Braunschweig. Warum dem Ehrenamt gerade in Corona-Zeiten eine besondere Bedeutung zukommt, erklärt Niedersachsens Wirtschaftsminister Althusmann im Interview.

In Zeiten der Corona-Pandemie steht auch das ehrenamtliche Engagement vor besonderen Herausforderungen und erlangt zugleich eine besondere Bedeutung. Wie wichtig eine Anerkennungskultur ist, hat auch der diesjährige Gemeinsam-Preis gezeigt. Niedersachsens stellvertretender Ministerpräsident und CDU-Chef Bernd Althusmann hielt die Festrede im Braunschweiger Dom und erklärt im Gespräch mit Chefredakteur Armin Maus, warum das Ehrenamt für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft so wichtig ist.

Herr Althusmann, in Ihrer Festrede beim Gemeinsam-Preis haben Sie über die vertrauensbildende Funktion von Ehrenämtern gesprochen – das klingt nach einer sehr persönlichen Verbindung. Wie sind Sie mit dem Ehrenamt in Kontakt gekommen?

Ich bin als Pfarrerskind in einem evangelischen Pfarrhaus aufgewachsen. Da habe ich viel Gemeindearbeit mitbekommen. Mein Vater war unter anderem ehrenamtlicher Vorsitzender im Verein Herberge zur Heimat in Lüneburg. Er hat sich dort im Speziellen um Obdachlose gekümmert. Sich ehrenamtlich um Obdachlose zu kümmern, hat unsere Familie sehr geprägt. Als junger Mann habe ich mich hier und da eingebracht, meistens im sportlichen Bereich.

Es scheint auch so zu sein, dass das Ehrenamt eine geschlechterspezifische Komponente hat. Sie haben in Ihrer Rede gesagt, Männer seien eher im Sport und Frauen eher im sozialen Bereich zu finden. Ist das ein Problem – oder ist das einfach nur so?

Ach, ich glaube diese geschlechterspezifische Aufteilung mag wissenschaftlich untermauert sein, aber mir persönlich ist es nicht wichtig. Hauptsache, die 30 Millionen Ehrenamtlichen in Deutschland machen das mit Leidenschaft. Gerade in Corona-Zeiten sehen wir, was für eine hohe Bedeutung das Ehrenamt hat. Es ist etwas, das der Staat nicht leisten kann und tatsächlich auch nicht bezahlen kann. Die Wahrnehmung von Ehrenämtern zum Beispiel in Altenheimen empfinde ich in Zeiten einer Pandemie als eine besonders herausragende Leistung. Älteren Menschen mit Abstand in Heimen vorlesen oder ihnen zuhause mit Einkaufsdiensten helfen, gegen Vereinsamung kämpfen. Das finde ich ganz toll. Das zeigt Herz. Das ist in unserer Gesellschaft trotz anderer Behauptungen nicht verloren gegangen. Das macht mich froh.

Viele Ehrenamtliche sind im gehobenen Alter, also in der Risikogruppe. Kann man diesen Menschen gegenwärtig überhaupt noch raten, sich zu engagieren?

Ich hoffe, dass wir schnellstmöglich Impfstoffe bekommen. Ich empfehle jedem ehrenamtlich Tätigen, dass er die gängigen Hygieneempfehlungen einhält und nicht nachlässt – sofern man es mit der eigenen Gesundheit vereinbaren kann. Ich beobachte, dass Ehrenamtliche sowieso nicht fragen, was man dafür bekommt. Sie wollen einfach nur Freude bereiten, eine helfende Hand reichen. Das ist gerade in Corona-Zeiten wichtig.

Sie haben darüber gesprochen, wie wichtig das Ehrenamt für den Zusammenhalt in einer Gesellschaft ist. Welche Bereiche sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig? Wo könnte der Staat mehr tun, um ehrenamtliche Arbeit zu erleichtern?

Ich glaube, dass das Thema würdiges Leben im Alter eine zunehmende Herausforderung sein wird. Wir alle wissen, dass Pflegekräfte unter enormem Zeitdruck arbeiten. Dieses Stück Zeit, das ein Ehrenamtlicher schenkt, ist so wertvoll. Das kann eine Pflegekraft – bei allem Respekt vor der Leistung – schlicht nicht schaffen. Die menschliche Zuneigung, das miteinander Reden ist wichtig. Meine Mutter hat zum Beispiel beim Spazierengehen durch Lüneburg eine Frau kennengelernt, die sie nun jeden Tag auf Abstand trifft. Sie unterhalten sich einfach nur. Ehrenamtlich muss ich da an die grünen Damen in Krankenhäusern und an Hospizvereine denken. Da bringen die Menschen ihre Persönlichkeit mit ins Ehrenamt. Das bringt sie teilweise auch an die Grenze des Leistbaren. Sich um schwächere Menschen zu kümmern, ist der Kern des Ehrenamts.

Viele Menschen würden sich gerne engagieren, haben aber nicht so viel Zeit. Würde eine Freistellung vom Beruf für solche Zwecke helfen?

