Braunschweig. Der Historiker Christopher Neumaier über den Wandel unseres Verhältnisses zum Automobil.

Mein Auto gehört zur Familie. Es ist wie ein guter Freund, der mir Freiheit und gute Laune gibt️. Wir haben fünf Autos, die wir hegen, pflegen und lieben.

Dies schreibt Isolde Baden auf unseren Facebookseiten.

Zum Thema recherchierte
Andreas Eberhard

Das Auto ist der Deutschen liebstes Kind. Kaum ein Konsumgut hat in Deutschland einen ähnlich hohen Stellenwert – emotional und als Statussymbol. Was hat sich daran im Laufe der letzten 100 Jahre geändert? Darüber sprachen wir mit Dr. Christopher Neumaier vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Der Experte für die Geschichte des Dieselautos und stellvertretende Leiter des Arbeitskreises Verkehrsgeschichte der Gesellschaft für Technikgeschichte ist Mitveranstalter einer Tagung zur Konsumgeschichte des Autos, die im April im VW-Archiv in Wolfsburg stattfand.

Seit wann interessiert sich die Geschichtsforschung fürs Auto?

Die historische Forschung begann sich in den siebziger und achtziger Jahren vermehrt fürs Auto zu interessieren. Das hing auch damit zusammen, dass die Wahrnehmung damals kippte. War das Auto zunächst ein sehr positiv besetztes Konsumgut, änderte sich das in den Siebzigern – mit Blick auf verstopfte Straßen, Umweltbelastungen und Verkehrstote. Zunächst wurde all dies vor allem mit Blick auf die Politik untersucht, allmählich kamen dann technik-, umwelt- und kulturhistorische Perspektiven hinzu.

Was können wir aus der Konsumgeschichte des Autos lernen?

Wir sehen, dass die Bewertung des Autos ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess ist. Ein Beispiel: Wir sehen bis heute, dass der Kraftstoffverbrauch in Europa ganz anders beurteilt wird als in den USA. Das hängt mit der unterschiedlichen Bewertung der Ölpreiskrisen der siebziger Jahre zusammen. Ich finde es spannend herauszufinden, wie und wodurch sich solche Bewertungsmaßstäbe verschieben. Daran sind viele Akteure – von Auto-Managern bis Umweltmedizinern – beteiligt. Es ist eben nicht einfach so, dass die Autoindustrie die Politiker kauft.

Wie hat sich unser Verhältnis zum Konsumgut Auto gewandelt?

Um 1900 hat sich das Automobil in Deutschland als Luxusgut für Wohlhabende etabliert – vor allem für Männer, die damit, etwa bei Autorennen, ihre Männlichkeit unter Beweis stellten. Für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen waren Zweiräder – mit und ohne Motor – die Verkehrsmittel der Wahl. Autos blieben hierzulande bis zum Zweiten Weltkrieg einer kleinen Bevölkerungsschicht vorbehalten. Daran hatte auch der nationalsozialistische „Volkswagen“ nichts geändert. Der private Pkw-Besitz hatte seinen Durchbruch erst in der Nachkriegszeit. In den 50er Jahren nahm die Produktion extrem an Fahrt auf, zum echten Massenkonsumgut wurde das Auto aber erst in den Sechzigern. Viele Arbeiter konnten sich erst in den siebziger Jahren einen Pkw leisten. Über das eigene Auto kommunizierte man den eigenen Status in der Gesellschaft – erst vor allem über den Besitz, zunehmend auch über die Marke und die Ausstattung.

Heute sieht es mancher als Luxus, aus Auto verzichten zu können.

Das hängt sehr stark vom Alter und vom Wohnort ab. In Berlin etwa hat eine Mehrheit kein eigenes Auto mehr, dort greift man auch auf Car-Sharing zurück. In ländlichen Gebieten dagegen ist man auf ein Automobil angewiesen. Die Bedeutung von Marken und Modellen für die Autobesitzer ist aber aus meiner Sicht ungebrochen.

Warum dient ausgerechnet das Auto so stark als emotionale Projektionsfläche, und nicht etwa die eigene Wohnung?

Weil man sein Auto öffentlich zeigt. Ganz ähnlich ist es bei Kleidung. Das Auto ist ein ganz spezielles Produkt, weil es so dominant im Straßenbild in Erscheinung tritt. Es ist nicht zu übersehen, nicht zu überhören, und es bindet viel mehr finanzielle Ressourcen als andere Produkte. All das führt zu einer echten Sonderstellung des Pkw.

Haben die Deutschen ein besonderes Verhältnis zum Auto?

Einerseits wiegen umweltpolitische Argumente hier schwerer als in anderen europäischen Ländern. Auf der anderen Seite ist aber auch die rigorose Ablehnung eines Tempolimits spezifisch deutsch.

Wie erklären Sie die?

Die hängt damit zusammen, dass hierzulande die europaweit am stärksten motorisierten Modelle in großer Stückzahl auf den Straßen unterwegs sind. Auch ist die deutsche Autoindustrie in diesem Fahrzeugsegment besonders stark.

Das Auto galt lange als Ausweis der Souveränität des Konsumenten. Wie souverän ist man denn als Autokäufer heute noch?

Diese Frage muss man tatsächlich stellen, wenn man sieht, wie sich die Bewertung des Dieselautos fast über Nacht verändert hat. Vor ein paar Jahren ging man als Käufer eines Euro-4-Diesels davon aus, dass das eigene Auto sauber ist, jetzt drohen einem Fahrverbote in deutschen Innenstädten. Der Kauf erscheint plötzlich irrational. Das wirft die Frage auf: Wie geht man damit um, dass man seiner Souveränität und seiner eigenen rationalen Entscheidung enthoben wird?

Hat der VW-Abgasbetrug das Verhältnis der Deutschen zum Konsumgut Auto verändert?

Eher nicht. Die Frage ist höchstens, wie das die Zukunft des Diesels beeinflussen wird. Und hier sehen wir zwar rückläufige Absatzzahlen, aber ähnliche Entwicklungen gab es schon in den 80er Jahren oder während der Feinstaubdebatte 2005. Für eine abschließende Prognose ist es hier noch zu früh.

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Es ist nicht einfach so, dass die Autoindustrie die Politiker kauft. Es sind viele Akteure beteiligt.
Dr. Christopher Neumaier