Braunschweig. Orakel Wolf-Rüdiger Umbach sagt starke Auftritte der Nationalmannschaft voraus, die Fußball-Dominanz im TV wurmt ihn aber.

Was bringt 2019 für den Sport? Wolf-Rüdiger Umbach, Präsident des Landessportbundes, hat als Orakel unserer Zeitung schon Routine. Diesmal hofft der ehemalige Fußball-Bundesliga-Schiedsrichter, dass er mit seinen Voraussagen besonders im Blick auf Eintracht Braunschweig und die Nationalmannschaft richtiger liegt als im Vorjahr.

Professor Umbach, zuerst die Frage, die die Region bewegt: Schafft Eintracht Braunschweig noch den Klassenerhalt in der dritten Liga? Und wie soll das gehen?

Für jemanden, der seit 1963 die Fußball-Bundesliga verfolgt und damals mit Eintrachts A-Jugend niedersächsischer Pokalsieger geworden ist, ist es völlig unvorstellbar, dass Eintracht in die vierte Liga absteigt. Auch wenn mir immer noch zu viel über die Meisterschaft 1967 geredet wird – wir sind Gründungsmitglied der Bundesliga und kein Verein der Regionalliga!

Allerdings hat statistisch gesehen noch nie eine Mannschaft mit so großem Rückstand auf die Nichtabstiegsplätze noch den Klassenerhalt geschafft. Trotzdem prognostiziere ich: Eintracht wird es noch schaffen. Trainer André Schubert holt mit seiner Champions-League-Erfahrung und seinen Kontakten jetzt in der Winterpause gute Leute dazu. Das ist der Verein dem Publikum auch schuldig, es nützt ja nichts, Geld in der Kasse zu haben, aber abzusteigen.

Wie schon in der Vorsaison hat die Mannschaft bislang zu oft unentschieden gespielt. Jetzt muss man jedes zweite Spiel gewinnen, dann wären das 41 Punkte, und damit hält man die Klasse.

Der VfL Wolfsburg steht nach dem erfolgreichen Endspurt im alten Jahr überraschend als Fünfter auf einem Europaleague-Platz. Hält er das Niveau und erreicht das internationale Geschäft?

Die Mannschaft hat wirklich viel besser abgeschnitten, als ich es ihr zugetraut hatte nach zwei Spielzeiten auf einem Relegationsplatz. Sie ist sehr stabil geworden, und wenn der Start aus der Winterpause gelingt, traue ich ihr den Top-6-Platz am Ende zu.

Was erreichen die anderen Erstligisten der Region, die VfL Fußballerinnen, die Grizzlys, die Basketballer und die Basketballerinnen?

Die VfL-Frauen machen einen souveränen Durchmarsch zur Titelverteidigung. Den Champions-League-Titel werden sie aber nicht gewinnen. Für die Grizzlys sieht es nicht gut aus, aber absteigen können sie ja nicht, sonst wäre es sehr eng. Die Basketballer werden um Platz neun herum landen, und bei den Frauen glaube ich an den Klassenerhalt, wenn die neue Ausländerin richtig gut ist.

Was kann die Fußball-Nationalmannschaft nach dem Seuchenjahr 2018 erreichen? Wird sie die Sympathien der Fans zurückgewinnen und die Stadien wieder füllen? Ist Jogi Löw Ende 2019 noch Bundestrainer?

Ja, sie wird die Sympathien zurückgewinnen. Die jüngsten Spiele in der Nations League waren ja schon wieder über weite Strecken sehr gut. Das Format finde ich übrigens viel spannender als die Freundschaftsspiele, bei denen man siebenmal auswechselt und der Spielfluss verloren geht. Joachim Löw hat begriffen, dass es mit den Weltmeistern von 2014 nicht weitergeht, die größtenteils älter und langsamer geworden sind. Ich denke, die Nationalmannschaft wird die EM-Qualifikation souverän schaffen, Löw bleibt Trainer, und die Zuschauer werden auch zurückkommen.

In ein paar Tagen steigt wieder eine Handball-WM in Deutschland, im Herbst folgt die Turn-WM in Stuttgart. Können diese Großereignisse bleibende Begeisterung im Land wecken, so wie es die Verbände erhoffen?

Der Handball kann die Massen begeistern, das hat er bei der Heim-WM 2007 bewiesen. Der Titelgewinn damals hat eine unheimliche Euphorie ausgelöst. Dass Turnen so etwas schafft, wage ich zu bezweifeln. Sportarten, bei denen bewertet wird, haben es schwerer, das sieht man in Braunschweig ja auch beim Formationstanzen.

