Braunschweig. Weltmeister der Formel 1, Gründer von Fluglinien und geprägt von einem Feuer-Unfall auf dem Nürburgring: Am Freitag wird er 70.

Niki Lauda – Mensch oder Marke? Natürlich beides. Und viel mehr. Formel 1-Champion, Pilot, Fluglinienbesitzer, vor allem aber ein ungewöhnlicher Typ, der sich niemals verbiegen ließ. Der gebürtige Wiener, stets „bemützt“ mit seinem roten „Kapperl“, wird selbst in entlegensten Regionen der Welt erkannt. Kein Wunder: Das Gesicht dieser Rennsport-Legende trägt die Spuren einer Feuertragödie, die er selbst – schnoddrig wie es seine Art ist – auch schon mal als „Barbecue“ bezeichnet hat. Heute wird dieser Niki Lauda 70 Jahre alt.

Der Luftfahrtunternehmer. Hier stellt Niki Lauda  1997 in Hamburg die zweistrahlige Boeing 777-200 seiner Fluglinie Lauda Air vor.
Der Luftfahrtunternehmer. Hier stellt Niki Lauda 1997 in Hamburg die zweistrahlige Boeing 777-200 seiner Fluglinie Lauda Air vor. © picture-alliance / dpa | Stefan_Hesse

Den Horror-Unfall beim Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring 1976 hat Lauda nur mit sehr viel Glück überlebt. Aber seine Karriere endete damit nicht. Er, der amtierende Weltmeister von 1975, startete sozusagen in ein zweites Leben hinein und kletterte von Brandwunden gequält sechs Wochen später wieder ins Cockpit.

Fast wäre er erneut Champion geworden, hätte er nicht beim Finale in Japan in sintflutartigem Regen seinen Ferrari einfach abgestellt und erklärt: „Ist mir zu gefährlich“. 1977 war er wieder Weltmeister. Doch zwei Jahre später trat er ab, weil er „nicht mehr im Kreis rumfahren wollte“. Doch das war nicht das letzte Wort. Er kehrte zurück und wurde 1984 nochmals Weltmeister, ehe er als „wilder Hund“ die Luftfahrtbranche aufrüttelte.

Der Unfall auf der alten Nürburgring-Nordschleife, der gefährlichsten Rennpiste der Welt, bleibt „der“ Fixpunkt in Laudas Leben. Sein Ferrari knallte bei Tempo 250 wegen eines Materialschadens in die Leitplanken und explodierte. Das brennende Wrack rammten dann gleich auch noch drei Wagen. Deren Fahrer Harald Ertl, Brett Lunger, Guy Edwards und zusätzlich Arturo Merzario zogen Lauda todesmutig aus dem Feuer.

Es war ein Tag, den man nie vergisst. Ich stand damals an den Boxen. Bereit für das GT-Rennen nach dem Grand-Prix. Bei Start und Ziel fieberten 100.000 Zuschauer, aber der Rennwagenpulk kam in der dritten Runde einfach nicht mehr wieder! Kein einziges Auto! Ängstliches Raunen auf den Tribünen. Dann ein Fanal: Eine schwarze Rauchwolke stieg in den Himmel, einige Kilometer entfernt. Jeder ahnte: Da ist etwas ganz Fürchterliches passiert. Es war eine Situation, die eine Gänsehaut auslöste.

Die Glut entstellte Lauda für immer, raubte ihm aber nicht seine Willenskraft. „Wie lebt ein Mann ohne Gesicht?“ titelte die Bild-Zeitung. Laudas Konkurrent James Hunt meinte: „Du siehst eigentlich besser aus als vorher.“ Der Lauda-Film „Rush“ zeigte 2013 sehr realitätsnah die raue Wirklichkeit der Vollgasbranche. Zumindest damals, als jede Saison 20 bis 25 Rennfahrer tödlich verunglückten. Racing war ein Spiel auf Leben und Tod.

Lauda sprach über den Unfall nie weinerlich. Eher kurz, sachlich, schroff wie es seine Art ist. Als er später mit Freunden die Nürburgring-Unfallstelle besuchte, wunderten sich vorbeifahrende Touristen: „Herr Lauda. Was machen Sie denn hier?“ Darauf er: „Wir suchen mein Ohr. Das habe ich hier 1976 verloren.“ Cooler geht‘s nicht. Dennoch dürfte sich in seiner überaus ruppigen Kämpfernatur auch hochgradige Sensibilität verbergen.

