Braunschweig. Hubertus Heil wollte sein Amt als SPD-Bezirksvorsitzender nach knapp zehn Jahren abgeben – das brachte Streit in die Partei. Jetzt will Heil bleiben.

Ab 2018 wollte sich die SPD grundlegend erneuern. Generalsekretär Lars Klingbeil formulierte im April 2018, es solle „mehr Basis, weniger Basta“ geben. Wie verhält sich der aktuelle Fall zu diesem Vorhaben?

Dies fragt unser Leser Helmut Borsch aus Bad Harzburg.

Zum Thema recherchierten
Michael Ahlers und Andre Dolle.

Es sollte, wie so oft im SPD-Bezirk Braunschweig, großes Kino werden: Als „prominente Gäste“ zum Bezirksparteitag an diesem Sonnabend in Wolfenbüttel waren in einer Einladung Bundesfamilienministerin Franziska Giffey angekündigt, dazu der SPD-Landeschef und Ministerpräsident Stephan Weil sowie Ex-Außenminister und Ex-Bezirkschef Sigmar Gabriel.

Sie alle hätten erleben sollen, wie der amtierende Bezirksvorsitzende und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil den Bezirksvorsitz an seinen Wolfsburger Bundestagskollegen und Vertrauten Falko Mohrs abgibt. Heil ist allgemein respektiert, macht gerade in der Bundespolitik für die SPD Punkte und hatte seine hohe Arbeitsbelastung als Grund für seinen Rückzug vom Bezirksvorsitz angeführt. „Meine Aufgabe als Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Gifhorn/Peine und als Bundesminister lassen mir nicht die notwendige Zeit, um diese Aufgabe weiter so auszuüben, wie ich es für richtig halte“, hatte Heil in unserer Zeitung erklärt. Doch nun kommt alles anders, und Heil wird vermutlich im Amt bleiben. Und Giffey werde nicht kommen, heißt es.

Heils Rückzug kam zu überraschend

Das Problem: Bei einer SPD-Vorstandssitzung Anfang April hatte Heil seinen eigenen Rückzug samt seines Wunsch-Nachfolgers Mohrs für die meisten so überraschend aus dem Hut gezogen, dass danach in den meisten SPD-Unterbezirken der Haussegen gründlich schief hing.Wie Teilnehmer berichteten, musste die Sitzung zeitweise unterbrochen werden. Nicht nur die Braunschweiger seien massiv verärgert, hieß es. „Mehr Basis“, wie Klingbeil versprach, war das auf keinen Fall. Von „Berliner Unsitten“ war verbittert die Rede. Heil habe Fakten schaffen wollen.

Im Fall eines Rückzugs Heils hätten viele mit dem Landtagsabgeordneten und Braunschweiger SPD-Chef Christos Pantazis als neuem Bezirksvorsitzenden gerechnet. Die düpierte Braunschweiger SPD nominierte Pantazis schließlich als Gegenkandidaten zu Mohrs. „Wir liefern uns einen fairen Wettbewerb“, versicherte Mohrs, Pantazis sprach von einer „lebendigen Partei“. Pantazis fuhr zur Aussprache nach Wolfsburg und traf sich dort mit Mohrs. Dieser entschuldigte sich bei ihm, wie zu hören war. Pantazis nahm die Entschuldigung an.

Die Grafik zeigt die SPD-Bezirke in der Region und ihre Mitgliederzahl.
Die Grafik zeigt die SPD-Bezirke in der Region und ihre Mitgliederzahl. © Braunschweiger Zeitung | Jürgen Runo

Doch immer stärker wuchs der Druck auf Heil. Zum einen wäre es für seinen Kandidaten Mohrs (34) beim Parteitag vermutlich sehr eng geworden. Der Bundestagsabgeordnete ist vergleichsweise unerfahren, und Mohrs hätte außerdem bei der Abstimmung den Unmut über Heils Vorgehen mit abbekommen.

Von der Mehrheit der Delegierten einen Bezirksvorsitzenden Pantazis präsentiert zu bekommen, mit diesem Risiko wollte Heil dann aber wohl doch nicht leben.

Auch Niedersachsens SPD-Landesvorsitzender Stephan Weil, so hieß es am Dienstag, blicke alles andere als wohlgefällig auf den SPD-Streit in seinem Land. Wohl ein weiterer Grund für Heil, zu handeln. Weils Einfluss reicht seit langem bis nach Berlin, der Niedersachse gilt auch als möglicher SPD-Chef.

Pantazis und Mohrs werden trotzdem gelobt

SPD-Größen wie Sigmar Gabriel und Gerd Glogowski verteilten Ratschläge an die Beteiligten. „Der Streit war einfach unnötig“, sagte der Ex-Ministerpräsident und Ex-Bezirkschef Glogowski. Das darf als Spitze gegen Heil gewertet werden, der die Personaldebatte losgetreten hatte. Glogowski ist nun Ehrenvorsitzender, kennt sämtliche Akteure gut. „Ich war friedensstiftend unterwegs“, sagte er. Und: „Ich finde es gut, dass Hubertus Heil nun doch wieder für den Vorsitz kandidiert.“ Auch für die beiden möglichen Nachfolger Heils im Amt des Bezirkschefs hatte Glogowski noch ein paar lobende Worte übrig. „Christos Pantazis macht in Hannover eine wunderbare Arbeit.“ Und damit ja kein weiteres Porzellan zerschlagen wird, schob Glogowski gleich nach: „Das gilt für Falko Mohrs in Berlin auch.“

Mohrs und Pantazis als Stellvertreter

Selbst am Ostersonntag beschäftigten sich führende SPD-Politiker aus unserer Region mit dem Thema. Eine Telefonkonferenz am Dienstagnachmittag mit dem Bezirks-Vorstand sowie Pantazis und Mohrs brachte den Durchbruch. Zuvor war schon durchgesickert, dass Heil doch weitermachen will. Mohrs und Pantazis sollen seine Stellvertreter werden.

Pantazis wertete die Auseinandersetzung am Dienstagabend, also nach der Telefonkonferenz, positiv. „Die SPD lebt und ist diskussionsfähig“, sagte er. Künftig sollen die Mitglieder bei Führungsfragen im Bezirk aber stärker mitgenommen und beteiligt werden als bisher. Ein entsprechender Antrag soll beim Parteitag beschlossen werden. Die Genossen wollen solche Streits nicht mehr.