Braunschweig. Eine Mutter will ihren behinderten Sohn schützen. Sie verlangt einen Test für sich, aber niemand will ihr den zahlen. Würde ein Härtefallfonds helfen?

Frau K. will nicht, dass ihr Name in der Zeitung steht. Dann könne sie beruflich „einpacken“, sagt sie. Aber sie will, dass über ihren Fall berichtet wird. Unbedingt sogar. Sie sagt: „Es geht anderen Eltern auch so wie mir. Auch für die kämpfe ich. Ich fordere von der Politik doch nur Gerechtigkeit.“ Sie werde sich nicht abspeisen lassen, notfalls gehe sie auch bis „zur höchsten Stelle“. Nachgefragt, wen sie denn damit meine, sagt sie: „Ich habe schon überlegt, notfalls die AfD einzuschalten.“

Der Fall

Was ist passiert? K. lebt in Braunschweig. Sie hat einen schwerbehinderten Sohn, der in einer großen sozialen Einrichtung lebt. In der Zeit des ersten Lockdowns, Mitte März, seien sie und ihr Sohn durch die Hölle gegangen. Sie habe ihr Kind erst nur eine halbe, später eine Stunde besuchen dürfen. „Das hat mich wütend und traurig gemacht.“ Andere Bewohner, die teilweise künstlich ernährt werden müssten, hätten gar keinen Besuch erhalten. Das Pflegepersonal war dagegen sehr rührig, sagt K. Man habe sich den Kopf zerbrochen, nur um Bewohnern und Angehörigen das Leben etwas erträglicher zu machen.

Doch eine Angst habe damals alles diktiert, sagt die Braunschweigerin. „Was ist, wenn in das Heim das Virus hineingetragen wird? K. gefielen die Maßnahmen nicht, aber sie wollte ihr Kind schützen. „Was passieren kann, wenn Menschen nicht mehr verstehen, was Corona ist, hat man doch in dem Wolfsburger Altenheim gesehen“, sagt sie. Dort waren in einem Altenheim mit überwiegend schweren Demenzfällen fast 50 Menschen an Covid-19 gestorben. Auch hier soll das Virus von außen in die Einrichtung getragen worden sein, mit fatalen Folgen. Dieses Beispiel war K. Mahnung genug.

Monate später, es ist Sommer. Die Infektionszahlen sinken, die Maßnahmen werden gelockert. K. will ihren Sohn zwei Wochen nach Hause holen. Das ist mit der Heimleitung besprochen. Diese rät ihr, sich auf Corona testen zu lassen. Auch sie hält das für sinnvoll und richtig. „Ich arbeite im Bereich Personenschutz und Objektsicherung. Ich komme mit sehr vielen Menschen zusammen. Ich war berufsbedingt auf Veranstaltungen, bei denen auch der Abstand nicht eingehalten wurde. Ich hätte es mir nicht verzeihen können, meinen Sohn in seinem Urlaub mit Corona anzu-
stecken, zumal er Probleme mit den Bronchien hat“, erklärt sie. Der Test für ihren Sohn werde übernommen, heißt es aus der Einrichtung.

Die finanzielle Frage

K. lebt allerdings nicht auf Rosen gebettet. Im Gegenteil, das Geld reicht zu dieser Zeit hinten und vorne nicht aus. Sie ist Aufstockerin, trotz einer Anstellung erhält sie noch Unterstützung vom Arbeitsamt. Der Test ist für sie eigentlich nicht finanzierbar. Weil sie auf Nummer sicher gehen will, will sie neben dem üblichen PCR-Abstrich auch noch einen Antikörpertest machen lassen.

Vielleicht hatte sie Corona ja schon? Dann wäre es auch künftig leichter, ihren Sohn zu sich zu holen, glaubt sie. Gegenüber der Einrichtung ihres Sohnes erklärt sie zudem, sollte es zu einer Ansteckung kommen, werde der Sohn die Quarantäne bei ihr zu Hause verbringen. Das hätte mindestens 14 Tage Verdienstverlust zur Folge, den sie sich eigentlich nicht leisten kann. Die Tests werden am Ende 265 Euro kosten.

Die Wut wächst

Dann hört sie von den neuen Maßnahmen der Bundesregierung. Reiserückkehrer aus Risikogebieten erhalten einen kostenlosen Test. Sie schüttelt den Kopf. K. erklärt ihrem Hausarzt das Problem. Jetzt schüttelt er den Kopf. Er sehe keinen Anlass, in ihrem Fall einen kostenlosen Test anzuordnen. Auch im Gesundheitsamt der Stadt bekommt sie die gleiche Auskunft. Schließlich geht sie zu ihrer Krankenkasse, der DAK, bei der sie gesetzlich versichert ist. Auch hier nur der Verweis auf gesetzliche Verordnungen. Leistungen der Krankenkassen gelten in Deutschland nur für erkrankte Personen. Das gelte auch in der speziellen Situation der Pandemie. Gebe es keinen hinreichenden Verdacht und keine Überweisung des Hausarztes oder Anweisung anderer Behörden, müsse der Test aus der eigenen Tasche bezahlt werden, erklärt eine DAK-Mitarbeiterin in der Filiale in der Braunschweiger Innenstadt. Zwischenzeitlich hatte die Bundesregierung die kostenlosen Tests auch für Urlauber aus Nicht-Risikogebieten erweitertet. K. ist so wütend, sie könnte „nur noch heulen“.