1. Juli 2018: Lauda beim Grand-Prix von Österreich vor dem „Legenden-Lauf“ in dem gleichen BMW CSL, den er 1973 für das Braunschweiger Jägermeister Racing Team fuhr.
1. Juli 2018: Lauda beim Grand-Prix von Österreich vor dem „Legenden-Lauf“ in dem gleichen BMW CSL, den er 1973 für das Braunschweiger Jägermeister Racing Team fuhr. © Privat | Privat

Die gravierendsten Gesundheitsschäden seines Unfalls offenbarten sich erst viel später. Vor allem wegen des eingeatmeten Feuerlöschstaubs. Lauda erhielt eine Niere von seinem Bruder und eine weitere von seiner damaligen Freundin und heutigen Frau Birgit. Auch die Lungen-Transplantation von 2018 war eine Folge des Nürburgring-Unfalls.

Wie skizziert man solch ein Leben? Was formte diesen relativ zarten Kerl, der eine behütete Jugend im Wohlstand verbrachte? Einen, der sich selbst als „arges Seicherl“ sah? Einen, der aus der Familie ausbrach? Wie tickt der?

Einen Wink geben zuweilen Episoden. Wie diese. Ich lernte Niki Lauda im Mai 1973 in Spa näher kennen. Natürlich hatte ich ihn bei einigen Rennen erlebt. Wir hatten auch schon telefoniert. Einmal ausgerechnet am Heiligabend. 1972. Etwa um acht, die Lichter brannten am Baum. Es könnte sein, dass gerade „Stille Nacht“ lief, als er anrief.

Lauda hockte in London, sein Flug ging erst am nächsten Morgen. Aber das war ihm egal. Seine Frage: „Was ist mit Formel 1? Können wir einen Jägermeister-BRM machen?“ Ich wiegelte ab. Formel 1 nein, aber schon eher Tourenwagen.

Nun also in Spa unser Treffen. Das erste, was ich von ihm sah, waren seine Füße. Die ragten unter einem Alpina-BMW hervor. Er inspizierte alles. Radaufhängungen, Bremsleitungen, Lenkung, Reifen. Als er hervorkroch, fragte ich: „Na, alles okay?“ Darauf er: „Nichts ist okay. Ich stelle eben fest, dass der Burkhard (Anmerkung: Teamchef Burkhard Bovensiepen) den Top-Motor und die Top-Reifen diesem ,belgischen Schistler‘ gegeben hat.“ Der „Schistler“ war ein gut zahlender Privatfahrer. Lauda tobte. Aber nur kurz, dann fand er sofort sein zweites Thema: Geld. „Kannst Du dafür sorgen, dass ich 500 Mark mehr pro Start bekomme?“

In dieser Saison 1973 fuhr er einen BMW für unser Braunschweiger Jägermeister-Team. Als ich Alpina-Chef Bovensiepen darauf ansprach, bellte der: „500 Mark mehr? Der kriegt schon 5000 pro Start.“ Und die Sache mit dem Motor? Der Teamchef, etwas sanfter: „Niki, Du bist so gut. Du brauchst den guten Motor gar nicht. Du gewinnst auch so.“ Womit er recht behielt.

Das Geld, das er bei den Tourenwagenrennen 1973 einstrich, lieferte er bei BRM ab, um überhaupt Formel 1 zu fahren. Für das Jahr darauf verpflichtete ihn Ferrari, und es gab keinerlei Geldsorgen mehr.

Zwei Charakterzüge blitzten damals schon auf: Geschäftssinn und präzisestes Denken, um die Technik der Rennwagen (später der Flugzeuge) voll zu durchblicken. Das hatte vorher im Motorsport keiner getan.

Wenn „Strietzel“ Stuck nach dem Training aus dem Auto stieg, sagte er „Horrido“ und verschwand – ein hübsches Mädchen an der Hand. Lauda dagegen hockte noch nachts um 11 Uhr in den Boxen und redete mit den Technikern. Er analysierte und lernte, wie ein Ingenieur zu denken. Andere taten es ihm später nach. Etwa Alain Prost, Ayrton Senna, Michael Schumacher.

Der zweite Aspekt: Geld. Keiner pokerte so erbarmungslos wie Lauda. Keiner ging solche Risiken ein; denn am Anfang seiner Karriere hatte er sich einen Riesenkredit aufgehalst. Auch das hatte zum Bruch mit seiner Familie geführt, die partout nicht einsehen wollte, dass einer die Schule abbrach, das Abitur „schmiss“ und Schulden machte, nur um Rennfahrer zu werden.

Doch Lauda zog „sein Ding“ immer durch. Kühl, kompromisslos, oft rücksichtslos. Er, der Schulversager und Nicht-Akademiker, beschrieb sein Talent so: „Nachdenken, analysieren, Fehler beheben“.

