Braunschweig. Klimaserie: Im Interview spricht DLR-Vorstand Professor Karsten Lemmer über Energieeffizienz, die Verkehrswende und neue Speichertechnologien.

Bei Energieeffizienz denkt jeder an etwas anderes: an den Kühlschrank mit Energieklasse A-Plus, an Gebäudedämmung oder an den Spritverbrauch des eigenen Autos. Aber ihrer genauen Bedeutung für die Energiewende sind sich wohl die wenigsten bewusst. Erneuerbare Energien effizient und steuerbar bereitzustellen und den Verkehr sicherer und effizienter zu gestalten, daran forschen Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Wir sprachen mit Prof. Karsten Lemmer, Energie- und Verkehrs-Vorstand des DLR.

Herr Prof. Lemmer, würden Sie uns bitte noch einmal erklären, was Energieeffizienz eigentlich ist?

Das ist eine spannende Frage. Bei Energieeffizienz geht es um die Kette vom Energieträger bis zur End­energie, also etwa dem Strom aus der Steckdose. Auf diesem Pfad wird die Energie oft mehrfach umgewandelt. Bei jedem dieser Schritte gibt es einen Verlust an nutzbarer Energie. Diese Verluste, die physikalisch unvermeidbar sind, möchte man natürlich möglichst klein halten. Je besser dies gelingt, desto größer ist die erreichte Energieeffizienz. Die Frage am Ende ist: Wieviel Energie-Rohstoff, zum Beispiel Kohle oder Erdöl, muss ich einsetzen, um eine bestimmte Form der Endenergie, zum Beispiel Wärme oder Strom, zu erzeugen?

Mit der Bereitstellung der Endenergie durch den Versorger endet die Kette ja nicht. Was passiert anschließend?

Das hängt davon ab, was ich vorhabe. Wenn ich einen Raum auf 20 Grad heizen möchte, stellt sich die Frage: Wie erzeuge ich diese Wärme? Und: Wieviel Energie muss ich aufwenden, um die gewünschte Temperatur konstant zu halten? Letzteres ist eine Frage der Isolierung. Wenn ich immer das Fenster offen halte oder mein Haus schlecht isoliert ist, gelingt es mir vielleicht, den Raum auf 20 Grad zu halten. Allerdings benötige ich dafür deutlich mehr Energie. Bei Energieeffizienz geht es also darum, den gesamten Pfad so zu gestalten, dass das Verhältnis zur eingesetzten Primärenergie und zu dem, was man damit vorhat, möglichst günstig ist.

Im Vorstand des DLR ist Prof. Dr.-Ing. Karsten Lemmer verantwortlich für die Bereiche Energie und Verkehr.
Im Vorstand des DLR ist Prof. Dr.-Ing. Karsten Lemmer verantwortlich für die Bereiche Energie und Verkehr. © DLR | DLR (CC-BY 3.0)

Haben Sie noch ein Beispiel?

Ein schönes Beispiel ist die Veränderung der Leuchtmittel. Die früher massenweise eingesetzten Glühlampen gaben einen großen Teil ihrer Energie als Wärme ab. Wenn man allein aufs Licht schaut, sind die heutigen LEDs extrem energieeffizient, weil sie mit einem kleinen Teil der elektrischen Leistung die gleiche Lichtleistung schaffen wie eine Glühlampe. Betreibt man dagegen eine Glühlampe im Winter, muss man gar nicht so ein schlechtes Gewissen haben. Denn wenn man eine automatisch geregelte Raumtemperatur hat, führt die Glühlampe dazu, dass man weniger heizen muss.

Das heißt: Man muss die verschiedenen Anwendungen zusammen betrachten?

Richtig. Auch hierbei ist der Pfad der Energiewandlung zentral: Um meinen Raum zu heizen, ist es effizienter, die Primärenergie gar nicht erst in Strom umzuwandeln. Besser ist es, hierfür mittels Kraft-Wärme-Kopplung die Abwärme der Stromproduktion im Kraftwerk zu nutzen. Solche Systeme sind sehr energieeffizient – aber nur, wenn man beides braucht: Strom und Wärme.

Selbst diese einfachen Beispiele zeigen: Das Thema Energieeffizienz ist komplex. Wird die öffentliche Debatte dem gerecht?

Naja. Aus meiner Sicht müssen wir angesichts des Klimawandels vor allem zwei Dinge tun: Energie sparen und effizienter werden. Beides wird oft durcheinander geworfen. Energiesparen bedeutet, dass ich von vorneherein möglichst wenig Energie einsetze. Um ein gut isoliertes Haus zu heizen, brauche ich weniger Energie. Für die so eingesparte Energie fallen die Wandlungsverluste von vorneherein weg. Das ist natürlich im Sinne der Effizienz. Der zweite Aspekt ist: Wie kriege ich aus der Energie möglichst viel raus? Eine moderne Gasbrennwertheizung erzeugt sehr effizient Wärme aus Gas – unabhängig davon, wie gut das Haus isoliert ist. Um gute Effekte zu erzielen ist es daher entscheidend, beides zusammen zu denken.

