Braunschweig. Trotz achtjähriger Planung ist der Regionalverband nicht am Ziel. Gegner hoffen auf ein Gericht und das Amt für Landesentwicklung.

Mich interessiert, ob sich die Verantwortlichen der Windparks selbst in deren Aktionsradius ansiedeln würden.

Das fragt unsere Leserin Annette Behrens.

Die Antwort recherchierte Andre Dolle.

Die Windkraft ist ein Streitthema in unserer Region. Politisch ist sie gewollt, finanziell wird sie vom Bund gefördert. Für die einen ist Windkraft saubere Energie, für andere bedeutet sie die Zerstörung von Kulturlandschaften.

Der Regionalverband Großraum Braunschweig hat das Ziel ausgegeben, die Region bis 2050 zu einer Erneuerbaren-Energien-Region zu machen. Der Ausbau der Windkraft soll ein Meilenstein dafür sein.

Klimaschützer freuen sich, doch es gibt auch Widerstand: Tierschützer warnen vor Gefahren für den Greifvogel Rotmilan, der sich in den Rotorblättern verfängt. Gegner klagen über Schallimmissionen, über den Werteverfall ihrer Immobilien.

Die Windkraft ist aber auch lukrativ. Landbesitzer freuen sich über Pachteinnahmen von Zehntausenden von Euro pro Windrad und Jahr, Anleger hoffen auf Rendite. So weit die Ausgangslage. In den vergangenen Jahren ist viel passiert. Und doch ist der Regionalverband seit 2011 noch nicht bis ans Ziel gekommen. Es droht sogar ein erneuter Rückschlag, weil das Amt für regionale Landesentwicklung Probleme sieht, die Pläne des Verbands zu genehmigen. Wir blicken zurück und geben einen Ausblick.

Die Dimension

Bisher dürfen Investoren in unserer Region Windräder auf einer Fläche von 3100 Hektar bauen. Künftig sind es 6700 Hektar. Die Fläche wird mehr als verdoppelt. Das entspricht 1,3 Prozent der Gesamtfläche unserer Region. Im Umkehrschluss heißt das: Durch die Planung des Regionalverbandes bleiben 98,7 Prozent der Region frei von Windparks. Hätte es diese Planung aus einem Guss nicht gegeben, hätte Windrad-Wildwuchs gedroht. Bisher sind 390 Windräder auf 34 Windparks in unserer Region verteilt. Künftig werden es mindestens 600 in 49 Windparks sein. Investoren wie Enercon, der Branchenriese aus Aurich, werden kleinere Anlagen durch größere ersetzen. Diese Anlagen sind 200 Meter hoch. Die Investitionen, die dadurch in unserer Region ausgelöst werden, betragen laut Hochrechnung des Regionalverbands etwa 1,5 Milliarden Euro.

Windkraftflächen in unserer Region 2sp neues Bild-01.jpg

Der größte Aufreger

Bei diesem ohnehin emotionalen Streitthema sorgte ausgerechnet Regionalverbands-Chef Detlef Tanke für weiteren Ärger. Der Ex-Landtagsabgeordnete und Ex-Generalsekretär der SPD in Niedersachsen war maßgeblich daran beteiligt, als im März 2016 ein geplanter Windpark in seiner Heimatgemeinde Hillerse im Kreis Gifhorn gestoppt wurde.

Daran erinnerte sich vermutlich auch unsere Leserin, als sie uns ihre rhetorische Frage schickte. Tanke wälzte zusammen mit einer Bürgerinitiative Hunderte von Seiten, bis sie einen Fehler in den Plänen der Regionalverbands-Verwaltung fanden. Demnach hatten die Mitarbeiter beim Windpark in Hillerse den Abstand zu Straßen nicht einberechnet. Der Windpark wäre auf einen Schlag statt 58 Hektar nur noch 47 Hektar groß gewesen. Die vom Verband festgelegte Mindestgröße liegt bei 50 Hektar. Tanke und die Bürgerinitiative stoppten den Windpark. Tanke selbst sieht bis heute keinen Fehler. Auch die Verwaltung erkennt keine Versäumnisse. Und in der Verbandsversammlung wurde die Tanke-Aktion nie groß thematisiert.

Die Opposition im Landtag

Die FDP hat nach Artikeln in unserer Zeitung drei Anfragen in den Landtag eingebracht. Zwei davon drehten sich um Tanke. Das schärfste parlamentarische Schwert, einen Untersuchungsausschuss, scheute die FDP aber: zu kompliziert, zu mühselig. Der Abgeordnete Björn Försterling teilte unserer Zeitung kürzlich seine Einschätzung mit, ob das gesamte Verfahren des Regionalverbands vor Gericht standhalten würde. „Das sehe ich nicht so“, erklärte der Liberale – im Gegensatz zu Manuela Hahn, der Ersten Verbandsrätin des Regionalverbands.

Der Widerstand

Dreimal musste der Regionalverband die Bürger beteiligen. Es gab 4100 Stellungnahmen mit insgesamt 22.000 Einwänden. Der Verband hat diese abgewogen und sämtliche Einwände auf seinen Internetseiten veröffentlicht. Er folgte 200 Einwänden, 15.000 Einwänden folgte er nur teilweise oder gar nicht. Die meisten Einwände drehten sich um wiederkehrende Themen: Um einen Eingriff in das Landschaftsbild etwa, um drohende niedrigere Immobilienpreise, wenn Häuser in der Nähe von Windparks stehen. Um Beeinträchtigungen durch Schall oder Lichtblitze. Oder darum, dass der Abstand zu Siedlungen mit 1000 Metern zu gering bemessen sei. In der Region Hannover beträgt der Abstand 800 Meter. In Bayern sind es aber auch mal 2000 Meter zwischen Windrad und Siedlung.

Bürgerinitiativen bildeten sich. Doch der Widerstand erfolgte nicht immer nur formal korrekt und auf legalem Wege: Der SPD-Landtagsabgeordnete Marcus Bosse, der zugleich Fraktionschef seiner Partei in der Verbandsversammlung des Regionalverbands ist, berichtete von Anfeindungen. Sogar Hass-Mails und nächtliche Anrufe habe es gegeben. Die Gegner der Windkraft-Pläne des Verbands versuchen offenbar alles, um den Ausbau der Windparks in der Region zu verhindern. „Da schießen viele deutlich übers Ziel hinaus“, sagte Bosse.

Der Ausblick

Trotz achtjähriger Planung und dem Beschluss der Verbandsversammlung von Mitte März ist der Ausbau der Windkraft in unserer Region noch längst nicht rechtskräftig. Erst muss das Amt für regionale Landesentwicklung die etwa 7000 Seiten starken Pläne genehmigen. Das ist kein Selbstgänger, denn das Amt hat große Bedenken bei den „harten und weichen“ Kriterien, die der Verband mit Blick auf die Abstände zu Siedlungen und einzelnen Häusern erhoben hat. Und dann drohen dem Verband Klagen vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg. Die Samtgemeinde Meinersen im Kreis Gifhorn hat bereits eine Klage angekündigt, die Gemeinde Süpplingen aus dem Kreis Helmstedt prüft ebenfalls eine Klage. Die Windparks dort sind besonders umstritten. Die Region Hannover erlitt Anfang März vor dem OVG für ihre Pläne bereits eine Niederlage.