Braunschweig. Angesichts der Zahl der Verkehrstoten hält der ADAC Tempo 130 für das falsche Signal. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat widerspricht.

Welche Vorteile hätte ein Tempolimit, was sagt die Unfallstatistik?

Das fragt unser Leser Rainer Kummer aus Vechelde.

Die Antwort recherchierte Dirk Breyvogel

Im Streit um ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen gibt es gefühlt nur Schwarz oder Weiß. Die Frage, die viele Leser umtreibt: Würde die Geschwindigkeitsbegrenzung für PKW auf 130 km/h auf der Autobahn dazu führen, dass weniger Menschen tödlich verunglücken?

Aus den Zahlen, die der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) unserer Zeitung zur Verfügung stellt, lässt sich das nicht generell ableiten, denn die Statistik hat einen Haken. Sie differenziert nicht hinsichtlich der Todesursache. Im Jahr 2017 wurden auf deutschen Bundesautobahnen (BAB) 409 Menschen getötet. Ob jemand starb, weil er zu schnell fuhr oder unglücklicherweise am Stauende stehend von einem anderen Fahrzeug gerammt wurde, verraten die Zahlen nicht dezidiert. Hier bleibt Interpretationsspielraum, wie viele tödliche Unfälle mit Geschwindigkeitsrausch zu tun haben. Was die Zahlen verraten: wo die Menschen ihr Leben ließen. Rund 70 Prozent aller auf Autobahnen tödlich Verunglückten kamen in Abschnitten ums Leben, in denen es keine Geschwindigkeitsbegrenzung gab (277), etwas mehr als 30 Prozent (132) starben, wo das Tempo gedrosselt werden musste – auf 130 km/h oder darunter.

Die prozentuale Verteilung der Getöteten entspricht in etwa dem Verhältnis zwischen Autobahnabschnitten mit und ohne Tempolimit. So gilt laut DVR auf etwa 70 Prozent des deutschen Autobahnnetzes „freie Fahrt“. DVR-Sprecherin Julia Fohmann teilt dazu mit: „Auf rund 25 Prozent der deutschen Autobahnen – oder umgerechnet 6035 Kilometer in beide Fahrtrichtungen – gilt ein streckenbezogenes, situationsabhängiges Tempolimit. In der Regel beträgt es 120 oder 130 km/h. Etwa 6 Prozent davon haben ein flexibles Tempolimit, beispielsweise aufgrund von Baustellen. Bei 30 Prozent der zurzeit tempolimitierten Abschnitte wurde die Geschwindigkeit begrenzt, weil es die Sicherheitslage erforderte. Ziel war die Senkung der Unfallzahlen, der Getöteten und Schwerverletzten“, so Fohmann.

Getötete im Straßenverkehr in Deutschland.
Getötete im Straßenverkehr in Deutschland. © Jürgen Runo

Der ADAC teilt ergänzend mit, dass das Tempo auf etwa 9 Prozent der gesamten Autobahnstrecke über Verkehrsbeeinflussungsanlagen (VBA), sogenannte „Schilderbrücken“, geregelt wird. Diese wurden in unserer Region zwischen Peine und Helmstedt an der Autobahn 2 installiert. Die größte Interessenvertretung deutscher Autofahrer ist sich mit Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) einig, wenn es um die Begründung geht, warum ein Tempolimit auf Autobahnen wenig zielführend ist. Unserer Zeitung teilt der ADAC Landesverband Niedersachsen/Sachsen-Anhalt mit: „Die Autobahnen sind bei weitem die sichersten Straßen in Deutschland. Im Jahr 2017 wurden auf den Autobahnen rund ein Drittel aller Kraftfahrzeugkilometer abgewickelt. Der Anteil der Getöteten auf Autobahnen war mit rund 12 Prozent aller Getöteten weit unterdurchschnittlich. Ein Zusammenhang zwischen generellem Tempolimit und dem Sicherheitsniveau auf Autobahnen ist im internationalen Vergleich also nicht feststellbar. Zahlreiche Länder mit genereller Geschwindigkeitsbeschränkung schneiden schlechter ab als Deutschland, zum Beispiel Belgien, Frankreich und Slowenien.“

Der Verkehrssicherheitsrat nennt dagegen Dänemark als warnendes Beispiel. Dort habe die „Aufweichung“ von strengen Richtlinien negative Folgen gehabt. Im Jahr 2014 habe das EU-Land das Tempolimit von 110 km/h auf 130 km/h auf hochgesetzt. Seitdem sei nicht nur das durchschnittlich gefahrene Tempo auf dänischen Autobahnen um 1,9 Prozent, sondern auch die Unfälle mit Personenschäden um mehr als 20 Prozent gestiegen.

Wissenschaftliche Studien, die eine Korrelation zwischen Tempolimit und Verkehrstoten belegen beziehungsweise ausschließen, gibt es wenige. Laut DVR ist im Jahr 1970 letztmals eine bundesweite Erhebung erschienen. Was es gibt, sind Untersuchungen für Autobahn-Teilabschnitte. Im September entschloss sich das nordrhein-westfälische Verkehrsministerium nach einer Serie von Unfällen mit insgesamt neun Toten dazu, auf der Autobahn 4 zwischen den Anschlussstellen Merzenich und Elsdorf auf knapp 15 Kilometern über ein Tempolimit die Geschwindigkeit zu regulieren. Seitdem gab es nach Angaben des DVR auf diesem Abschnitt keinen Unfall mehr mit Todesfolge. Auch eine Studie des Landes Brandenburg aus dem Jahr 2007 stützt die These der Verkehrssicherheitsexperten, dass auf Abschnitten ohne Tempolimit in der Regel mehr Menschen sterben als auf Strecken ohne. Es bleiben jedoch Einzelfallerhebungen.

Für den ADAC stellt die Autobahn keinen Brennpunkt der Verkehrssicherheit dar. Dieser liege auf den Bundes- und Landstraßen. 57 Prozent aller Verkehrstoten würden hier tödlich verunfallen. Auch hier sagt die Statistik aber nichts über die Ursache des Unfalls aus, auch nicht darüber, ob es sich bei dem Toten um einen Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger handelt. Letztere stellen auf deutschen Autobahnen aber natürlich keinen statistisch hoch relevanten Anteil dar.

Der ADAC fordert Tempolimits nur in Einzelfällen, etwa bei besonders kurvenreichen oder unübersichtlichen Autobahnstrecken. Dagegen hält er den umfassenden Einsatz neuer technischer Möglichkeiten zur Verkehrssteuerung für geeigneter, um die Sicherheit zu erhöhen. Dafür seien aber erhebliche Investitionen vonnöten.