Braunschweig. Dirk Heinz, Chef des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung, sprach im Braunschweiger Dom über Erbgut-Eingriffe bei Menschen und Bakterien.

Wie weit darf der Mensch gehen, wenn er in grundlegende Abläufe des Lebens eingreift – ins Erbgut von Menschen, Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen? Diese grundlegende Frage zog sich wie ein roter Faden durch das Gespräch mit dem Molekularbiologen Dirk Heinz. Passend zum Thema des Verhältnisses von Mensch und Schöpfung fand der Abend im Braunschweiger Dom statt. Rund 50 Interessierte waren der Einladung der Domgemeinde und der Braunschweiger Zeitung gefolgt und lauschten im Chorraum der Kirche den Diskutanten. Neben Heinz, dem Wissenschaftlichen Geschäftsführer des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), waren dies Dompredigerin Cornelia Götz und Chefredakteur Armin Maus.

CRISPR erlaubt gezielte Eingriffe am Erbgut

Dreh- und Angelpunkt des Gesprächs war die sogenannte Gen-Schere „CRISPR/Cas“. Mit dem von der Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier, die lange in Braunschweig forschte und bis 2015 eine Abteilung des HZI leitete, mitentwickelten Verfahren ist es möglich, relativ einfach und gezielt Eingriffe am Erbgut vom Lebewesen vorzunehmen. Heinz bezeichnete die Gen-Schere im Dom als „mächtiges Werkzeug mit enormem Potential“. Wegen der Entwicklung von „CRISPR/Cas“ gilt Charpentier als aussichtsreiche Anwärterin auf den Nobelpreis.

Dompredigerin Cornelia Götz, Dirk Heinz, der wissenschaftliche Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung, und Chefredakteur Armin Maus während der Veranstaltungsreihe „Was mich antreibt, was mich leitet“ im Braunschweiger Dom.
Dompredigerin Cornelia Götz, Dirk Heinz, der wissenschaftliche Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung, und Chefredakteur Armin Maus während der Veranstaltungsreihe „Was mich antreibt, was mich leitet“ im Braunschweiger Dom. © Florian Kleinschmidt/BestPixels.de

Die entscheidende Frage im Umgang mit der Gen-Schere, so Heinz, sei für Wissenschaftler wie für die Gesellschaft: „Ermöglichen wir damit gezielte Heilung, oder wollen wir optimierte Menschen schaffen?“ Es sei „nicht auszudenken, was die Nazis damit angerichtet hätten, wenn sie solch ein Tool zur Hand gehabt hätten“.

„Fehlende Trennlinie“ zwischen Heilen und Optimieren

Heinz betonte, als deutscher Wissenschaftler spüre er eine besondere Verpflichtung bei Eingriffen am Erbgut – wenngleich er offenließ, wie sich diese Verpflichtung in seiner Arbeit auswirkt. „In anderen Ländern wird anders mit dem Thema umgegangen. Aus meinem Deutsch-Sein resultiert eine besondere Skepsis. Es ist ein Stigma, es beinhaltet für mich aber auch die Aufgabe, verantwortungsvoll mit dem Thema umzugehen.“

Was das konkret für ihn bedeute, wollte Dompredigerin Cornelia Götz wissen: „Zwischen Heilen und Verbessern fehlt die Trennlinie. Da lauern Abgründe“, sagte die Theologin und verwies auf das Buch „Homo Deus“ des israelischen Historikers Yuval Noah Harari, in dem dieser schildert, wie sich der Mensch zum Gott aufschwingt. Heinz antwortete: „Bei Erbkrankheiten wie etwa der Bluterkrankheit Gene zu verändern, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern – dagegen ist doch wenig einzuwenden.“ Und Menschen mithilfe von CRISPR intelligenter zu machen, davon sei man noch weit entfernt. „Das Genom ist da, wir können es beschreiben“, sagte er, „aber verstanden haben wir es noch längst nicht.“

