eindeutig bessere Ergebnis. Mit ihnen kehren Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit zurück. Die reinen Wirtschaftszahlen stellen Trump nichtsdestotrotz ein gutes Zeugnis aus. Aber gleichzeitig gibt es eine große Ungleichheit in der Gesellschaft, eine Stagnation des Einkommens, und Trump hat außerdem gigantische Schulden aufgenommen. Auch vor der Corona-Pandemie ist es zudem zu einer Entflechtung mit China gekommen – die Entkoppelung von Lieferketten hat begonnen. Währenddessen hat China mit vielen anderen asiatischen Staaten ein Freihandelsabkommen abgeschlossen. Mit der Pandemie sind das Entwicklungen, die möglicherweise dazu geführt hätten, dass Trump im November nicht wiedergewählt worden wäre.

Hier geht's zur Podcastfolge: „Orakel 2021“-Podcast: Von Klimawandel bis zur Nord Stream 2

Trump muss das Oval Office am 20. Januar verlassen. Seine Anhänger stachelte er jetzt zum Sturm aufs Kapitol an. Wie müssen wir uns angesichts dessen seinen Auszug aus dem Weißen Haus vorstellen? Und wird er um ein juristisches Nachspiel seiner Amtszeit überhaupt herumkommen?

Trump wird bis zum 20. Januar seine Niederlage weiterhin leugnen. Wahrscheinlich wird er kurz vor der Amtsübergabe zurücktreten. Dann müsste Vize-Präsident Mike Pence die Geschäfte übernehmen und könnte Trump noch rasch begnadigen. Juristische Ermittlungen wegen der Anstiftung zum Sturm auf das Kapitol wird man nicht ausschließen können; sie würden die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips untermauern. Trump und seine Gefolgsleute waren zwar nicht persönlich an der Besetzung des Kapitols und damit im Zusammenhang stehender Straftaten beteiligt, aber sie haben durch ihre Reden Ursachen gesetzt, die den antidemokratischen Sturm auf das Kapitol hervorgerufen haben. Ob es zu Gerichtsverfahren kommen wird, ist auch eine politische Frage. Ein juristisches Verfahren lieferte eine Bühne für die Rechtfertigung Trumps, er sei unrechtmäßig um den Wahlsieg gebracht worden. Genau daran hat aber keiner ein Interesse. So paradox es klingen mag, die Demokratie wird durch diesen ungeheuerlichen Vorgang verfestigt werden. Ich habe ein großes Vertrauen in die Verwurzelung der Demokratie und die Funktionstüchtigkeit der Institutionen in den USA. Obgleich Trump inzwischen vorgibt, einer ordentlichen Amtsübergabe nicht im Wege zu stehen, wird er bei der Amtsübergabe am 20. Januar nicht persönlich zugegen sein, sondern sich vertreten lassen. Ich glaube, er wird dann längst in Mar-a-Lago Golf spielen. Parallel zur Übergabe wird er eine Pressekonferenz einberufen und damit schon einmal seinen Wahlkampf für 2024 einläuten.

Viele Beobachter erklärten bereits, unter dem künftigen US-Präsidenten Joe Biden werde der Ton diplomatischer, in der Sache vertrete er aber teils ähnliche Ansichten wie Trump, etwa bei den Verteidigungsausgaben der EU und Deutschlands. Sehen Sie das ähnlich? Wird Biden in dieser Hinsicht nicht leichter zu händeln sein für die Europäer?

Die Forderungen bei den Verteidigungsausgaben werden sich kaum ändern. Deutschland hat als Nato-Mitglied schon 2014 zugesagt, zwei Prozent seines Brutto-Inlands-Produkts für Verteidigung auszugeben, ist davon aber noch immer recht weit entfernt. Die USA tragen Zweidrittel des Nato-Haushalts, die Staaten der Europäischen Union weniger als ein Drittel. Die Verteilung ist so nicht fair, deshalb sind die US-amerikanischen Forderungen berechtigt. Unter Biden wird der Ton aber wieder – anders als bei Trump – freundlich, zugewandt und deutlich verständnisvoller sein. Ansonsten erwarte ich aber nicht, dass die zukünftige Politik Bidens mit der von Präsident Trump übereinstimmt. Die Bekämpfung des Coronavirus wird Priorität haben. Außerdem wird Biden die internationale Gemeinschaft, zum Beispiel in der Weltgesundheitsorganisation, aber auch in der Welthandelsorganisation revitalisieren. Und er wird natürlich dafür sorgen, dass die USA erneut in das Pariser Klimaabkommen einsteigen. Die EU und USA werden zudem erstmals ein Handelsabkommen (TTIP) schließen, das ist meine klare Voraussage. Die USA brauchen den Zugang zum europäischen Markt, um höhere Ausfuhren zu erreichen. Auch das wird zur Revitalisierungsstrategie der US-Amerikaner unter Biden gehören.