Aber solche Investitionen zahlen sich finanziell oft nicht aus.

Das stimmt. Rein betriebswirtschaftlich lohnen sich manche Energiesparmaßnahmen heute unter Umständen noch nicht. Aber längerfristig und mit Blick aufs Klima tun sie das sehr wohl. Außerdem haben wir es nicht mit statischen Größen zu tun. Energiepreise ändern sich. Wir diskutieren ja gerade zurecht darüber, die Umweltkosten mit einzupreisen.

Sie sind auch Verkehrsforscher. Wie wird Ihrer Meinung nach eine energieeffiziente Zukunft unseres Verkehrs aussehen?

Das wird stark davon abhängen, was die Menschen akzeptieren und was nicht. Im Fernverkehr jedenfalls ist man mit der Bahn sehr energieeffizient unterwegs, weil der Primärenergieverbrauch pro Person und Kilometer hier viel geringer ist als bei einem Kraftfahrzeug. Im Bereich der Kraftfahrzeuge wiederum hängt der Energiebedarf stark von der Masse ab. Die Faustformel lautet: Um von A nach B zu kommen, braucht man mit einem Kleinwagen weniger Energie als mit einem SUV. Auch diese gesellschaftliche Diskussion führen wir ja gerade. Allerdings stellen wir auch fest, dass gerade im SUV-Segment immer mehr Autos zugelassen werden.

Was folgern Sie daraus?

Wir müssen realistisch sein. Die eine Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Wie wollen wir zukünftig unterwegs sein? Sind wir zugunsten des Klimas bei Komfort und Erreichbarkeit zu Abstrichen bereit? Und der zweite Aspekt ist: Was sind wir bereit, zu bezahlen? Wie verantwortungsvoll gehen wir mit den klimatischen Folgen um? Die Antwort darauf muss jeder Einzelne geben. Leider lautet sie nicht selten: Umweltschutz ja – aber nicht bei mir.

Der Staat hätte auch die Möglichkeit, stärker zu regulieren.

Ja. Über Kosten ließe sich eine steuernde Wirkung erzeugen, etwa indem man Kraftstoffe teurer macht. Auf der anderen Seite hat das natürlich gesellschaftliche Folgen. Wer es sich leisten kann, muss sein Verhalten nicht ändern. Andere dagegen werden vielleicht von bestimmten Formen der Mobilität ausgeschlossen. Entscheidend ist auch, welche Anreize der Staat setzt. Die Pendlerpauschale spielt sicher eine Rolle bei der Entscheidung von Menschen, aufs Land zu ziehen und lange Arbeitswege in Kauf zu nehmen. Dadurch haben wir einen hohen Anteil des Individualverkehrs produziert. Das war eine gesellschaftliche Entscheidung.

Stichwort Pendlerpauschale: Was halten Sie vom Klima-Programm der Bundesregierung?

Einerseits müssen Schieflagen vermieden werden. Auf der anderen Seite brauchen wir steuernde Wirkungen. Da treten schon Zielkonflikte zutage. Aber anders als etwa in US-amerikanischen Großstädten, wo es einen hohen Anteil von Individualverkehr gibt, haben wir in Berlin, München oder Hamburg ein gut ausgebautes Netz an öffentlichem Verkehr. Der Massentransport ist ökologisch und ökonomisch extrem sinnvoll. Auch städteplanerisch hat er positive Effekte. Der Flächenverbrauch der Autos ist deutlich größer als der von Bussen, Straßen- oder U-Bahnen. Hier zeigt sich, wie eng Transporteffizienz und Energieeffizienz miteinander zusammenhängen. Ob Autofahrer auf Bus und Bahn umsteigen, darüber entscheidet aber letztlich die Qualität des ÖPNV.

Welche Rolle wird die E-Mobilität spielen?

Elektroautos stoßen zwar lokal keine Abgase aus, doch die aufwendige Gewinnung von Lithiumsalzen für die Lithium-Ionen-Batterien benötigt große Mengen an Energie und Wasser. Und wenn der Strom fürs E-Auto aus Kohle stammt, ist die Klimabilanz nicht besser als bei Verbrennern. Für eine positive Klimabilanz müssen wir hier noch optimieren. Für den Schwerlast- und Fernverkehr werden alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe unverzichtbar sein.

Sind manche Maßnahmen zum Klimaschutz unehrlich?

