Braunschweig. Der bekannte Klimaforscher Mojib Latif hält an der TU Braunschweig eine anschauliche Lehrstunde zur Erderwärmung.

„Es macht mich wahnsinnig“, klagt Mojib Latif. Seit 35 Jahren weise er öffentlich auf die Bedrohung durch den Ausstoß von Treibhausgasen hin. Trotzdem habe keine der internationalen Klimakonferenzen seitdem eine Trendwende bewirkt, im Gegenteil: „Nach wie vor klafft eine riesige Lücke zwischen den vereinbarten Klimazielen und der Bereitschaft zu handeln.“

Latif begrüßt die Klima-Proteste

Dass die politisch Verantwortlichen aus eigenem Antrieb den Kampf gegen die Erderwärmung aufnehmen, glaubt der Professor am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und Vorstandsvorsitzende des Deutschen Klima Konsortiums, in dem die wichtigsten deutschen Klimaforschungseinrichtungen zusammengeschlossen sind, nicht mehr. „Aus naturwissenschaftlicher Sicht haben wir keinen Klimaschutz zu verzeichnen, denn der menschgemachte Ausstoß der Klimagase steigt kontinuierlich weiter an“, fasst Latif die Ergebnisse der bisherigen Klimapolitik bitter zusammen. Deshalb begrüßt er die weltweiten Klimaproteste von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. „Dass die junge Generation auf die Barrikaden geht, ist mehr als verständlich. Ich setze mittlerweile voll auf die Zivilgesellschaft und Druck von unten“, sagt er in der Aula der TU Braunschweig, die bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Anders als oft bei vergleichbaren Veranstaltungen der Fall, sind zahlreiche junge Zuhörer im Publikum. Der Zeitpunkt für einen Klima-Vortrag könnte kaum besser gewählt sein.

Arrhenius sagte Klimawandel 1896 vorher

Noch Gesprächsbedarf? Nach seinem Vortrag in der lückenlos gefüllten Aula der TU Braunschweig diskutierte der Klimaexperte Prof. Mojib Latif weiter mit den Zuhörern.
Noch Gesprächsbedarf? Nach seinem Vortrag in der lückenlos gefüllten Aula der TU Braunschweig diskutierte der Klimaexperte Prof. Mojib Latif weiter mit den Zuhörern. © Andreas Eberhard

Immer wieder weist der Wissenschaftler, der in Hamburg als Sohn pakistanischer Eltern geboren wurde, darauf hin, dass die Zeit drängt. Dies gelte umso mehr, als der Treibhauseffekt schon viel länger bekannt sei, als viele dächten. Bereits im Jahr 1896 habe der spätere Chemie-Nobelpreisträger Svante Arrhenius im Aufsatz „Über den Einfluss von Kohlensäure in der Luft auf die Bodentemperatur“ die Klimaerwärmung durch den menschlichen Ausstoß von Kohlendioxid korrekt vorhergesagt. Alle wissenschaftlichen Studien und Messdaten seitdem hätten die Erkenntnisse des Schweden grundsätzlich bestätigt, sagt Latif. Nie in den letzten 800.000 Jahren, so Latif, sei der CO2-Gehalt der Luft höher gewesen als heute – abzulesen an Bohrkernen aus Eisschichten. „Der Wert hat immer mal geschwankt, aber heute ist er schwindelerregend hoch.“

„Kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem“

Auch eine massive Erwärmung des Weltklimas in derart kurzer Zeit, „einem Wimpernschlag der Weltgeschichte“, habe es nie zuvor gegeben. „Wir haben also kein Erkenntnisproblem. Was wir haben, ist ein Umsetzungsproblem.“

Gleich mehrfach nimmt sich der 64-jährige Klimaforscher in Braunschweig die sogenannten Klima-Skeptiker vor. Etwa deren Argument, dass es keinen Beweis dafür gebe, dass der Mensch für die Erwärmung verantwortlich ist. „Ja, das stimmt, es gibt keinen Beweis“, stimmt Latif zunächst scheinbar zu. Aber: „Für einen solchen bräuchte man eine Zeitmaschine, um im vorindustriellen Zeitalter die Industrialisierung zu stoppen.“ Nur ein Vergleich der beiden Welten könne einen endgültigen Beweis liefern.

Computer-Simulationen ermöglichen Vergleich

Allerdings komme man diesem unmöglichen Ziel so nahe wie irgend möglich – durch Simulationen mithilfe von Computern. Sie erlauben, am Bildschirm eine Welt zu schaffen, in der es den menschlichen Ausstoß von Treibhausgasen nicht gibt. Ein Ergebnis: „In keinem Computermodell der Welt lässt sich eine Klimaerwärmung, wie wir sie erleben, allein mit natürlichen Faktoren reproduzieren.“

Kritik an Trump und Fake-Science

Anders als im Netz, sagt Latif ironisch, gebe es dazu in der Wissenschaft auch keine zwei Meinungen. Scharf kritisiert er denn auch gezielte Desinformationskampagnen in den sozialen Medien. „Die postfaktischen Zeiten machen die Aufgabe, vor der wir stehen, leider nicht einfacher“, sagte er vor einem übergroß an die Leinwand der TU-Aula projizierten Konterfei von US-Präsident Trump. Als Konsequenz daraus zieht Latif: „Die schweigende Mehrheit darf nicht länger schweigen.“

Anhand der vorhandenen Erkenntnisse zum Klimawandel müssten eigentlich alle Alarmglocken schrillen, resümiert er die Lage. Die Menschheit säge trotzdem weiter an dem Ast, auf dem sie sitze – wohl weil die betreffenden Gase unsichtbar seien und das Problem dadurch abstrakt bleibe. Wohl nicht ganz ernst gemeint ist sein Vorschlag, das CO2 grün einzufärben.

Anschaulich ist aber auch Latifs Vergleich der Emissionen mit der Staatsverschuldung. „Jedes Jahr, in dem wir nicht die Kurve kriegen, kommt oben drauf.“ In der Haushaltspolitik hat sich die „schwarze Null“ längst durchgesetzt. In puncto Klima wird indes weiter auf Kosten folgender Generationen gelebt.