Professor Winfried Huck im Interview.
Professor Winfried Huck im Interview. © Bernward Comes

Sie erwarten einen Handelsdeal zwischen USA und EU. Wird es den auch zwischen China und den USA geben? Unter Trump kam nur ein Teilabkommen mit der Volksrepublik zustande.

Zunächst einmal: Die USA werden die EU viel stärker fordern, sich im Konflikt mit China zu engagieren und Partei zu ergreifen. Denn China versucht, die USA auf unterschiedlichen Feldern herauszufordern und zu schwächen. Bei den beiden Weltmächten geht es um einen Kampf der Systeme, es läuft auf eine schärfere Konkurrenz hinaus. Mit Blick auf eine Friedenssicherung ist ein Abkommen zwischen China und den USA ein erster wichtiger Schritt, um eine rhetorische und politische Abrüstung zu erreichen, um einen modus vivendi zu erzeugen. Deswegen vermute ich, dass Biden einen China-Deal schließen wird. Die Strafzölle wird er als erstes abschmelzen wollen.

Mehr als vier Jahre Brexit-Drama sind im Dezember beendet worden. Was bedeutet der Verlust Großbritanniens für die Europäische Union machtpolitisch und auch kulturell?

Der Verlust lässt sich für die EU berechnen, es entfallen die Beiträge des zuletzt zweitgrößten Nettozahlers. Das Vereinigte Königreich war und ist ein politisches Schwergewicht, ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats, eine Atommacht und Mitglied zahlreicher internationaler Organisationen. In der EU hinterlässt das Vereinigte Königreich mit seinem Pragmatismus, der Bürokratieskepsis sowie einer marktliberalen Grundhaltung eine schwer zu schließende Lücke. Der EU bleibt in Anbetracht von Zweiflern in vielen Mitgliedstaaten nun keine andere Wahl, sie muss nach innen und nach außen ihre globale Einzigartigkeit, ihr in die Zukunft reichendes Versprechen einer nachhaltigen Gesellschaft auf der Basis von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und wachsendem Wohlstand einlösen. Ihre Integrationskraft wird gefordert und sie wird sich deshalb gegenüber China, Russland und auch gegenüber der USA nach innen und außen behaupten müssen. Mit dem Vereinigten Königreich wäre ihr Auftritt stärker und vieles einfacher gewesen. Im Innenverhältnis der EU wird es daher zu einer Kräfteverschiebung kommen, die sich bei Abstimmungen im Rat der EU als Gesetzgebungsorgan bemerkbar machen wird. Hier können Spannungen zwischen den Süd- und den Nordländern zusätzlich verstärkt durch die Visegrád-Gruppe entstehen. In kultureller Hinsicht wird sich auch vieles ändern, manches aber auch kaum wahrnehmbar sein. Musik, ohnehin grenzenlos, bildende Kunst, Theater und Literatur werden von Ihrer Wirkungsmächtigkeit, auch dank digitaler Medien und Streamingdienste, nichts einbüßen. Die Weltsprache Englisch wird ihren Reiz behalten. Die kulturellen, auch persönlichen Bindungen zu den Freunden im Vereinigten Königreich sind vorhanden und sie werden bleiben. Weder der Eintritt noch der Austritt des Vereinigten Königreiches in die EU mögen daran etwas ändern. Die üppige Kulturförderung Europas steht für die Briten allerdings jetzt nicht mehr zur Verfügung.

Voriges Jahr haben wir auch über Bauernproteste und Nachhaltigkeit gesprochen. In diesem Jahr ist recht viel passiert: Die EU hat einen Corona-Fonds aufgelegt, der an Nachhaltigkeitsziele gekoppelt ist, von der Leyen will den CO2-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent senken. Und hier in Niedersachsen hat man sich auf den „Niedersächsischen Weg“, ein Programm für mehr Umweltschutz, geeinigt. Sind wir in Sachen Nachhaltigkeit also auf einem guten Weg und wie wird er 2021 weitergehen?

