Braunschweig. Weil den Schlachtbetrieben die Kapazitäten fehlen, bleiben die Mastschweine in den Ställen. Umdenken in der Branche wird gefordert.

„Wie würde es sich für die Einwohner Deutschlands auswirken, wenn Werkverträge in Fleischfabriken verboten wären?“ Das möchte unsere Leserin Almut Pütz aus Braunschweig wissen.
Ab 2021 sollen Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischbranche verboten sein. So die Pläne von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Welche Auswirkungen dies hätte: Das Personal der Subunternehmen müsste zu Tarifverträgen direkt bei den Schlachtbetrieben angestellt werden. Die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes der Fleischwirtschaft, Heike Harstick, argumentierte, dass es wegen des geplanten Verbots der Werkarbeit bereits einen Mangel an Arbeitskräften gebe. Das stieß auf Kritik der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, wie zuerst die Tageszeitung Taz berichtete. Es sei nicht plausibel, Personalprobleme auf ein Gesetz zurückzuführen, das noch nicht einmal verabschiedet ist, sagte ein Gewerkschaftssprecher.

Schlachtbetriebe in Niedersachsen arbeiten zurzeit nicht unter Volllast

Vor einem Problem steht die Branche zurzeit allerdings: Die Schlachtbetriebe in Niedersachsen arbeiten im Moment nicht unter Volllast. Die Gründe sind Corona-bedingte Schließungen, Arbeitsschutz- und Hygieneauflagen, Fachkräftemangel. Die Auswirkung: Allein in Niedersachsen können pro Woche 30.000 bis 40.000 Schweine nicht geschlachtet werden und bleiben in den Ställen. Es kommt zum sogenannten „Schweine-Stau“. Dieser trifft die gesamte fleischerzeugende Branche.

„Das Problem wird von Tag zu Tag größer“, sagt Frederik Böker im Gespräch mit unserer Zeitung. Der Landwirt aus Eickenrode in der Gemeinde Edemissen führt einen Schweinemastbetrieb mit 1960 Mastplätzen. Nun sollen zum ersten Mal seit zehn Tagen wieder Tiere zum Schlachten abgeholt werden. Normalerweise würden die schlachtreifen Schweine wöchentlich abgeholt. Da in seinem Betrieb die Buchten nur mit 15 statt der erlaubten 16 Tieren belegt sind, habe er noch keine Platzprobleme. Aber wenn es so weiter gehe, habe er bald zu viele Tiere im Stall. Und die könne man auch nicht einfach vorübergehend irgendwo anders unterbringen.

„Schweine-Stau“ trifft alle niedersächsischen Schweinehalter

Neben Böker betrifft der „Schweine-Stau“ nach Einschätzungen von Marktexperten wie Albert Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen mehr oder weniger alle 5200 schweinehaltenden Betriebe in Niedersachsen. Unabhängig davon, ob konventionell oder ökologisch wirtschaftend. Besonders hart treffe es dabei die 1700 Ferkelerzeuger.

„Die Sauen sind besamt. Eine Sau bringt 26 bis 30 Ferkel pro Jahr zu Welt“, beschreibt Böker die Situation. Das Dilemma der Ferkelerzeuger: Zum einen nehmen die Schlachtbetriebe wegen der geringeren Schlachtkapazitäten die Sauen nicht ab. Zum anderen kaufen Schweinemäster weniger Ferkel, weil auch ihre schlachtreifen Tiere nicht abgenommen werden. Laut Josef Efken vom Thünen-Institut in Braunschweig gehen Ferkel normalerweise mit einem Gewicht von 25 Kilogramm in den Schweinemastbetrieb. Wegen der Absatzprobleme blieben die Tiere nun länger beim Ferkelerzeuger, obwohl dessen Ställe für eine Mast nicht ausgelegt seien.

Preisniveau für Schweinefleisch ist gesunken

Das Problem setzt sich fort. Dadurch, dass die Schlachtbetriebe die schlachtreifen Schweine zurzeit nicht in dem Maße abnehmen, bleiben sie länger beim Schweinemastbetrieb. „Schweinemäster müssen die Marktanforderungen der Kunden in der Fleischwirtschaft möglichst optimal treffen. Das bedeutet: Schweine dürfen nicht zu leicht und nicht zu fett an den Markt gebracht werden“, teilt Hortmann-Scholten mit. Idealerweise wiegen die Tiere zwischen 115 und 125 Kilogramm, wenn sie zum Schlachter kommen.

Die Schweine werden in der Zwischenzeit natürlich weiter gefüttert. Sie werden größer und stehen dadurch in den Ställen enger zusammen. Zudem: „Die Fettschicht nimmt zu“, erklärt Efken vom Thünen-Institut. Die Folge: Die Landwirte bekommen ein Vermarktungsproblem. Da die Schweine kein Idealgewicht mehr haben, bezahlen die Schlachtbetriebe später weniger pro Tier.

