Braunschweig. Eine tierische Spürnase im Dienst der Menschheit mehr: Das Trüffelschwein erhält Gesellschaft – von der Infektions-Spürratte.

Eine tierische Spürnase im Dienst der Menschheit mehr: Das Trüffelschwein und der Drogen- oder Sprengstoffsuchhund erhalten Gesellschaft – von der Infektions-Spürratte. In Dar es Salaam, der größten Stadt des ostafrikanischen Landes Tansania, setzt die in Belgien beheimatete Hilfsorganisation Apopo Riesenhamsterratten ein, um sogenanntes Sputum, also den abgehusteten Auswurf von Patienten, auf Erreger von Tuberkulose zu überprüfen.

„Ein Mopedkurier knattert durch die Stadt und sammelt in den Krankenhäusern die Sputumproben ein“, erzählt Professor Stefan Schulz vom Institut für Organische Chemie der Technischen Universität Braunschweig (TU). „Schon am nächsten Morgen kann Apopo die Ergebnisse an die Krankenhäuser melden – das ist ausgesprochen schnell.“ Schulz ist der neben dem Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin einer der wissenschaftlichen Partner des Projekts. Er versucht herauszufinden, welche chemischen Vorgänge beim Erriechen der Krankheit ausschlaggebend sind.

Die Wahrscheinlichkeit, mit der die Nagetiere eine Tuberkulose­infektion erschnüffeln können, liegt laut Schulz bei 75 Prozent. Diese Quote sei zwar nicht mit der Sicherheit von teuren und aufwendigen genetischen Analysen vergleichbar, wie sie in höher technisierten Ländern möglich sind, jedoch viel besser als die bisher in vielen afrikanischen Ländern übliche Methode mit dem Mikroskop.

In weiten Teilen Afrikas werde bisher vermutlich nur die Hälfte der auftretenden Tuberkulosefälle erkannt, heißt es in einer Mitteilung der TU. „Für viele Entwicklungsländer ist die Tuberkulose-Erkennung durch Ratten deshalb ein großer Fortschritt und außerordentlich interessant“, sagt Schulz gegenüber unserer Zeitung. Besonders südlich der Sahara ist die Tuberkulose-Lage problematisch, da die hohen HIV-Infektions­raten der Tuberkulose-Epidemie Vorschub leisten. Laut dem Berliner Robert-Koch-Institut leben rund 85 Prozent aller Tuberkulose-Neuerkrankten in Afrika, Südostasien und der westlichen Pazifikregion. Weltweit starben 2017 etwa 1,6 Millionen Menschen an der Krankheit.

Neun Monate dauert das Training

Bereits seit rund 20 Jahren setzt Apopo erfolgreich Ratten ein, um Landminen aufzuspüren – im Kampf gegen die Tuberkulose erst seit rund 10 Jahren. „Herorats“, also Heldenratten, nennt die Organisation ihre tierischen Helfer. Die Tuberkulose-Spürnasen werden lange auf ihren medizinischen Einsatz vorbereitet. Laut TU-Mitteilung dauert das Training neun Monate. Für richtig identifizierte Proben mit dem TBC-Erreger erhalten die Tiere eine Belohnung. So werden sie auf den Geruch der Tuberkulose-Erreger konditioniert.

Sind sie einmal ausgebildet, sieht die Arbeit der Tiere so aus: In den Apopo-Testzentren laufen sie durch Glastunnel und schnüffeln an Behältern mit den Sputumproben, die in den Boden eingelassen sind. Werden die intelligenten Spürnasen fündig, signalisieren sie dies den Apopo-Mitarbeitern, indem sie mindestens drei Sekunden über der Probe verharren. Anschließend werden die positiven Funde der Ratten noch einmal mit anerkannten Diagnosemethoden geprüft, bevor die behandelnden Kliniken das Ergebnis erhalten. Laut Schulz kann eine Ratte hundert Proben in weniger als zwanzig Minuten prüfen. Ein menschlicher Laborant bräuchte hierfür bis zu vier Tage.

Wie ist es möglich, Krankheiten zu erschnuppern? Genau diese Frage treibt den TU-Chemiker Schulz um. Er möchte herausfinden, an welchen Substanzen die Ratten Tuberkulose erkennen. Laut Mitteilung des Forschers produzieren viele Bakterien Verbindungen, zum Teil sogar Menschen als Duftstoffe wahrnehmen können – die Ratten mit ihrem feinen Geruchssinn erst recht.

„Wir prüfen, ob es spezielle Duftmarker gibt, sogenannte flüchtige Biomarker, die jeweils mit den Tuberkulosebakterien einhergehen“, erklärt er. „Das ist auch deshalb interessant, weil sich das Verfahren vielleicht für weitere Anwendungen nutzen lässt, um Tuberkulose oder auch andere Krankheiten schneller zu erkennen.“

Die Arbeit mit Gerüchen ist für die beteiligten Forscher extrem herausfordernd. Zum einen sind die Verbindungen sehr flüchtig, zum anderen sind die Mengen der Substanzen, um die es geht, sehr gering. Um sie zu untersuchen, werden sie zunächst mit einer so genannten Headspace-Analyse aufgefangen, dann auf einen Filter gegeben und schließlich in einem Gaschromatographen untersucht. „Das ist echte Spurenanalytik“, sagt Schulz.

Bei den Analysen haben die Forscher bestimmte Verbindungen gefunden und isoliert. „Im nächsten Schritt muss getestet werden, ob diese Substanzen das gleiche Verhalten bei den Ratten hervorrufen, wie die eigentlichen Bakterien“, erklärt Schulz. Diese Tests finden in Afrika, an der Sokoine University of Agriculture, Tansania, statt.

Während das Forscherteam zunächst ausschließlich die isolierten TBC-Bakterien untersucht hat, analysiert es inzwischen direkt die von Patienten gewonnenen Sputumproben. Da deren Zusammensetzung – etwa nach Alter der Person oder davon, was sie gegessen hat – stark variiere, rieche jede Probe anders. „Deshalb ist es besonders interessant herauszufinden, welche Duftstoff-Verbindungen spezifisch für Tuberkulosebakterien sind und an welchen Substanzen Ratten die Krankheit erkennen“, so Schulz.