Braunschweig. . Untertauchen, ärztliche Atteste, fehlende Pässe: Ausländerbehörden in Niedersachsen setzen nur ein Viertel der Abschiebungen um.

Wie muss man die niedrigen Abschiebe-Quoten verstehen? Ist Niedersachsen besonders human, langsam oder unterbesetzt?

Das fragt unser Leser William Rossmann aus Königslutter.

Die Antwort recherchierte Andre Dolle.

Das Landeskriminalamt setzte 2017 in der Stadt Salzgitter elf Abschiebungen an. Umsetzen konnte das LKA davon nur drei. Vergangenes Jahr war die Quote schon besser. Von 16 geplanten Abschiebungen waren neun erfolgreich. Im laufenden Jahr ist ein Flüchtling abgeschoben worden, ein weiterer ist vorher untergetaucht. Weitere Abschiebungen sind bereits angesetzt. Man muss kein großer Prophet sein: Auch von diesen Abschiebungen werden nicht alle gelingen.

Nur ein Viertel der geplanten Abschiebungen in Niedersachsen waren erfolgreich. Abgelehnte Flüchtlinge tauchen kurz vor dem Termin unter – obwohl die Termine der Abschiebung den Flüchtlingen längst nicht mehr mitgeteilt werden. In vielen Fällen legen Flüchtlinge vor geplanten Abschiebungen ärztliche Atteste vor, dass sie wegen Krankheit reiseunfähig sind. Diese Regelung wurde im Juli 2017 verschärft, so dass nur noch bei ganz schweren Krankheiten nicht mehr abgeschoben wird. Viele Ausreisepflichtige gehen rechtlich gegen die Abschiebung vor. Es gibt Probleme mit den Herkunftsländern, die die Flüchtlinge wieder aufnehmen sollen. Oder es fehlen schlicht die Pass- und Reisedokumente.

Was die Abschiebungen betrifft, sind die Ausländerbehörden der Kommunen in Niedersachsen mal mehr, mal weniger durchsetzungsstark. Die Abschiebe-Quoten reichen von 1,79 Prozent bis 100 Prozent. Diese riesigen Unterschiede trotz einheitlicher Gesetzeslage will das Landesinnenministerium nicht mehr hinnehmen. Es nimmt die Arbeit der Ausländerbehörden stärker als zuvor unter die Lupe.

26 von 52 Ausländerbehörden in Niedersachsen haben Mitte Januar und Anfang März Blaue Briefe vom Innenministerium erhalten. Darunter auch Salzgitter. Völlig zu Unrecht, findet man dort.

Den Ausländerbehörden werde „keineswegs fehlendes Engagement im Rahmen des Abschiebungsvollzugs unterstellt“, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums. Es gehe darum, die Behörden auf eine verbesserte und einheitliche Rechtsanwendung aufmerksam zu machen. In den Briefen erklärte der zuständige Referatsleiter des Ministeriums unmissverständlich: „Die Entwicklung der Zahlen werde ich regelmäßig beobachten.“

Dementsprechend verärgert waren die betroffenen Kommunen. Neben Salzgitter haben zum Beispiel auch die Ausländerbehörden von Lüneburg und des Landkreises Celle Briefe aus dem Ministerium erhalten. Tore Harmening, Sprecher des Landkreises Celle, sagte: „Das Schreiben hat für erheblichen Ärger gesorgt. Die Forderungen sind nicht berechtigt.“ Die Kommunen verweisen darauf, dass auch Landesbehörden an den Abschiebungen beteiligt sind – etwa das LKA und die Polizei.

Abschiebungen aus Niedersachsen-01.jpg

Landesinnenminister Boris Pistorius (SPD) persönlich sah sich inzwischen gezwungen, die Wogen wieder zu glätten. Er lud Vertreter des Städtetages zu einem klärenden Gespräch. Offensichtlich war das nicht ausreichend.

Die Landesregierung folgt mit ihrem neuen Kurs einer Empfehlung des Landesrechnungshofes. Dieser prangerte die uneinheitliche Vorgehensweise der Ausländerbehörden in Niedersachsen bereits in seinem im Mai 2018 veröffentlichten Jahresbericht an.

Die von Minister Pistorius ins Spiel gebrachte Abschiebebehörde erscheint vor den sehr unterschiedlichen Abschiebe-Quoten der Ausländerbehörden in einem neuen Licht. Pistorius verteidigte die Abschiebebehörde, bei der Braunschweig als Standort im Gespräch ist, mit der gewünschten einheitlichen Handhabung. „Spezialisten“ aus einer Zentrale könnten bei Abschiebungen „rechtssicher und schnell“ handeln, sagte Pistorius einem Radiosender.

Dabei rüsten die Kommunen längst auf. In Salzgitter etwa werden abgelehnte Asylbewerber von der Ausländerbehörde der Stadt gezielt eingeladen, um sie zu einer freiwilligen Rückkehr zu motivieren. 2017 sind 36 Personen und 2018 insgesamt 22 Personen freiwillig zurückgekehrt. Salzgitters Stadt-Sprecherin Simone Kessner sagte: „Die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern hat für die Ausländerbehörde eine hohe Priorität. Das Team der Ausländerbehörde ist in den letzten Jahren auf inzwischen 16 Mitarbeitern aufgestockt worden, um den gesetzlichen Anforderungen nachkommen zu können.“ In Salzgitter leben derzeit 196 Menschen, deren Asylanträge abgelehnt worden sind. 2016 waren es noch 249 Flüchtlinge.