Braunschweig. Nach Wochen der Isolation reichen immer mehr Pflegeheime in unserer Region Hygienekonzepte ein, um den Kontakt zu Angehörigen zu ermöglichen.

Im Alten- und Pflegeheim Christinenstift können sich Bewohner und Besucher endlich wieder in die Augen schauen. Treffpunkt ist das Café Mühlenblick der Gifhorner Einrichtung: Von der einen Seite dürfen Auswärtige den Raum betreten, von einer anderen die Heiminsassen. Sie werden durch eine Plexiglasscheibe voneinander getrennt, zum Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus. Es ist eine Begegnung auf Distanz. „Aber immerhin ist ein Besuch so wieder möglich“, sagt Ingetraut Steffenhagen, Sprecherin der Diakonie Kästorf, unter deren Dach die Einrichtung betrieben wird.

Auch andere Heime wie das Senioren- und Pflegezentrum Bethanien in Braunschweig lassen Besuche in diesen Tagen wieder zu – in einem abgegrenzten Raum. Besucher müssen einen Schutzkittel, eine Gesichts-Maske und Handschuhe tragen und auf Umarmungen mit ihren Angehörigen verzichten: Der Mindestabstand muss gewahrt bleiben. Außerdem darf pro Person nur ein Besucher kommen und dieser muss sich unbedingt vorher anmelden. Es sind strenge Auflagen, aber nach Wochen der Isolation öffnen sich die Pflegeheime für Besuche von außen, wenn auch in kleinen Schritten.

Für Heimbewohner und Angehörige endet eine psychische Belastungsprobe

Für viele Angehörige, aber auch für die Pflegebedürftigen in den Heimen ist das eine gute Nachricht: Für sie endet eine psychische Belastungsprobe. Mitte April hatten die Vorstände der Diakonie Kästorf, Jens Rannenberg und Hans-Peter Daub, in einem Brandbrief an Sozialministerin Carola Reimann auf die Folgen der Isolation hingewiesen. „Für wenige ist Kontakt so überlebenswichtig wie für Seniorinnen und Senioren in der Situation der Pflegebedürftigkeit. Ihnen Kontaktmöglichkeiten zu verwehren, steht je länger je mehr in keinem Verhältnis zur Gefahr einer Erkrankung“, hieß es. Seit Wochen macht das Land nun Druck, dass sich die Heime öffnen.

Doch viele Angehörige sind verwirrt: Es gibt keine einheitliche Regelung. Während ein Heim bereits Besuche unter Auflagen anbieten kann, bleiben die Türen eines anderen in derselben Stadt noch verschlossen. Hintergrund ist, dass die Einrichtungen den Gesundheitsämtern der Städte und Landkreise erst Hygienekonzepte vorlegen müssen, um Infektionen mit dem Coronavirus zu vermeiden.

„Noch machen nicht alle von dieser Möglichkeit Gebrauch“, sagt ein Sprecher des Sozialministeriums in Hannover. Bei der nächsten Änderung der Corona-Verordnung soll Heimbewohnern ein Recht eingeräumt werden, von einer ausgewählten Person Besuch zu empfangen. Dafür seien Pläne unerlässlich, wie der Schutz vor Infektionen in den Einrichtungen gewährleistet werden kann. „Wir haben deshalb am vergangenen Freitag alle Pflegeheime in Niedersachsen dazu aufgefordert, entsprechende Hygienekonzepte zu erstellen.“ Nach einem zögerlichen Start sind nun mehr und mehr Einrichtungen dabei, solche Konzepte zu entwickeln.

Immer mehr Heime in der Region reichen Besuchskonzepte bei den Ämtern ein

In Wolfsburg haben bislang sechs von 13 Heimen entsprechende Besuchskonzepte eingereicht, die vom Gesundheitsamt derzeit intensiv geprüft werden. In Salzgitter sind es sogar 12 von 15 Einrichtungen, die Konzepte wurden von der Stadt bereits genehmigt. Auch in Braunschweig können Bewohner und Besucher in fast allen Heimen mit Lockerungen rechnen: Bis auf zwei Einrichtungen haben alle ein entsprechendes Konzept eingereicht, heißt es bei der Stadt. Auch Wohnheime der Behindertenhilfe sowie von Pflege-Wohngemeinschaften hätten welche vorgelegt. Rund die Hälfte aller eingereichten Konzepte sei inzwischen gesichtet und bewertet worden. „Ein Großteil konnte direkt genehmigt, bei wenigen muss konzeptionell nachgebessert werden“, sagt Sprecher Adrian Foitzik. Somit dürfen in bestimmten Einrichtungen seit dem 7. Mai wieder Besuche erfolgen. Bis Ende dieser Woche würden alle zwischenzeitlich noch eingegangenen oder nachgebesserten Konzepte geprüft. Es gibt in Braunschweig etwa 35 der genannten Einrichtungen.

