Braunschweig. . DWD-Wetterexperte Püschel: Jährlich gibt es in Deutschland rund 30 bis 60 Windhosen. Meist dauern diese nur wenige Minuten an.

In unserem Land gibt es sehr viel mehr Tornados, als viele denken. Das war schon immer so und nicht erst in den letzten Jahren. Es steht auch in keinem Zusammenhang mit dem Klimawandel.

Dies bemerkt ein Leser, der sich “Headhunter“ nennt, auf den Webseiten unserer Zeitung.

Zum Thema recherchierte Andreas Eberhard

„Ist das ein Tornado?“, fragten sich viele Menschen, als sie am Sonntagnachmittag in unserer Regionin den Himmel schauten. Dort braute sich einiges zusammen: hoch aufgetürmte, dunkle Wolkenberge an deren Unterseite sich gut sichtbar ein trichterförmiger Wirbel bildete. Gleichzeitig sei es am Boden „auf einmal ganz windstill“ geworden – „etwas gruselig“, beschreibt eine Augenzeugin, die das Phänomen in Wolfenbüttel verfolgte, auf Facebook ihr Erlebnis. In Teilen des Landkreises war es ebenso sichtbar wie in der Stadt Wolfenbüttel, im Südwesten Braunschweigs und in Teilen von Salzgitter. Viele Menschen, die das Wetterschauspiel beobachteten, zückten ihre Smartphones und Kameras, drückten auf den Auslöser und schickten ihre Fotos an unsere Redaktion.

Kein Bodenkontakt – kein Tornado

Bodenkontakt hatte der Wirbel nicht. Erst, wenn dies der Fall ist, wenn also eine rotierende Wolke die Erdoberfläche berührt, spricht man von einer echten Windhose. So lautet nämlich die korrekte deutsche Bezeichnung für das, was im Englischen „Tornado“ genannt wird, betont Jürgen Püschel, Diplom-Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst (DWD) in Hamburg. Das Wetterschauspiel am Sonntag sei lediglich eine „Funnel-Cloud“, also eine Trichterwolke, gewesen: ein „Vorstadium“ zu einer Windhose, „allerdings ein sehr schönes ausgeprägtes Exemplar“, wie der Wetterexperte betont. Die Leitstelle der Feuerwehr Braunschweig verzeichnete denn auch keine sturmbedingten Einsätze. Ein Sprecher sagte gegenüber unserer Zeitung: „Das Phänomen war genauso schnell wieder weg, wie es aufgetaucht ist.“

Kurzlebiges Wetterschauspiel

Immerhin einige Minuten war die Trichterwolke in unserer Region gut sichtbar. Das sei schon vergleichsweise lang, erklärt Püschel: „In unseren Breiten überleben die Funnel-Clouds selten länger als wenige Minuten, manchmal nur Sekunden.“ Damit sie überhaupt zustande kommen, müssen mehrere Wettereinflüsse zusammenkommen. Püschel hat die Satellitenbilder unserer Region vom Sonntag ausgewertet. „Eigentlich war da gar nicht soviel dahinter, nur normale Regenschauer, kein Unwetter, keine Blitze“, konstatiert er zunächst. Allerdings seien Winde aus verschiedenen Richtungen – Ost und West – aufeinandergetroffen. „Und das erhöht schon mal die Wahrscheinlichkeit, dass so eine Drehung zustande kommt.“ Zusätzlich hätten die Schauer für kalte Fallböen, also einen Luftaustausch von oben nach unten, gesorgt. Dadurch sei zum einen das Wolkenwasser sichtbar geworden, zum anderen habe der senkrechte Wind den Spiraleffekt noch verstärkt.

30 bis 60 Windhosen und Wasserhosen pro Jahr in Deutschland

Tatsächlich sind Wind- und Wasserhosen – so heißen die Wirbel, wenn sie über Wasserflächen kreisen – in Deutschland gar nicht selten. Rund 30 bis 60 Stück sind es laut Jürgen Püschel im Jahr. Da es sich bei den Trichterwolken nur um „Vorstufen“ handele, kommen diese noch deutlich häufiger vor.

