Braunschweig. Germanist: Der Klimawandel lässt uns den drohenden Verlust des Schnees spüren. Schon heute Schnee zu Weihnachten eher Ausnahme als Regel.

Das Bild der „weißen Weihnachten“ hat sich verselbständigt. Nur weil seit dem 20. Jahrhundert Weihnachts-Postkarten mit Schneelandschaften gezeichnet werden, erwarten wir vom eher herbstlichen Monat Dezember plötzlich Schnee.

Dies schreibt unser Leser Peter Senftleben auf den Facebook-Seiten unserer Zeitung.

Zum Thema recherchierte Andreas Eberhard

Früher war mehr Schnee. Mit Blick auf den ganzen Winter, stimmt das durchaus, sagt Andreas Friedrich von Deutschen Wetterdienst. Aber was „weiße Weihnachten“ angeht, ist die Sache keineswegs so einfach. „Die haben wir in Deutschland im Schnitt alle zehn Jahre“, sagt er gegenüber unserer Zeitung, „aber daran hat sich in den vergangenen zwanzig bis dreißig Jahren nichts geändert“.

Je höher, desto kälter, desto wahrscheinlicher der Schnee

Braunschweig liegt mit zehn weißen Weihnachten in den letzten siebzig Jahren leicht über dem von Friedrich genannten Schnitt. Trotzdem zeigen die Zahlen: Schneebedeckte Städte, Dörfer und Landschaften sind im deutschen Flachland klar die Ausnahme. Erst mit zunehmender Höhe – und Kälte – steigt die Wahrscheinlichkeit. Im Harz etwa liegt die Wahrscheinlichkeit für eine geschlossene Schneedecke über die Weihnachtstage laut DWD je nach Höhenlage bis zu 80 Prozent. „Auf dem Brocken ist es im Schnitt 7 bis 9 Grad kühler als unten“, sagt Friedrich. Diesseits des Harzes dagegen liegt die Wahrscheinlichkeit weißer Weihnachten in unserer Region bei gerade mal 15 Prozent. „Würde das Fest einen Monat später stattfinden, stünden die Chancen auf weiße Weihnachten deutlich besser“, so Friedrich. Die Wochen Ende Januar, Anfang Februar sind die kältesten des Jahres.

Zu Weihnachten dagegen ist es oftmals sogar ungewöhnlich warm. Das belegen die Langzeitbeobachtungen des DWD. „Am sogenannten Weihnachts-Tauwetter ist etwas dran“, sagt Friedrich. Nicht selten sorgten milde Westwind-Wetterlagen sogar für zweistellige Plus-Grade. „Warum das gerade um Weihnachten oft so ist, können wir nicht sagen.“

Globale Sehnsucht nach weißen Weihnachten

Trotzdem sind die weißen Weihnachten ein Sehnsuchtsort – besungen längst nicht nur von US-Schmacht-Sänger Bing Crosby in „White Christmas“. Und das ist längst nicht nur in Deutschland oder den USA der Fall, weiß Jan Röhnert, Literaturprofessor an der TU Braunschweig. „Selbst in Weltregionen, wo praktisch nie Schnee fällt, findet man das.“ Der Germanist erklärt sich dies auch mit dem globalen Siegeszug der „Idee des Weihnachtsmannes“ – mit allem, was dazugehört: Wohnort Nordpol, Schlitten, Rentiere. „Walt Disney lässt grüßen.“ Auch dass es bei Weihnachten immer weniger um die eigentliche christliche Botschaft gehe, kommt der Schnee-Romantik womöglich zugute: „Je stärker Weihnachten säkularisiert wird“, so Röhnert, „desto mehr treten Randaspekte – wie Schnee – in den Vordergrund.“

Je stärker Weihnachten säkularisiert wird, desto mehr treten Rand­aspekte wie Schnee in den Vordergrund, sagt der Literaturwissenschaftler Jan Röhnert vom Institut für Germanistik der Technischen Universität Braunschweig
Je stärker Weihnachten säkularisiert wird, desto mehr treten Rand­aspekte wie Schnee in den Vordergrund, sagt der Literaturwissenschaftler Jan Röhnert vom Institut für Germanistik der Technischen Universität Braunschweig © Andreas Eberhard

