Braunschweig. . Tatort Arztpraxis? Übergriffe häufen sich laut Ärztekammer. In Braunschweig wurde eine Broschüre vorgestellt, die Tipps zur Deeskalation gibt.

Es ist ein „No Go“ Rettungskräfte zu behindern oder anzugreifen!

Das schreibt unser Leser Jörg Masche auf Facebook.

Das Thema recherchierte
Dirk Breyvogel.

Pöbeln, beleidigen, drohen – und in Ausnahmen schubsen und zuschlagen. Nicht nur Rettungskräfte, wie unser Leser anmerkt, auch Haus- und Fachärzte und ihre Sprechstundenhilfen sehen sich immer öfter Aggressionen ausgesetzt. Noch gibt es keine validen Zahlen für Niedersachsen und die Region, doch das Gefühl, dass der Ton in den Arztpraxen rauer wird, besteht vonseiten der Mediziner ganz deutlich.

Auch die Ärztekammer Niedersachsen ist alarmiert und weist auf die zunehmende, zumeist verbale Gewalt hin. „Wir haben unseren Beruf nicht ausgewählt, um Patienten zu ärgern, sondern um ihnen zu helfen. Auch wenn die große Mehrheit uns wohlgesonnen ist, gehört es leider auch zur Wahrheit, dass das immer mehr Menschen vergessen“, sagt Marion Charlotte Renneberg, stellvertretende Präsidentin der niedersächsischen Ärztekammer, bei einer Informationsveranstaltung in der Bezirksstelle Braunschweig.

Dort stellte Renneberg etwa 100 Ärzten und Medizinischen Fachangestellten (MFA) eine neue Broschüre vor, in der Tipps im Umgang mit renitenten Patienten gegeben wird. Auch wird in dieser aufgezeigt, was Ärzte bei Hausbesuchen beachten sollten. „Auf fremdem Terrain“ seien sie einer besonderen Bedrohungslage ausgesetzt. Renneberg, selbst niedergelassene Ärztin, sieht hier einen allgemeinen Trend, der mit einer gesteigerten Anspruchs- und einer veränderten Erwartungshaltung der Patienten an Ärzte einhergeht. Sie appellierte an die Ärzte im Saal, auch mal „Nein“ zu sagen. „Es widerspricht zwar unserem Berufsethos, aber: Wer permanent seine gute Kinderstube vergisst oder wer mit Gewalt droht, muss mit den Konsequenzen leben. Wir müssen nicht jeden Patienten behandeln.“

Die Broschüre „Übergriffe gegen Praxisteams – Vorbeugen und Abwenden!“ hat die Ärztekammer zusammen mit Martin Eichhorn aus Berlin ausgearbeitet. Dieser arbeitet als Deeskalationsexperte und „Anti-Gewalt“-Coach und bietet als zertifizierte Fachkraft für Kriminalprävention auch Kurse an.

Auch Volker Siedentopf, Geschäftsführer der Ärztekammer für die Bezirke Braunschweig, Hildesheim und Göttingen, bestätigt die Aussagen der Vize-Präsidentin: „Tendenziell hat die Aggression und das Anspruchsdenken zugenommen.“ Verallgemeinern ließe sich das nicht, denn jeder empfinde Gewalt anders. Die einen schauten über einen Spruch weg, andere fühlten sich beleidigt. Gerade die, die in „vorderster Front“ stünden, seien einem enormen zeitlichen Druck ausgesetzt, ergänzt Renneberg. „Die Medizinischen Fachangestellten haben in gutlaufenden Praxen nicht selten bis zu 300 Patientenkontakte am Tag. Dass es da zu Missverständnissen kommt oder sich aufseiten der Patienten jemand falsch oder unzureichend informiert fühlt, kann natürlich vorkommen.“ Auch für Patienten seien Besuche beim Arzt oft mit Stress verbunden. „Wenn es um die eigene Gesundheit oder die von Angehörigen geht, ist das verständlich. Es rechtfertigt aber nicht, aggressiv gegenüber Ärzten aufzutreten.“

Der Sprecher der Braunschweiger Polizeiinspektion Braunschweig, Stefan Weinmeister, versteht das Anliegen der Mediziner, Vorfälle öffentlich zu machen. Die Fallzahlen seien aber überschaubar. „In der Stadt Braunschweig mussten wir im Jahr 2018 fünf oder sechs Mal ausrücken, um in Arztpraxen zu schlichten und gegebenenfalls polizeiliche Maßnahmen durchzusetzen.“ Er rät Ärzten dennoch: „Wenn es brenzlig wird, rufen Sie die 110.“ Oft vernebelten Alkohol oder Drogen die Sinne derjenigen, die randalierten und pöbelten, so Weinmeister.

Das berichten auch Teilnehmer der Veranstaltung in Braunschweig. Patienten versuchten mitunter, vorbei an der Sprechstundenhilfe zum Zimmer des Arztes zu gelangen oder rüttelten und traktierten den Tresen im Eingangsbereich. Ein Grund für die Ausfälle sei die als zu lang empfundene Wartezeit.

Vorschläge aus dem Publikum: Notschalter wie in einer Bank oder Benimmregeln, die Arzt und Patient vor der ersten Behandlung unterschreiben müssten. „Am besten auch auf Arabisch und Russisch.“