Braunschweig. Zukunft der Medizin: Intelligente Wohnungen, sogenannte Smart Homes, können pflegebedürfigen Patienten mehr Eigenständigkeit ermöglichen.

Wenn die ältere Frau nachts aufsteht und auf die Toilette muss, schaltet sich das Licht auf dem Weg dorthin automatisch ein – und später wieder aus. Klingelt es, zeigen das auch die Lampen in ihren Zimmern. Herd und Licht werden ausgeschaltet, wenn sie die Wohnung verlässt. Und sollte sie stürzen, registriert das ein Sensor an ihrer Kleidung, er sendet einen Notruf an eine Sozialstation, an ihren Hausarzt oder an eine bestimmte Kontaktperson.

„Eine intelligente Wohnung ermöglicht älteren und kranken Menschen künftig, länger allein und selbständig in ihren eigenen vier Wänden wohnen zu bleiben“, sagt Professor Reinhold Haux vom Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik, das von der TU Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover gemeinsam getragen wird.

Die ältere Frau ist ein fiktives Beispiel, aber die Wohnung der Zukunft gibt es schon: Forscher haben sie gemeinsam mit der Nibelungen Wohnbau GmbH im Erdgeschoss eines Wohnbaus in der Bochumer Straße in Braunschweig eingerichtet. Auch auf den anderen Etagen gibt es intelligente Appartements ebenso wie an anderen Standorten in Seesen oder Goslar. Studenten und Wissenschaftler untersuchen darin unter anderem, wie man betreutes Wohnen, aber auch medizinische Diagnose und Therapie unterstützen kann. Die Räume sind voll mit moderner Informationstechnologie, doch man muss schon genau hinschauen, um etwa die vielen Sensoren, Bewegungsmelder und Schalter an Fenstern, Türen oder Heizungen zu entdecken. Alles ist miteinander vernetzt und verbirgt sich hinter den konventionellen Schaltern und Steckdosen.

Haux steht mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Jonas Schwartze vor einem riesigen Bildschirm. Darauf kann man sehen, wie sich Personen durch den Raum bewegen, Fenster öffnen, die Zimmertüren schließen. Die Modellwohnungen unterstützen aber auch, den Verbrauch von Strom, Heizenergie und Wasser zu steuern und damit Ressourcen zu sparen. „Aus den Daten lassen sich Tagesabläufe, Verhaltensmuster und Routinen ermitteln – von alten und pflegebedürftigen Personen oder solchen, die unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen leiden“, erläutert Haux. Ziel sei es, sich ein Bild von deren Gesundheitszustand zu machen. Verbringen diese zum Beispiel auffällig viel Zeit im Schlafzimmer und gehen selten aus dem Haus? Das könnte ein Warnzeichen sein, eine frühe Hilfe eingeleitet werden.

Die Informationen stellen aber auch einen massiven Eingriff in die Privatsphäre dar; schließlich lassen sich so intimste Details erkennen. Haux sieht diese Gefahr, weist aber zugleich auch auf Möglichkeiten hin, wie Datensicherheit und informationelle Selbstbestimmung so weit als möglich garantiert werden kann. Denn Informationen dürfen nur autorisierten Personen zugänglich sein, dem Arzt etwa, einem Angehörigen oder dem Pflegedienst. „Ohne Kenntnis und Zustimmung des Bewohners verlässt erstmal keinerlei Information die Wohnung.“ Ein Online-Zugriff auf die Gesundheitsdaten von außen sei nicht vorgesehen.

Am Ende biete eine intelligente Wohnung großen Nutzen. So habe eine Untersuchung mit 23 Sturzpatienten vor einigen Jahren bereits ergeben, dass die Patienten mithilfe der Technik besser alleine in der Wohnung zurechtkommen können. Daten solcher Sensoren können außerdem für eine Prognose einer erneuten Sturzgefahr genutzt werden. Zudem haben Ärzte die Möglichkeit, sich über die Telemedizin mit dem Patienten zu verbinden, mit ihm zu sprechen und sich über dessen Befinden zu informieren. „Angesichts des demografischen Wandels und des technischen Fortschritts ist die Einrichtung von intelligenten Wohnungen nur eine Frage der Zeit“, ist Torsten Voß, Geschäftsführer der Nibelungen-Wohnbau, deshalb überzeugt. Angesichts des Fachkräftemangels etwa in der Pflege könnten sie als Assistenten im Gesundheitssektor helfen, eine medizinisch hochwertige Versorgung in den eigenen vier Wänden aufrechtzuerhalten.

Ziel der Wissenschaftler ist es daher nun, die Forschungswohnungen in der Praxis zu erproben, also mit echten Patienten und zusammen mit Partnern wie dem Klinikum Braunschweig, ambulanten Ärzten, Pflegediensten. „Bis 2030 wollen wir 1000 Wohnungen mit intelligenter Technologie ausstatten“, kündigt Schwartze an.

Dem Projekt stehe nichts im Weg, betont auch Voß von der Nibelungen-Wohnbau: „Unsere Neubauwohnungen sind bereits so vorbereitet, dass man problemlos die Wohnungen der Patienten mit intelligenter Technik nachrüsten könnte.“