Braunschweig. Auf eisiger Scholle durchs Nordpolar-Meer: Im Interview-Podcast berichtet der Braunschweiger über das Arbeiten und Leben auf der „Polarstern“.

Eis, nichts als Eis bis zum Horizont, fernab jeder Zivilisation. Und aus dem Helikopter-Cockpit der Blick auf das an einer riesigen Eisscholle festgefrorene Forschungsschiff „Polarstern“: Dieses Bild kommt Falk Pätzold in den Sinn, wenn er die Augen schließt und an seine Teilnahme der Mosaic-Expedition zurückdenkt. Sieben Monate war der promovierte Luftfahrt-Ingenieur der Technischen Universität Braunschweig dafür unterwegs. Zwischen Wochen der An- und Abreise verbrachte er 160 Tage an Bord der „Polarstern“ – und in der Luft: Seine Aufgabe als Forscher bestand darin, meteorologische Messungen in der Atmosphäre durchzuführen. Zurück in Braunschweig ist er der erste Gast unseres neuen Wissenschafts-Podcasts „Forsch!“. Mit Fleecejacke und markantem Vollbart sieht der
45-Jährige aus, wie man sich einen Polarforscher vorstellt. Ebenso bedacht wie verschmitzt berichtet er über die Zeit in der Arktis, seine Forschung zum Klima und die alltäglichen Herausforderungen auf dem Forschungsschiff.

Forsch! -Podcast- Auf der Eisscholle durch die Arktis

442 Menschen aus 37 Ländern hielten sich zwischen September 2019 und September 2020 im Zuge der internationalen Mammut-Expedition Mosaic in die Arktis auf. Ihr gemeinsames Ziel war, das dortige Klima

Falk Pätzold, Luftfahrt-Ingenieur der TU Braunschweig, beim Aufnahme-Termin des „Forsch!“-Podcasts.
Falk Pätzold, Luftfahrt-Ingenieur der TU Braunschweig, beim Aufnahme-Termin des „Forsch!“-Podcasts. © regios24 | Stefan Lohmann

besser zu verstehen. Schließlich schreitet der Klimawandel nirgendwo auf der Welt schneller voran als in dieser entlegenen Region – etwa doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt, sagt Pätzold. Gleichzeitig hat das Klima der Arktis massive Auswirkungen auf das Gesamtklima unseres Planeten. Um die Ursachen und Wechselwirkungen tiefer zu ergründen, driftete die „Polarstern“ des Alfred-Wegener-Instituts ein Jahr lang festgefroren an einer Eisscholle – vorbei am Nordpol – durch den arktischen Ozean. Auf der Scholle mit einem Durchmesser von rund zwei Kilometern errichteten die Forscher ein Camp und sammelten Unmengen von Daten: in der Luft, am Boden und im Wasser, bis hinab zum Meeresgrund. In dieser Dichte und Fülle war das ein absolutes Novum. Während viele Teilnehmer nach wenigen Monaten abgelöst wurden, zählt Pätzold mit einem knappen halben Jahr Aufenthalt zu jenen, die besonders lange vor Ort waren.

Der Albedo-Wert: Wie stark wird Sonnenlicht reflektiert?

Der im mecklenburgischen Malchin geborene Ingenieur, der seit seinem Studium an der TU in Braunschweig ansässig ist, ging für seine Messungen in die Luft. Allerdings saß der begeisterte Pilot und Segelflieger, anders als in seiner Freizeit, nicht selbst am Steuerknüppel, sondern auf dem Platz neben dem Helikopterpiloten. Hier überwachte und bediente er die zahlreichen Sensoren des „Helipod“. Die Schleppsonde, die an einem 25-Meter-Seil unter dem Hubschrauber befestigt war, birgt laut Pätzold mehr als 100 Kilo wissenschaftliche Messtechnik.