Natürlich versuchen wir als politisch Verantwortliche ein Stück weit das Ehrenamt anzuerkennen, indem man bestimmte Anreize schafft und Ehrenamtskarten für bestimmte Vergünstigungen ausstellt. Das Ehrenamt lebt im Kern von der Ehre des Amtes. Was kostet diese Ehre? Was wären wir bereit zu zahlen? Ich glaube, es würde ein Stück vom Ehrenamt genommen. Aber ja, Anreize zu schaffen für Menschen im Ehrenamt, ist wichtig. Da denke ich an die vielen ehrenamtlichen Feuerwehrleute. Da appelliere ich an die Arbeitgeber: Bitte geben Sie Ihren Angestellten in der Freiwilligen Feuerwehr mit voller Überzeugung ein paar Stunden, um dieses Ehrenamt ausfüllen zu können.

Es wird Sie gefreut haben, dass der Rückenwind-Preis, Teil des Gemeinsam-Preises, an die Dachdeckerei Kurt Schacht aus Wilsche im Landkreis Gifhorn ging, bei der zwei Drittel der Belegschaft bei der Freiwilligen Feuerwehr sind.

Besser geht es kaum.

Es wird oft vergessen, dass auch politische Arbeit weit überwiegend im Ehrenamt stattfindet. Ein Minister mit seinem Gehalt gehört eigentlich zur Minderheit politisch Aktiver. Obwohl die Ehre sicherlich groß ist, gibt es erkennbaren Nachwuchsmangel. Was brauchen wir, um auch zukünftig eine gerade auch kommunale Demokratie organisieren zu können?

Meine 13-jährige Tochter hat mich beim Lernen für eine Klausur gefragt, was Partikularinteressen sind. Ich habe ihr erklärt, dass es mit dem lateinischen „Pars“, also dem Teil zu tun hat und sich um ein Wort für Teilinteressen handelt, also dass man für eine Sache kämpft. Dann hat sie mich gefragt, was der Unterschied zum Wort Partei ist. In der Partei werden auch Interessen vertreten, aber sie versucht, sie breiter zu vertreten. Sie ist dafür da, um an der Willensbildung der Menschen in unserem Land mitzuwirken. Insofern haben Parteien – und so auch die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker – eine Funktion, die Gemeinschaft stiftet. Das erfährt manchmal nicht gut genug Wertschätzung. Ich war selber viele Jahre in unterschiedlichen Gremien, zum Beispiel im Ortsrat, Kreistag und Stadtrat. Immer wieder habe ich mich gefragt, wie viel Zeit ich in Sitzungen verbringe, um mich für das Gemeinwohl der Gemeinde einzubringen. Und dann wird man teilweise von den Bürgern schief angeschaut, weil man an den Punkt kommt, eine Entscheidung treffen zu müssen. Wird das Krankenhaus erweitert? Wird ein bestimmtes Pflaster auf dem Stadtmarkt verlegt? Das trifft natürlich nicht immer auf Zustimmung. Deshalb leisten Kommunalpolitiker einen tollen Dienst. Sie machen das nicht, weil sie dafür ein besonders hohes Entgelt bekämen. Viele Kommunalpolitiker, die ich kenne, bringen eigentlich eher Geld mit. Darum kann es also nicht gehen, sie machen es gerne.

Wie gewinnen wir denn nun den Nachwuchs? Wenn man auf Fridays For Future blickt, sieht man eine große Bewegung. Da gibt es die Motivation sich zu engagieren, und das nicht nur punktuell, sondern über Monate und Jahre. Müsste man nicht versuchen, aus diesem Beispiel zu lernen?

Wenn Menschen für eine Idee brennen und für ihre Überzeugung einstehen – auch wenn es manchen Älteren nicht passt – ist das ein riesiger Gewinn. Da kann ich nur meinen Respekt zollen. Und dieser Respekt bedeutet, dass man die jungen Menschen einbinden muss, sodass sie letztlich womöglich ihre Idee besser einbringen können, womöglich sogar in einer Partei. Da muss man einfach auch mal junge Menschen ranlassen. Wenn die abgeblockt werden von denjenigen, die immer schon wussten wie es geht und nicht bereit sind neue Wege zu gehen, dann werden sich junge Menschen für eine solche Partei nicht begeistern. Ich kann alle nur ermutigen, sich in einer Partei zu engagieren. Ich beobachte, dass die Zahl der Einzelinteressen zunimmt. Da gibt es dann Bewegungen für etwas oder gegen etwas. Es sollte uns ferner gelingen, aus einer Bewegung etwas Ganzes zu machen – zum Beispiel zu erkennen, dass Klima unweigerlich mit der Wirtschaft verbunden ist und solche Dinge nicht gegeneinander stehen müssen. Dass junge Leute sich engagieren – sei es bei Fridays For Future, in Parteien, in Jugendorganisationen oder beim Umweltschutz – finde ich super. Man muss jungen Menschen einfach mal zuhören. Was ich von meinen Kindern zu hören bekomme, lässt mich als 53-Jährigen immer wieder nachdenklich werden. Und da erkenne ich auch: Nicht alles, was ich bisher gemacht habe, ist auch stets und unverrückbar richtig gewesen.