Das Schlimme ist aber, dass in Deutschland sowieso nur Fußball, Fußball, Fußball zählt bei den Medien. Ich war zehn Jahre im Rundfunkrat und habe mich mit dem NDR auseinandergesetzt, dass sie auch mal andere Sportarten übertragen. Aber da war nichts zu machen. Und als jetzt im November einen Samstag mal kein Fußball war, hat das ZDF einfach kein Sportstudio gebracht – das finde ich eine Frechheit.

Welche Sportart wird 2019 der Gewinner des Jahres in Bezug auf Erfolge und/oder Zuwachs?

Von der Wahrnehmung her natürlich wieder der Fußball. Allerdings geht die Zahl der Mannschaften dramatisch zurück, es ist fraglich, ob man da vom Gewinner sprechen kann. Tennis könnte einen Aufschwung nehmen nach den Erfolgen von Angelique Kerber und Alexander Zverev. Und beim Handball hängt es vom WM-Abschneiden der Nationalmannschaft ab.

Es heißt, der deutsche Sport bastele an der Austragung einer Reihe von großen Turnieren, an deren Ende eine Sommer-Olympia-Bewerbung für die 2030er-Jahre stehen soll. Lebt diese Idee 2019 auf?

Das Problem ist doch, dass wir uns in Deutschland dazu verstiegen haben, nur die betroffenen Bürger vor Ort zu fragen, ob sie ein Großereignis haben wollen. Und die sind dann dagegen, weil sie Veränderungen in ihrem Leben fürchten. Das habe ich nie verstanden. Ich bin sicher, wenn man eine Volksabstimmung machen würde, wären wir in der Lage, Olympische Spiele auszurichten.

Andere Großereignisse auf dem Weg dorthin könnten sicherlich helfen, Begeisterung zu wecken. Das hat man ja beim Sommermärchen gesehen. Die Fußball-EM 2024 hat da sicherlich wieder einen höheren Wert als die meisten Veranstaltungen in olympischen Sportarten.

Meiner Meinung nach sollten wir uns wieder um Sommerspiele bewerben, auch weil es für den Sport einen Schub bringt. München profitiert heute noch von der Infrastruktur, die für die Spiele 1972 geschaffen wurde, oder Hannover von der Expo 2000.

In diesem Jahr werden erstmals als Pilotprojekt mehrere deutsche Meisterschaften in Kernsportarten parallel in Berlin ausgetragen und von den Öffentlich-Rechtlichen TV-Sendern übertragen. Wird das Projekt ein Erfolg?

Davon bin ich überzeugt, weil in Deutschland Großereignisse eigentlich immer erfolgreich sind.

Viele Spitzenathleten fühlen ihre Interessen von den Sportverbänden nicht richtig vertreten. Zum Beispiel forderten sie, dass Olympiateilnehmer an den Einnahmen beteiligt werden. Generell sollen Sportler als Hauptdarsteller von Wettkämpfen mehr Gewicht bekommen. Wird sich in dieser Richtung etwas ändern?

Das sind zumindest berechtigte Forderungen. Die Athleten sorgen doch dafür, dass die Leute in die Stadien und Hallen kommen. Andere Länder zahlen ihren Olympiasiegern lebenslänglich eine Rente oder schenken ihnen ein Haus. Nur unsere Sportler sind gekniffen, die paar Prämien sind schnell wieder weg für Trainer und Physios. Und beim IOC geht es um Milliarden-Einnahmen. Warum sollen die nicht je nach Platzierung Prämien an die Athleten zahlen?

Der Leistungssport ist heute eine harte, ganztägige Arbeit, von der man leben können muss. Aber neben den Fußballern gibt es nur wenige, die sich so vermarkten können, dass es reicht. Wir haben 15-Jährige bei uns im LSB-Internat, die mit Training und Schule auf 70 Stunden die Woche kommen, das ist doch eigentlich absurd.

Ich finde es richtig, den Athleten mehr Gehör und Partizipation zu ermöglichen. Der LSB hat alle Leistungssportler in Niedersachsen angeschrieben, ob sie sich stärker einbringen wollen, und wir haben eine Athletenvertretung gebildet. Die Spitzenverbände sollten auch versuchen, lohnenswertere Wettbewerbe für ihre Athleten auszurichten, bei den meisten Veranstaltungen von der Landes- bis zur Bundesebene gibt es ja nichts zu gewinnen.

Niedersachsen ist zum G-9-Abitur zurückgekehrt. Hilft das den Sportvereinen, wieder mehr Kinder zu bekommen, die nachmittags Sport treiben wollen?

Nicht G8 oder G9 ist entscheidend, sondern die Ganztagsschule. Wenn da Bewegungseinheiten angeboten werden, sagen die Eltern, warum soll das Kind abends nochmal zum Sport? In vielen Mannschaftssportarten kriegt man kaum noch A-Jugendteams zusammen. Bei uns in Rottorf bilden wir jetzt schon eine SG mit Schöningen. Das ist 25 Kilometer weg, eine große logistische Leistung. Viele Landesfachverbände fusionieren schon mit anderen.