Mit Voranschreiten des Klimawandels ist davon auszugehen, dass weiße Weihnachten noch seltener werden als ohnehin. Das sagt der DWD-Mann Andreas Friedrich. Literaturwissenschaftler Röhnert mutmaßt, diese Entwicklung könnte der Sehnsucht nach weißen Weihnachten noch zusätzlichen Schub verleihen. Erst wenn etwas Gefahr laufe, zu enden, werde man sich des drohenden Verlusts recht bewusst. „Was wollen wir in Zeiten des Klimawandels an Stelle der Idee der weißen Weihnachten setzen?“, fragt er sinnierend. „Vielleicht die Melancholie des Verlorenen? Verständlich, dass wir unsere alte Vorstellung ungern aufgeben.“

Anders als in „White Christmas“ gibt es in der anspruchsvollen „Höhenkammliteratur“ laut Röhnert nur vergleichsweise wenige direkte Bezüge zu Weihnachten. „Schnee kommt hier vor allem unter dem Blickpunkt des Elementaren in die Sprache“, sagt er. Der Winter biete Literaten häufig Anlass, sich extremen Naturbedingungen zu stellen – etwa Goethe mit dessen „Harzreise im Winter“. Der Lyriker Rolf Dieter Brinkmann (1940 bis 1975) habe sich dem Thema Schnee wiederholt aus dem Blickwinkel der Zen-Philosophie zugewandt: „Bei ihm steht der Schnee in einem positiven Sinn für das unbeschriebene Blatt. Der weiße Schnee heißt hier Neuanfang: Alles ist möglich.“ Diese Sichtweise sei in gewisser Weise wieder anschlussfähig an christliche Motive von Unschuld oder Erleuchtung: „Wenn ich an Engel denke, fällt mir auch zuallererst weiß – die Farbe des Schnees – ein“, assoziiert Röhnert.

Zwei Kinder werden fast unter Schneemassen begraben

Eine Geschichte, in der Schnee und Weihnachten untrennbar verbunden sind, ist „Bergkristall“ von Adalbert Stifter (1805 bis 1868). In der ergreifenden Erzählung, wohl der bekanntesten des österreichischen Biedermeier-Dichters, verirren sich zwei junge Geschwister am Heiligen Abend im Hochgebirge. Es wird immer kälter, das Schneetreiben immer dichter, was dazu führt, dass die Kinder statt in Sicherheit in immer eisigere Höhen laufen. Nach einer großen Suchanstrengung werden die Geschwister am Weihnachtsmorgen schließlich unversehrt gerettet. Die Bewohner zweier bisher verfeindeter Dörfer, versöhnen sich, nachdem sie beide an der erfolgreichen Aktion beteiligt haben. Die gemeinsame Sorge um die verloren gegangenen Kinder verändern die Menschen so, dass sie einander näherkommen.

„Die enormen Schneemassen, unter denen die Kinder fast begraben werden, stehen hier für die elementaren Naturgewalten“, deutet Jan Röhnert. Weihnachten werde in der Erzählung gleichbedeutend mit Rettung und Versöhnung. Die Bedrohung durch Naturgewalten als Anlass für die Menschen, sich zu besinnen und einander näherzukommen. „Vielleicht“, sagt Röhnert, „ist das eine Dimension des Themas, die heute angesichts des Klimawandels wieder besonders aktuell ist“.

Weiße Weihnachten in unserer Region

Definition des DWD: „Weiß“ sind Weihnachten, wenn vom 24. bis 26. Dezember um 7 Uhr eine geschlossene Schneedecke von mindestens 1 Zentimeter liegt

In Braunschweig gab es seit 1950 in den Jahren 1950, 1956, 1981, 1986, 1993, 1995, 1996, 2000, 2001 und 2010 weiße Weihnachten. 1960 gab es immerhin Heiligabend und am ersten Weihnachtstag Schnee.

In Gifhorn gab es seit 1979 in den Jahren 1981, 1986, 1993, 1996, 2000, 2001, 2009 und 2010 weiße Weihnachten.

Für Goslar liegen nur Messdaten für die Jahre 1981 bis 2006 vor. In dieser Zeit gab es 1981, 1986, 1995, 1996, 2000 und 2001 weiße Weihnachten. 1993 und 2003 gab es je zwei Weihnachts-Schneetage.