1984 wurde Lauda im McLaren zum dritten Mal Weltmeister.  Erstaunlich: Neben der Rennfahrerei erwarb er schon fast sämtliche Fluglizenzen.
1984 wurde Lauda im McLaren zum dritten Mal Weltmeister. Erstaunlich: Neben der Rennfahrerei erwarb er schon fast sämtliche Fluglizenzen. © picture alliance / dpa | Erwin Scheriau

Als er mit dieser Einstellung 1974 zu Ferrari kam, bebte die Erde. In Modena herrschte, umgeben von Ja-Sagern, ein „Sonnenkönig“: Enzo Ferrari. Was der sagte, war Gesetz. Nun kam einer, der testete und sein Urteil fällte: „Murks, diese Autos.“ Erstaunlicherweise nahm Enzo Ferrari die Kritik hin. Es geschah, was keiner erwartet hatte: Ferrari wurde die Top-Marke der Formel 1. Vier Jahre lang. Doch 1977 hielt Lauda den „Intrigen-Stadl“ nicht mehr aus und ließ Enzo Ferrari wissen: „Ich haue ab. Egal, was Ihr mir zahlt.“

1978 heuerte Lauda bei Brabham an, damals im Besitz von Bernie Ecclestone. Das ging zwei Jahre gut. Doch nachdem er für 1980 die (für damalige Verhältnisse) „Wahnsinns-Summe“ von zwei Millionen Dollar gefordert und zugesagt bekam, geschah das Verrückte. Lauda erklärte: „Bernie, ich habe einfach keine Lust mehr.“ Am Tag vor dem WM-Finale 1979 in Kanada packte er seine Tasche und flog heim. Zu Marlene, seiner damaligen Frau, die zuvor mit dem weltberühmten Schauspieler Curd Jürgens liiert war.

Schon damals Niki saß selbst am Steuerknüppel eines eigenen Jets. Fast noch verblüffender war, dass er mitten im Renntrubel sämtliche Lizenzen für die Fliegerei erwarb.

So begann das dritte Leben des Niki Lauda: Er baute ein Luftfahrt-Imperium auf. Name: „Lauda-Air“.

Wer nun aber geglaubt hatte, die Rennerei reize ihn nicht mehr, der irrte. 1982 ließ er sich für eine Rekordsumme von 12 Millionen Dollar zum Comeback bei McLaren überreden. Sponsor Marlboro zahlte. Team-Chef Ron Dennis zweifelte: „Soviel Geld! Was ist, wenn Du nicht mehr schnell genug bist?“ Lauda: „Fürs Fahren fordere ich nur einen Dollar. Der Rest ist für PR, für die Marke Lauda.“ Und im McLaren-Porsche wurde er tatsächlich 1984 erneut Weltmeister, ehe dann 1985 endgültig Schluss war.

Von nun gab es nur noch die Flugzeuge. Die wollte Lauda nicht nur selber perfekt beherrschen, sondern er kämpfte nun auch als Manager auf einem extrem komplizierten Markt. Aber diese Herausforderung gefiel ihm. Er setzte bei Lauda Air (bis zu 47 Maschinen im weltweiten Linienverkehr!) auf Freundlichkeit, Top-Service und Gourmet-Beköstigung. Das zog. „Ich war draußen, flog selber, prüfte ständig meine Standards,“ sagte Lauda. Das konnte dazu führen, dass er eigenhändig vorführte, wie „picobello sauber ein Klo“ zu sein hat. Dass er auch die größten „Vögel“ (etwa Boeing 767) im Dienst selbst flog, ist beispiellos. Bei Boeing hieß es: „Er ist der beste Flugschüler, den wir je hatten.“

Die Tragik in Laudas Leben war 1991 der Absturz einer Lauda-767 in Thailand. Keiner der 223 Menschen überlebte. Lauda flog sofort hin, überwachte tagelang die Bergungsarbeiten im Dschungel und die Recherchen der Untersuchungskommission. Das Unfassbare geschah. Lauda fand heraus, dass sich bei der neuen 767 in der Luft die Schubumkehr eingeschaltet hatte. Im Klartext: Boeing hatte einen Konstruktionsfehler begangen! Nur ein so cleverer, harter, unbequemer Kerl wie Lauda konnte erreichen, dass Boeing diesen Fehler schließlich auch öffentlich zugab.

Der Rennsport? Dem blieb er immer nahe. Als Kommentator, aber auch als Aufsichtsrat-Chef (und Gesellschafter) von Mercedes-Formel 1. Seine erste Amtshandlung dort war übrigens typisch für Lauda: Rigoros entließ er Rennfahrer-Legende Michael Schumacher und verpflichtete Lewis Hamilton.

Und die Airlines? Schon 2002 hatte Lauda seine Firma an Austrian Airlines verkauft, Niki-Luftfahrt gegründet und mit Air Berlin fusioniert. Als „AB“ 2018 in die Pleite rutschte, kaufte Lauda Niki-Luftfahrt zurück. Kurz darauf überstand er eine Transplantation beider Lungenflügel und war dem Tod sehr nahe. Und so kann man sagen, dass er nun in seinem vierten Leben ist.