An Bord der Polarstern durch die Arktis

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Damit sammelte Pätzold etwa Daten zum sogenannten Albedo-Wert. Dieser, erklärt er anschaulich, beschreibt das Maß, in dem die Erdoberfläche Sonnenstrahlung reflektiert oder als Wärme aufnimmt. Wie der Albedo-Effekt wirkt, weiß jeder, der schon einmal in einem schwarzen und in einem weißen Auto – ohne Klimaanlage wohlgemerkt – in der prallen Sonne geparkt hat. Während der Innenraum des schwarzen Autos schnell brüllend heiß wird, lässt es sich im weißen Wagen, je nach Parkdauer, noch gut

Die Drift-Route der Mosaic-Expedition.
Die Drift-Route der Mosaic-Expedition. © Jürgen Runo | Alfred-Wegener-Institut (AWI)

aushalten. „Je heller die Oberfläche ist, desto besser wird das Licht reflektiert“, sagt Pätzold. Für die Arktis bedeutet das: „Je mehr Eis schmilzt, desto mehr Sonnenlicht wird in Wärme überführt und desto schneller schreitet letztlich auch die Erwärmung der Atmosphäre voran.“

Ziel: Bausteine für Klimamodelle gewinnen

Die gewonnenen Albedo-Messwerte sind nur ein kleiner Teil der vom Helipod gewonnen Messdaten – laut Pätzold insgesamt viereinhalb Terabyte. Derzeit werden diese aufbereitet. Wissenschaftlich ausgewertet werden sollen sie im Laufe der kommenden drei Jahre. Plakative neue Erkenntnisse mag Pätzold vorläufig nicht verkünden. Das Datensammeln ist eher Puzzlearbeit, macht er im Podcast deutlich. Wichtig seien diese Einzelteile dennoch: „All diese kleinen Bausteinchen sind dazu da, wenn man sie schön beschrieben hat, sie in die globalen Klimamodelle einzupflegen und diese so zu verbessern.“ Laut Pätzold ist dies ein Hauptzweck der Mosaic-Expedition.

Auch wenn bei den arktischen Mess-Flügen des TU-Forschers nicht alles wie gewünscht klappte, oft genug machte ihm das Wetter einen Strich durch die Rechnung, gab es beglückende Momente. Als „herausragend“ hat der Luftfahrt-Ingenieur die Zusammenarbeit mit seinen Kolleginnen und Kollegen in Braunschweig erlebt: „Wegen der begrenzten Vorbereitungszeit hatten wir die Messtechnik vorab nicht abschließend testen können“, erzählt er. Erst am Einsatzort sei dies möglich gewesen, unter Zeitdruck und mit äußerst knappen Mitteln. Die extrem geringe Internet-Bandbreite habe die Kommunikation mit Braunschweig auf das Allernötigste beschränkt. Dass das Teamwork trotzdem so gut und intensiv klappte, hat ihn beeindruckt.

Wie umfassend die Mosaic-Expedition Daten über das Klima der Arktis gesammelt hat, zeigt diese Grafik: vom äußeren Rand der Atmosphäre bis zum Meeresgrund. Ziel des Mammut-Unternehmens war es, Klima-Zusammenhänge besser zu verstehen. Nirgends erwärmt sich die Erde stärker als in den Polarregionen.
Wie umfassend die Mosaic-Expedition Daten über das Klima der Arktis gesammelt hat, zeigt diese Grafik: vom äußeren Rand der Atmosphäre bis zum Meeresgrund. Ziel des Mammut-Unternehmens war es, Klima-Zusammenhänge besser zu verstehen. Nirgends erwärmt sich die Erde stärker als in den Polarregionen. © Jürgen Runo | Alfred-Wegener-Institut (AWI)