„Zudem ist das allgemeine Schweinepreisniveau in Deutschland seit dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest um 20 Cent je Kilogramm Schlachtgewicht gesunken. Gegenüber dem Frühjahr bedeutet dies einen Erzeugerpreisrückgang von mehr als 37 Prozent“, erklärt Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer. Die internationalen Absatzmärkte wie China waren wegen der Schweinepest weggebrochen. Für Landwirt Böker bedeutet der Preisverfall konkret wöchentliche Einbußen im mittleren vierstelligen Bereich. Habe er vor Corona noch 185 Euro pro Tier bekommen, seien es jetzt noch 130 Euro. Auf die Fleisch- und Wurstpreise in den Supermärkten hatte dies aber bisher noch keinen Einfluss.

Hauptproblem: Fachkräftemangel in Schlachtbetrieben

Das Hauptproblem für den „Schweine-Stau“ besteht laut Hortmann-Scholten darin, dass die Fachkräfte in den Schlachthöfen fehlen. „Viele Hilfskräfte aus Bulgarien und Rumänien haben sich nach Arbeitsplätzen in anderen Branchen umgesehen“, erklärt Josef Efken. Es gibt die Diskussionen um die Arbeitsverhältnisse in den Betrieben.

Ein weiterer Grund sind die vorübergehenden Schließungen der Schlachtbetriebe, weil sich immer wieder Mitarbeiter mit dem Coronavirus infiziert hatten. Ein Beispiel ist der niedersachsenweit größte Betrieb in Sögel im Emsland. „Die coronabedingten Hygiene- und Arbeitsschutzmaßnahmen führen dazu, dass die maximale Schlachtkapazität teilweise im Extremfall nur noch 60 Prozent beträgt“, sagt Hortmann-Scholten.

Schlachtbetriebe in Niedersachsen dürfen an Sonn- und Feiertagen arbeiten

Die nun in Niedersachsen beschlossene Regelung, das Schlachtbetriebe auf Antrag auch an Sonn- und Feiertagen arbeiten dürfen, ist für Landwirt Böker keine Lösung des Problems. Denn auch dadurch würden die Arbeiter nicht mehr. „Wir müssen so schnell wie möglich zum normalen Schlachtbetrieb zurück“, fordert Böker. Nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur (DPA) gingen im Sozialministerium in Hannover bisher nur zwei Anträge für Sonntagsarbeit ein, die in dieser Woche genehmigt wurden. Danach dürfen die beiden Schlachthöfe bis Ende November sonntags arbeiten – ausgenommen ist allerdings der Reformationstag.

Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) hatte laut DPA in der vergangenen Woche auch auf eine Reduzierung der Schweinezucht gepocht. Schweinehalter müssten jetzt sofort ihre Produktion auf den vermutlich länger anhaltenden Engpass bei Schlachtung, Zerlegung und Vermarktung anpassen, hatte die Ministerin im Agrarausschuss gefordert. Allerdings: Die Landwirte könnten nicht so schnell umsteuern. Das sagte der Vizepräsident des Bauernverbands niedersächsisches Landvolk Jörn Ehlers Anfang des Monats. Die Zyklen von der Besamung der Sau bis zur Mast im Stall seien lang – „wir haben einen langen Bremsweg“.

Ob mit der „Reduzierung“ im Extremfall eine Ferkelschlachtung gemeint ist, bleibt offen. Es werde alles daran gesetzt, in dieser Lage Nottötungen von Schweinen zu verhindern, sagte die Landwirtschaftsministerin. Für den Eickenroder Frederik Böker steht jedenfalls fest: „Ich werde meine Tiere nicht töten.“

Umdenken in der Schweinezucht gefordert

Die SPD-Agrarexpertin Karin Logemann forderte unterdessen ein generelles Umdenken in der Schweinezucht, über die Notmaßnahmen in der Krise hinaus müsse die Ferkelproduktion verringert werden. Dazu müsse es finanzielle Anreize geben. Außerdem müssten wieder verstärkt kleinere und regionale Schlachtbetriebe geschaffen und die regionale Vermarktung gestärkt werden.

Könnte das eine Lösung des Dilemmas sein? „Wenn es einen Rückgang der Nachfrage gibt, dann ist zu vermuten, dass es als erstes Betriebe trifft, in denen die Schweinehaltung nicht so stark verbreitet ist“, äußert Marktanalyst Efken als Hypothese. Werden insgesamt weniger Tiere gehalten, dann müsse weniger Futter angebaut werden. Allerdings: „Es ist wissenschaftlich nicht haltbar, dass Großbetriebe gleich schlecht für die Tiere sind.“ Denn Landwirte, die auf Mastbetrieb spezialisiert seien, hätten ein größeres Know-how. So sei es auch in deren Interesse, dass es ihren Tieren gut gehe.