Es gibt noch mehr Beispiele. In der heißen Phase der Diesel-Debatte wurde gefordert, Fahrzeuge der Abgasklasse Euro-5 zu verschrotten. Dabei sind in anderen Teilen der Welt noch Dieselfahrzeuge ohne jeden Abgasfilter unterwegs. Würde man diese durch die ohnehin produzierten Euro-5-Fahrzeuge ersetzen, würde man mehr für die Umwelt tun, als wenn man diese verschrottet. Von der Energieeffizienz und vom Klimaschutz her war diese Forderung wenig sinnvoll.

Täuscht mein Eindruck, dass manche Maßnahmen – etwa die Abwrackprämie – eher Konjunkturprogramme sind, statt der Umwelt zu dienen?

Natürlich haben solche Subventionen marktsteuernde Wirkung und orientieren sich nicht notwendigerweise immer nur an Klima- oder Energiegesichtspunkten. Da muss man ehrlich sein. Eben deshalb ist es notwendig, die gesamte Rohstoff- und Energiekette anzuschauen. Im DLR tun wir genau das und entwickeln Szenarien für verschiedene Antriebsformen – etwa Wasserstoff. Denn auch hier kommt es darauf an, wie der Wasserstoff gewonnen wird. Grüner Wasserstoff wird mithilfe erneuerbarer Energien erzeugt. Sogenannter grauer Wasserstoff dagegen wird aus fossilem Erdgas gewonnen, und bei seiner Herstellung fällt CO2 an.

Wird Deutschland seinen Energiebedarf irgendwann aus eigenen erneuerbaren Quellen decken?

Deutschland ist nicht energieautark. Außerdem sind wir Bestandteil eines europäischen Stromversorgungsnetzes. Beides wird in absehbarer Zukunft so bleiben. Die Frage ist: Wo kommt unsere Energie zukünftig her? Und da zeigt sich, dass importiertes Gas deutlich sauberer ist als Braunkohle. Und es ist auch sinnvoll, Windkraft und Photovoltaik hierzulande zu realisieren. Aber natürlich gibt es Regionen der Welt, wo man viel wirkungsvoller Strom aus Sonne generieren kann. Deshalb gewinnen Transport- und Speichertechniken im Zuge der Energiewende immer mehr an Bedeutung.

Wie könnte ein guter neuer Pfad der Energiewandlung aussehen?

Für sehr attraktiv halten wir einen kombinierten solaren Weg. In sonnenreichen Ländern gibt es das schon heute. Tagsüber produziert man per Photovoltaik Strom und Wärme. In sogenannten solarthermischen Kraftwerken wird die Wärme gespeichert. Nachts wird aus dieser Wärme wiederum Strom erzeugt. In puncto Energieeffizienz ist dieser Weg sehr gut, weil man Wärme viel günstiger speichern kann als elektrische Energie.

Ist dieser „solare Weg“ auch für Deutschland sinnvoll?

Ja. Sowohl, um ihn hier zu nutzen als auch als Exporttechnologie für deutsche Firmen. Insbesondere die Speichertechnologien sind hier interessant. Seit vielen Jahren forschen wir daran am DLR – etwa mit Flüssigsalzen. Die sind als Speichermedium attraktiv, weil sie hohe Temperaturen erreichen – im Idealfall bis zu 550 Grad. In diesen Temperaturbereichen sind bestimmte Salze flüssig und verhalten sich wie Wasser. Dementsprechend können sie gepumpt werden – ohne Druck und ohne Explosionsgefahr. Kommt es zu einem Leck, erkaltet und kristallisiert das Salz sofort, ohne etwa das Grundwasser zu verseuchen. Ein weiterer Vorteil: Diese Salzmischungen sind sehr günstig.

Wie sehen solche Kraftwerke aus?

Ich habe in Spanien gerade ein solarthermisches Kraftwerk besichtigt. Das liefert bis zu 24 Stunden am Tag Strom. Sein Salzspeicher ist 14 Meter hoch und 36 Meter im Durchmesser. Der Flächenverbrauch ist nicht größer als bei Kohlekraftwerken. Zusammen mit dem Unternehmen RWE und gefördert von der Bundesregierung arbeiten wir gerade daran, in Deutschland ein konventionelles Kohlekraftwerk zu einem kombinierten Kohle-Speicherkraftwerk umzubauen.

Ist der Umbau zu Speicherkraftwerken die Zukunft unserer vorhandenen Kraftwerke?

Durchaus. Das Stichwort ist „Third Life“. „First Life“ nennen wir die klassischen Kohlekraftwerke. Als „Second life“ bezeichnen wir die Umstellung von Kohle auf saubereres Gas. „Third life“ bedeutet: Ich nutze die vorhandene Infrastruktur, ersetze die Feuerung aber komplett durch Speicherung. Aufgeladen würde der Speicher dann durch erneuerbare Energien. So begegnen wir gleich zwei Problemen: dem unstetigen Angebot erneuerbaren Energien und der unstetigen Nachfrage nach Energie.