Schokoladen-Engpässe auf der „Polarstern“

Neben der Forschung spricht Pätzold im Podcast auch ausführlich über das Leben an Bord und was es manchen Expeditionsteilnehmern abverlangte. Größer als die physischen Anforderungen, die durch passende Kleidung in der Regel gut zu handhaben waren, seien für manche die mentalen Herausforderungen gewesen. „Das ist schon etwas anderes als eine Kreuzfahrt. Man muss auf dem Schiff klarkommen – und vor allem mit sich selbst“, sagt er. Das habe nicht nur am mangelnden Schlaf gelegen, der längst nicht so gut wie an Land gewesen sei und „auf die Dauer an die Kondition“ gegangen sei. Mehr ins Gewicht falle das Abgeschnitten-Sein. Auch wenn stets über hundert Menschen an Bord waren, fallen Pätzold Raumfahrt-Vergleiche ein: „Die Menschen müssen miteinander klarkommen – wenn ich etwa an eine mögliche Reise zum Mars denke, sehe ich hier die größten Fragezeichen.“ Wie gut dies klappe, sei vorher kaum abzuschätzen. „Im Zweifelsfall zeigt sich das immer erst, wenn man dort ist.“

Whatsapp im Schneckentempo

Herausfordernd war auch der Kontakt zu den Angehörigen in Deutschland. Die Datenmengen per E-Mail waren streng begrenzt, zum Telefonieren standen an Bord lediglich zwei Satellitentelefone zur Verfügung. Die Kommunikation per Messengerdienst Whatsapp habe zwar auch funktioniert, so Pätzold, aber: „Je nördlicher wir waren, desto länger hat es gedauert. Bis eine Nachricht rausging und die Antwort zurückkam, konnten schon mal einige Stunden vergehen.“ Pätzold hat drei Kinder. Für die habe seine Mosaic-Teilnahme eine Mischung aus Stolz, Interesse aber auch Vermissen bedeutet.

Pätzold führte an Bord eines Hubschraubers Messungen in der Atmosphäre mit der Mess-Sonde „Helipod“ durch.
Pätzold führte an Bord eines Hubschraubers Messungen in der Atmosphäre mit der Mess-Sonde „Helipod“ durch. © TU Braunschweig | Christian R. Rohleder

Ursprünglich war eine Versorgung mit Nachschub alle zwei Monate geplant. Aber auch im höchsten Norden wirkte sich die Covid-19-Pandemie aus – in Form von Verzögerungen und Nachschub-Engpässen: Etwa vier Wochen lang sei die Schokolade, normalerweise in einem kleinen Laden auf dem Schiff erhältlich, knapp gewesen. „Da war durchaus Not am Mann“, erinnert sich Pätzold. Aber auf dem sich entspinnenden Schwarzmarkt auf der Polarstern sei weniger in klingender Münze bezahlt worden als in der Währung von Geselligkeit und netten Gesprächen. So hätten sich an Bord gute Freundschaften entwickelt, „bei einigen Menschen auch mehr“, sagt er geheimnisvoll.

Corona-Heimweh

Andere litten durch die Pandemie zusätzlich unter der Trennung von zu Hause. „Das hat sich für einige massiv negativ verstärkt“, berichtet Pätzold. „Manche haben sich Sorgen gemacht und wären dann lieber zu Hause gewesen als im arktischen Ozean.“ Er selbst sei mit der Situation auf der Polarstern gut zurechtgekommen, sagt er. Auch wenn er sich langfristig gut vorstellen kann, wieder in die Arktis zu reisen – „momentan bin ich noch dabei, mich zu erholen“.

Bemerkenswert ist Pätzolds Erinnerung an seine Rückkehr im August – in eine durch die Corona-Pandemie massiv veränderte Welt. Mit dem geschärften Blick von außen sei ihm vor allem eine fehlende Nüchternheit und Gelassenheit aufgefallen, berichtet er. „Die Aufgeregtheit und die vielen alternativen Erklärungsmöglichkeiten, die da aufgepoppt sind, fand ich schon überraschend.“ Gerade vor dem Hintergrund der Klimaveränderungen, „die zu deutlich größeren Einschnitten führen könnten als diese durchaus lästige, aber langfristig beherrschbare Pandemie“, habe ihn manche Debatte irritiert.