„Das Bild hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt“

Bernd Mundlos, Jahrgang 1950, muss trotzdem lange zurückgehen, um sich an ein ähnliches Wetterschauspiel zu erinnern. In einer Mail an unsere Redaktion beschreibt er sein Déjà-Vu. Er erlebte eine echte Windhose: „Vor über 50 Jahren habe ich ein solches Phänomen bei einer Fahrt vom Harz nach Königslutter in der Gegend um Schladen erlebt“, berichtet der Braunschweiger. Der „Rüssel“ habe mehrmals bis zum Boden „geschnappt“ und allerhand Material hochgewirbelt. „Es gab noch kein Handy, um es rasch aufzunehmen, auch einen Fotoapparat hatten wir nicht mit. Nach weniger als einer Minute war es vorbei. Das Bild hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, vielleicht auch, weil ich es danach nie mehr beobachtet habe.“

Damit aus einer Trichterwolke eine echte Windhose wird, braucht es noch stärkere Auf- und Abwinde, mehr vertikale Bewegung, als dies am Sonntag der Fall war. „Diese Winde entstehen etwa bei Gewittern“, erklärt Diplom-Meteorologe Püschel. „Förderlich ist auch eine tiefe Wolkenbasis, das verkürzt den Weg, den der Wolkenschlauch zum Boden zurücklegen muss.

Sommer ist Wirbelsturm-Saison

Trichterwolken und Windhosen treten vor allem in den Sommermonaten auf: über Land eher im Frühsommer, über Wasser eher gegen Herbst. Während dieser Monate sind die Temperaturunterschiede zwischen der Erdoberfläche und den Wolken am größten, erklärt Püschel, dadurch herrschten die besten Entstehungsbedingungen. Von den „richtig dicken Brummern“, wie es sie in den USA gibt, seien die deutschen „Tornados“ aber meilenweit entfernt. Da ihre Lebensdauer meist sehr kurz und ihr Luftschlauch eher dünn und fragil sei, seien sie hierzulande fast nie gefährlich.

Die Fujita-Skala gibt die Stärke an

Auf der sogenannten Fujita-Skala, mit der man die Stärke von Starkwindphänomenen beschreibt, erreichen die meisten in Deutschland beobachteten Windhosen laut Püschel höchstens „F0“ bis „F2“. Im Jahr 1968 allerdings fegte eine Windhose mit Stärke „F4“, also Windgeschwindigkeiten von 333 bis 418 Stundenkilometern, über das baden-württembergische Pforzheim und forderte damals zwei Todesopfer. Die stärksten Orkane, die je auf der Erde beobachtet wurden, werden mit „F5“ eingestuft.

Eine Folge der Klimaerwärmung?

Mit der weltweiten Klimaerwärmung bringt Püschel Windphänomene wie das in unserer Region höchstens mittelbar in Verbindung. Er sagt: „Dadurch, dass es wärmer wird, ist mehr Energie in der Luft, und damit steigt prinzipiell die Wahrscheinlichkeit, dass Wetterphänomene wie Tornados auftreten.“ Verlässliche Zahlen, die dies dokumentierten, hat er allerdings nicht. „Wie oft sowas auftritt, wird nicht durchgängig dokumentiert.“

„Sowas gab’s immer“

Mit Blick auf die Trichterwolke über Braunschweig, Wolfenbüttel und Salzgitter stellt Püschel fest: „Sowas gab’s immer und wird es immer geben.“ Trotzdem gebe es durchaus den Eindruck, dass ihre Häufigkeit zugenommen habe. Er erklärt diesen Eindruck mit den Möglichkeiten der digitalen Medien: „Da heute jeder sofort alles fotografieren, filmen und verbreiten kann, wird das so wahrgenommen, als gäbe es davon immer mehr.“

Vorhersagen sind schwierig

Kleinere Windhosen zuverlässig vorherzusagen, das sei nicht möglich, sagt er. Im Vorfeld könne man höchstens Wahrscheinlichkeiten angeben. „Aber wenn wir eine bestätigte Sichtung haben und feststellen, dass ein Tornado oder eine Funnel-Cloud in eine bestimmt Richtung zieht, können wir reagieren und eine Tornado-Warnung aussprechen.“