Bei ihrem Chef findet sie Gehör. Der streckt ihr das Geld für den Test vor. Seitdem stottert sie es monatlich von ihrem Lohn ab. Wenigstens kann ihr Sohn sie jetzt besuchen. Ist das gerecht? Nein. Aber ist das rechtens?

Die Recherche

Die Recherche beginnt bei einer Nachfrage bei der Kassenärztlichen Vereinigung in Niedersachsen (KVN) und dem Bundesgesundheitsministerium nach Testpreis und Testumfängen. „Grundsätzlich werden Kosten von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen wenn...

1. Der Patient Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist

und außerdem...

2. wenn der Arzt einen Corona-Test wegen entsprechender Beschwerden für erforderlich hält.

3. wenn ein Krankenhaus vor einer geplanten Operation einen negativen Test verlangt. Hier muss der Test vom aufnehmenden Krankenhaus organisiert werden.

4. wenn die Corona-Warn-App ein „erhöhtes Risiko“ anzeigt.

5. wenn ich aus einem Risikogebiet nach Deutschland einreise (voraussichtlich nur noch bis zum 1. Oktober).

6. wenn ich generell aus dem Ausland einreise (voraussichtlich nur bis zum 15. September).

7. wenn das Gesundheitsamt eine Testung veranlasst und die Kostenübernahme durch das Amt geklärt wurde.“

Diese Punkte führt die KVN in einer schriftlichen Mail an. Das Bundesgesundheitsministerium verweist auf Nachfrage auf die eigene Internetseite. Unter der Überschrift „Die nationale Teststrategie“ werden im Kapitel „Wer getestet wird“ weitestgehend die Personengruppen aufgeführt, auf die sich auch die KVN beruft. Es gibt aber noch ergänzende Anmerkungen. Frau K. betreffen diese Regelungen nicht, aber ihr Sohn kann sich darauf berufen. Kostenlos getestet werden auch: „Patienten und Bewohner vor (Wieder-)Aufnahme in Krankenhäuser, stationäre Pflegeeinrichtungen, Behinderteneinrichtungen, Reha-Einrichtungen und sonstige Einrichtungen für vulnerable Gruppen sowie in der ambulanten Pflege.“ Oder auch: „Bewohnerinnen und Bewohner sowie Personal von Pflegeheimen sowie Patienten und das Personal im Krankenhaus und weiteren Einrichtungen stichprobenartig unabhängig von Fällen.“

Zur Teststrategie schreibt das Spahn-Ministerium: „Beim Testen ist ein zielgerichtetes Vorgehen wichtig. Testen ohne Anlass führt zu einem falschen Sicherheitsgefühl. Denn auch ein negativer Coronatest ist nur eine Momentaufnahme und entbindet nicht von Hygiene- und Schutzmaßnahmen (AHA-Formel). Testen ohne einen begründeten Verdacht erhöht außerdem das Risiko falsch-positiver Ergebnisse und belastet die vorhandene Testkapazität. Daher wollen wir verstärkt, aber auch gezielt, testen.“

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Die Position der Krankenkasse

Deutlich wird: Frau K. fällt hier durch ein Corona-Raster. Sie zu testen, wäre in den Augen des Ministerium ein anlassloser Vorgang. Das sagt auch K.’s Krankenkasse. Ein Sprecher der DAK erklärt, man müsse auch die Testkapazitäten im Auge haben. Man könne nicht alle Menschen testen. „Der Vorfall tut uns leid. Wir sind aber an Bundesverordnungen gebunden“, so der Sprecher weiter. Antikörpertests würden ganz generell von gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland nicht bezahlt. Das bestätigt auch die KVN, als Preis für einen PCR-Test gibt die DAK zwischen 120-160 Euro an.

Noch einmal nachgefragt im Ministerium in Berlin, verweist eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministers darauf, sich generell nicht zu Einzelfällen zu äußern. Aber auch die nach der Perspektive, ob Personen wie Frau K. künftig eventuell kostenlos getestet werden könnten, um Angehörige vor Corona zu schützen, bleibt mit dem Verweis auf die Teststrategie der Bundesregierung unbeantwortet.