Aber natürlich: G9 ist gemütlicher als G8 und vielleicht entspannt sich die Situation für Schüler und sie finden wieder Zeit für Sport. Abwarten. Unser Versuch, Vereine in die Ganztagsschule zu bringen ist noch nicht so von Erfolg gekrönt, weil die Kinder trotzdem nicht in die Klubs kommen.

Im Jahr 2020 dürfte durch den Rückgang zu G9 noch ein weiteres Problem auftauchen: Es werden nur etwa 9000 Abiturienten erwartet, statt 34.000, und das wird vermutlich stark auf die Freiwilligendienste durchschlagen. Den Sportvereinen werden diese Leute fehlen.

Das Land hat 100 Millionen Euro verteilt auf vier Jahre für die Sportstätten-Sanierung bewilligt. Wird man 2019 schon Erfolge sehen in unserer Region?

Bei den Vereinen ja, weil doppelt so viel Geld im System ist wie zuvor. Bei den Kommunen müssen erstmal die Richtlinien festgelegt werden, dann kommen die Anträge, dann gibt es das Geld. 2019 wird im kommunalen Bereich noch nicht so viel sichtbar sein.

Was ist Ihr Wunsch 2019 an die Sportpolitiker?

Dass dieses Programm verstetigt wird, denn es wird heillos überbucht sein. Endlich sind ja auch die Schwimmbäder mit dabei, und die sind außerordentlich teuer. Die Zuschüsse werden einiges initiieren, aber sie sind noch nicht der ganz große Wurf. Es geht ja nur um Sanierung, noch nicht um Neubauten. Städte wie Braunschweig bauen Kunstrasenplätze und Gemeinden im Emsland auch, aber in Helmstedt beispielsweise gibt es keinen einzigen. Im ganzen Osten des Landes ist es schwierig.

Außerdem erhoffen wir uns eine Erhöhung der allgemeinen Sportförderung um sieben Millionen Euro und der Übungsleiterpauschale auf 3000 Euro. Außerdem warten wir auf einen Beschluss der Politik, dass Sportvereine bürokratisch entlastet werden, indem sie bei ihren Bauvorhaben nicht dem Tariftreue- und Vergabegesetz unterliegen.

Wenn Randsportarten versuchen, sich durch größere Veranstaltungen gegenüber dem übermächtigen Fußball zu behaupten, stoßen die Vereine oft schnell an finanzielle Grenzen, zum Beispiel wenn sie sich die Anmietung einer großen Arena nicht leisten können. Wird denen geholfen?

Der Landessportbund hat so wenig Geld, dass er sich einen Topf für Großveranstaltungen nicht leisten kann. Das ist nur über Sponsoren zu lösen. Die Lotto-Sport-Stiftung unterstützt solche Projekte, schüttet mehr als drei Millionen Euro im Jahr aus. Allerdings muss ein großer Eigenanteil geleistet werden.

Steuern wir wirklich auf den „Ausverkauf“ des Fußballs hin, bei dem Unternehmen eine Liga mit den besten Klubs betreiben oder sich fast alle Rechte der Fifa sichern, so wie es die Enthüllungen der „Fußball-Leaks“ nahelegen? Und was würde das bedeuten?

So eine Superliga wie im US-Sport kommt in Deutschland nicht an. Siehe Eishockey, da führen sie jetzt auch wieder Auf- und Abstieg ein. Von der Geldakquise her könnten dort auch nur Bayern und Dortmund mitspielen, dann wäre Schluss, das wird keine ernsthafte Geschichte. Außerdem ist Bayern München auch zu clever, um die Bundesliga kaputtzumachen.

Und was die Fifa-Pläne angeht, dagegen gehen Uefa-Chef Ceferin, DFB-Präsident Grindel und selbst Sepp Blatter ja schon vor. Ich glaube nicht, dass Fifa-Boss Infantino das durchdrücken kann. Aber diese Fifa ist eine Welt, die uns weitgehend verschlossen bleibt. Das ist eine Nummer, die ich nicht nachvollziehen kann und will. Aber ich denke, dass sich die Vernünftigen durchsetzen werden.

Von welchem Sportler/Sportlerin aus unserer Region erwarten Sie 2019 Besonderes?

Ich denke, unsere Judoka Giovanna Scoccimarro vom MTV Vorsfelde kann ja nicht immer so ein Pech haben, dass sie gleich im ersten Kampf gegen die Titelverteidigerin gelost wird. Biathlet Danilo Riethmüller von WSC Clausthal-Zellerfeld wird in den Nationalkader kommen, und Nic Bier, Boxer des BC Gifhorn, hat das Talent, es in den Olympiakader zu schaffen. Leider ist unsere Decke an Spitzenathleten nicht mehr so dicht.