Der Klimawandel ist spürbar, auch im Braunschweiger Land. Es ist unendlich wichtig, dass von der EU ein Gesamtkonzept erstellt wurde. Die Richtung stimmt also, aber es muss sich weiterentwickeln. Auch China und die USA müssen ins Boot geholt werden, weil es nur gemeinsam geht. Die Gesellschaft wird zudem gefordert sein, sich auf neue Wege einzustellen, zum Beispiel bei der Elektromobilität. Bei ihr kann man sich aber auch fragen, inwieweit sie nachhaltig ist. E-Mobilität bedeutet, dass Rohstoffe zum Beispiel im Kongo, in Bolivien, Peru und China gewonnen werden. Im erweiterten Konzept einer globalen Nachhaltigkeit muss man sich deshalb fragen, was die E-Mobilität hier eigentlich für die Menschen im Kongo bedeutet. Haben wir eine Rohstoffpolitik? Auch die Frage, was mit ausrangierten Batterien passieren wird, ist bisher noch vollkommen ungelöst.

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Sie forschen dazu, dass die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele, die die Vereinten Nationen festgeschrieben haben, nicht automatisch zu mehr Gerechtigkeit in der Welt führt. Warum ist das so?

Wir alle haben eine Vorstellung von Gerechtigkeit, aber eigentlich kann niemand so genau sagen, was das ist. Es hat mit Gleichheit zu tun, es ist eine Utopie. Etwas, das nicht einfach erreicht werden kann. Es wäre aber viel gewonnen, würde man die bestehenden krassen Ungleichheiten auflösen und in Zukunft vermeiden. Der Wohnungsmarkt ist hierfür ein Beispiel oder die Konzentration von Vermögen. Die Nachhaltigkeitsziele sind mehrschichtig und erfassen Soziales, Ökologie, aber auch die Ökonomie. In Deutschland konzentrieren wir uns zum Beispiel sehr auf den Klimaschutz, wir dürfen aber andere Themen nicht vernachlässigen. Die Elektromobilität ist wie gesagt kein Allheilmittel. Die steigende Abhängigkeit von Rohstoffen erzeugt andere Ungleichgewichte. Wie immer besteht hier die Gefahr des Silo-Denkens. Was ist zum Beispiel mit den Themen der Gewalt gegen Frauen und den Femiziden? Es gibt zahlreiche Themen, deren Dimensionen über die Grenzen Deutschlands hinausreichen. Was hilft, um mehr Gerechtigkeit zu erreichen, ist, Menschen zu beteiligen. Oder transparent zu machen, wie Entscheidungen zustande kommen. Und auch der Zugang zu unabhängigen Gerichten ist ein wesentlicher Punkt. Letztlich führt der Weg zur Herstellung von Gerechtigkeit über die Vermeidung von Ungerechtigkeit.

Die Arbeiten an der Pipeline Nord Stream 2 ruhten wegen US-Sanktionen rund ein Jahr. Unser Leser Gert Thiele fragt, ob es sich Deutschland, als größter Abnehmer von russischem Gas überhaupt leisten könnte, darauf zu verzichten?

Deutschland ist breit aufgestellt, was die Energieversorgung angeht. Die Frage kann letztlich nur politisch entschieden werden. Deutschland hat sich entschlossen, aus der Kernenergie und der Kohleverbrennung auszusteigen. Für die E-Mobilität muss der Strom auch irgendwo herkommen. Ob es die erneuerbaren Energien alleine schaffen? Der künftige US-Präsident Biden wird auch in Zukunft gegen die Abhängigkeit Deutschlands von Russland weiter vorgehen. Hier zeigt sich die Globalisierung wie im Brennglas. Für mich sieht es nicht danach aus, dass die USA bereit sind, Konzessionen zu machen. Vielleicht wird die Nord-Stream 2 aber irgendwann Teil einer Gesamtlösung sein.

Und die letzte Orakel-Frage für das Wahljahr 2021: Wer wird Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin?

Markus Söder (CSU) wird Kanzler. Wenn die Pflicht ruft, wird er sagen, dass er es macht. Robert Habeck von den Grünen wird Vize-Kanzler und die ebenfalls Grüne Annalena Baerbock wird Außenministerin.