Rotes Tuch: Jens Spahn

K. ist generell nicht gut auf Gesundheitsmister Jens Spahn zu sprechen. Dass dieser schon zu Beginn der Pandemie erklärt hatte, man werde sich „in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen“, lässt K. nicht gelten. Seine Einlassungen zuletzt, mit dem Wissen von heute werde man keine Alten- und Pflegeheime mehr für Angehörige schließen, kann K. auch nicht beruhigen. Auch dass nun bei den Reiserückkehrern eine Rolle rückwärts gemacht wird, ist für sie kein Grund, mit Spahn nachsichtig zu sein. Ihr Glauben in die Maßnahmen der Politik ist schwer erschüttert. Ihr Fall zeigt sehr eindrücklich, was Corona schwierig macht. Sogar ihre Krankenkasse gibt das zu. „Corona ist so vielschichtig, es trifft die Menschen sehr individuell, so dass generelle Verordnungen manchmal einfach ins Leere laufen“, erklärt der Pressesprecher.

Hilft ein Härtefallfonds?

Christos Pantazis, Arzt, Landtagsabgeordneter der SPD in Niedersachsen und SPD-Chef in Braunschweig, hat sich dem Fall von Frau K. angenommen, hat mit ihr am Wochenende telefoniert. Er hält den Vertrauensverlust einzelner Bürger für folgerichtig, wenn man sich Fälle wie den von Frau K. anschaue und Entscheidungen des Bundes zu Corona gegenüberstelle. Sehr missfallen hat Pantazis insbesondere der Umgang mit den Reiserückkehrern. Er spricht in dem Zusammenhang von einer Politik „rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“. Gesundheitsminister Spahn habe hier „übereifrig und falsch“ gehandelt. „ „Menschen, die wissentlich in ein Corona-Risikogebiet fahren, müssen am Ende den Test selbst zahlen. Das habe ich von Beginn an gesagt. Ich glaube auch, wer sich Mallorca leisten kann, kann auch den Test bezahlen.“ Das Land Niedersachsen koste diese falsche Teststrategie täglich zwischen 30.000 und 40.000 Euro, sagt er.

Das, was Frau K. geschehen sei, widerstrebe seinem „Gerechtigkeitssinn auf ganzer Linie“. Pantazis versprach, sich in Hannover dafür einzusetzen, dass Fälle wie dieser über einen eingesetzten Härtefallfonds künftig bezahlt werden können. Die Auflegung eines solchen Fonds könne auch mit Hilfe einer Petition zustandekommen. Er habe vor, mit seiner Parteifreundin, Gesundheitsministerin Carola Reimann, darüber zu reden. Hoffnung macht Pantazis, dass bald Corona-Schnelltests für die Bevölkerung bereit stehen könnten. Der Schweizer Konzern Roche sei schon sehr weit. „Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass diese Tests von ihrer Sensitivität vergleichbar mit dem PCR-Verfahren sind. Wir wissen dann schneller, wer infektiös ist und in Quarantäne muss. Wir können dann mehr Menschen für einen günstigeren Preis testen.“ Auch das hätte Frau K. geholfen.

Die Einschätzung der Ministerin

Auch Ministerin Carola Reimann (SPD) äußert sich schriftlich gegenüber unserer Zeitung zu dem Fall. Sie spricht davon, dass es verständlich sei, wenn ein Gefühl entstehe, es würde mit zweierlei Maß gemessen.

Auch Reimann bezieht sich hier auf den Umgang mit Reiserückkehrern. Sie sei persönlich immer der Ansicht gewesen, dass die Betroffenen zumindest einen Eigenanteil an den Kosten hätten tragen müssen. „Dies wurde seinerzeit nach langen und sehr kontroversen Debatten zwischen Bund und Ländern anders entschieden, auch um zu verhindern, dass sich viele Reisende den Testungen entziehen.“

Zum Fall von Frau K. sagt sie: „Es ist leider in der Tat so, dass die Bundesverordnung im geschilderten Fall keine Übernahme der Testkosten vorsieht, inwieweit hier Änderungen vorgenommen werden, ist heute noch nicht absehbar. Die geschilderten Kosten für die Testungen in Höhe von 265 Euro sind allerdings völlig unangemessen und viel zu hoch angesetzt. Ich werde hier noch einmal das Gespräch mit der Kassenärztlichen Vereinigung suchen und klarstellen, dass sie auf ihre Mitglieder einwirken muss, dass solche ausufernden und nicht zu rechtfertigenden Beträge nicht in Rechnung gestellt werden.“

Frau K. hofft, dass den Worten auch Taten folgen. Sie würde sich freuen, „positiv von der Politik überrascht zu werden“. Um das Geld sei es anfänglich gegangen. Jetzt gehe es um viel mehr, sagt sie. Um Gerechtigkeit und darum, aus den Fehlern der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen. „Was ich erlebt habe, soll keinem anderen passieren.“