Bei der Beurteilung der eingereichten Hygienekonzepte orientieren sich die Gesundheitsämter in Braunschweig wie auch in vielen anderen Städten an den Vorgaben des Sozialministeriums sowie des Landesgesundheitsamtes. Danach sollte jeder Besuch registriert werden mit Namen, Adresse und Telefonnummer; die Dauer beschränkt sein. Auch müssen Besucher einen Mund-Nasen-Schutz tragen, sich die Hände desinfizieren, wenn sie eine Einrichtung betreten und verlassen und einen Abstand einhalten, mindestens 1,5 Meter mit entsprechender Barriere wie Tisch, Trennwand oder Markierung.

Heime können sich nur schrittweise öffnen

Wie die Heime die Konzepte umsetzen, ist sehr unterschiedlich. „Nicht jede Einrichtung hat die Möglichkeit, abgetrennte Besucherräume zu schaffen“, sagt Falk Hensel vom Awo-Bezirksverband Braunschweig. Die Arbeiterwohlfahrt ist Träger von elf Pflege- und Seniorenheimen in der Region. Grundsätzlich sieht sie es kritisch, das Besuchsverbot direkt in den Einrichtungen aufzuheben, spricht sich für ein gestuftes Vorgehen aus. Zunächst müssten die Besuche kontaktarm oder kontaktfern gestaltet werden. Je nach Fallzahlen würden weitere Schritte der Öffnung dann geprüft.

Tatsächlich ist das Aufheben des Besuchsverbots in Pflegeheimen besonders heikel. Alte Menschen oder solche mit Vorerkrankungen zählen zur Risikogruppe, in den vergangenen Wochen hat es zahlreiche Todesfälle in Senioren-Einrichtungen gegeben, die im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung stehen. Auch in einem Awo-Heim in Braunschweig gab es fünf Todesfälle. „Es geht hier um eine Risikoabwägung“, sagt Katharina von Croy, Sprecherin des Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) Nordwest. „Auf der einen Seite steht nach wie vor das Risiko, dass das Virus in eine Einrichtung eingeschleppt wird – mit den bekannten, verheerenden Folgen.“ Auf der anderen Seite stehe die Vereinsamung und die soziale Isolation der Bewohner, die ebenfalls gesundheitliche Folgen wie Depression und Apathie habe. Bei dem hohen Anteil von Menschen mit Demenz bestehe zudem die Gefahr, dass diese sich von ihren Angehörigen entfremden. Grundsätzlich befürwortet der Verband deshalb Kontakte zwischen Bewohnern und Angehörigen – allerdings nur unter strengen Auflagen. Auch regelmäßige Corona-Tests für Pflegekräfte wären eine gute, ergänzende Schutzmaßnahme.

Sozialministerium will Tablets zur Verfügung stellen

Schon jetzt hatten viele Heime Wege gefunden, ihren Bewohnern Kontakt zu Angehörigen zu ermöglichen. Das Senioren- und Pflegezentrum Bethanien in Braunschweig etwa hatte ein Besuchsfenster eingerichtet: Angehörige konnten mit ihren Liebsten sprechen, ohne dass sie die Einrichtung betreten mussten.

Auch haben viele Einrichtungen Tablets zur Verfügung gestellt. Niedersachsens Sozialministerin Reimann kündigte am Dienstag gemeinsam mit den Pflegekassen Tablets für alle Heime an. 40 Prozent der Kosten sollen von den Kassen getragen werden und 60 Prozent vom Land. So könnten Pflegebedürftige ihren vertrauten Arzt sprechen, sagte Reimann im Landtag. „Das wird ihnen gut tun.“ Zugleich hätten sie dann die Möglichkeit, zum Beispiel via Skype mit den Angehörigen zu telefonieren.

Wie der Kontakt zwischen Heimbewohnern und Angehörigen weiter ausgebaut werden kann, ist auch Thema im Innovationslabor der Awo in Braunschweig. Vertreter aller Verbände, des Landesgesundheitsamts und des Sozialministeriums arbeiten derzeit an entsprechenden Lösungen. Unter anderem geht es darum, wie Angehörige von Heimbewohnern im Umgang mit digitalen Medien geschult werden können. „Es nützt nichts, wenn wir Heime mit Tablets ausstatten, aber etwa die Partner von Bewohnern nicht wissen, wie Videotelefonie funktioniert“, sagt Falk Hensel vom Awo-Bezirksverband. Die Ergebnisse des Innovationslabors sollen in den nächsten Tagen vorgestellt werden.

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