Risiko: erhöhte Anfälligkeit für Krebs

Die Verlockungen der Gen-Schere, Menschen gezielt zu optimieren, bestritt Dirk Heinz dennoch nicht. Er rief ins Bewusstsein, der chinesische Forscher Jiankui He, der das Erbgut von Zwillingen manipulierte, um diese gegen Aids zu immunisieren, habe in der Wissenschafts-Community nicht nur Ablehnung, sondern vereinzelt sogar Zustimmung geerntet. Wenn man Menschen maßgeschneidert verändern wolle, so Heinz, müsse man genau wissen, „an welcher Schraube man drehen muss“. Unbeabsichtigte Folge eines solchen Eingriffs könne etwa eine erhöhte Krebsanfälligkeit sein. „Das klingt für mich doch sehr nach Goethes Zauberlehrling“, bemerkte die Dompredigerin.

Heinz: „Es geht nicht darum, Lebensalter-Rekorde zu brechen“

Auf die Frage von Armin Maus, von welchen ethischen Maßstäben er sich konkret leiten lasse, verwies Heinz auf allgemeine Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis: „Das ist essenziell. Was wir behaupten, muss überprüfbar und mit Fakten untermauert sein.“ Ergänzend fügte er hinzu: „Die Würde von Menschen und Lebewesen muss geachtet werden.“ Der Auftrag der Medizin, so Heinz, sei nicht das Erzielen von Altersrekorden, sondern, „ein inhaltsreiches und gesundes Leben“ zu ermöglichen. „So absurd es wäre, zu sagen ,Bis hierher und nicht weiter’, so wenig erstrebenswert ist ein ewiges Leben.“ Mit dem Fortschritt der Medizin müsse auch die Sterbehilfe enttabuisiert werden, forderte Heinz: „Ich bin der Meinung, dass wir uns endlich konstruktiv mit dem Thema befassen müssen.“

Der Kampf gegen multiresistente Keime

Eine wichtige Rolle spielt die Gen-Schere im Kampf gegen multiresistente Keime. Infektionskrankheiten, so der HZI-Chef, stellten die Forschung immer noch vor große Aufgaben – nicht nur in Entwicklungsländern. Er verwies auf Infektionen in Krankenhäusern, an denen weltweit mehrere Hunderttausend Menschen erkrankten. Am HZI kommt CRISPR zum Einsatz, um Bakterien genetisch so zu manipulieren, dass sie nicht mehr resistent gegen Antibiotika sind. Heinz’ Traum ist es, in Braunschweig ein neues Antibiotikum zu entwickeln, erklärte er.

Heinz mahnt sorgsamen Antibiotika-Einsatz an

„Bei den multiresistenten Keimen stoßen Sie an Grenzen“, sagte Chefredakteur Armin Maus. „Sind wir Menschen nicht selbst schuld an diesem Problem?“ So unvernünftig, wie es scheine, seien die Menschen gar nicht, antwortete Heinz: „Antibiotika gehören zu den besten Medikamenten, die es überhaupt gibt. Sie können tödliche Krankheiten binnen einer Woche heilen.“ Dass Bakterien mit Resistenzen reagierten, sei ein ganz natürlicher Vorgang. Entscheidend sei es, wieder stärker an der Entwicklung neuer Antibiotika zu forschen. „Derzeit gibt es weltweit nur noch drei Unternehmen, die das tun“, sagte Heinz. Dass mit der Antibiotikaentwicklung kaum Geld zu verdienen sei, bezeichnete er als „ein echtes Marktversagen“.

Außerdem müssten Antibiotika sorgsamer eingesetzt werden. Zu oft kämen sie bei Erkältungen zum Zug, obwohl diese von Viren verursacht sind, gegen die Antibiotika nicht wirken. Allen Erkältungsgeplagten gab Heinz einen Tipp: „Unterlassen Sie es einfach, sich an die Nase zu fassen!“ Die Nase sei das Haupteinfallstor für Erkältungen. „Meist gelangen die Erreger per Hand in die Atemwege und verursachen dort den Schnupfen.“