Braunschweig. . Cum-Ex-Geschäfte, Panama Papers, wiederholte Razzien bei der Deutschen Bank – die Finanzwelt ist skandalgeschüttelt.

Es geht dabei um die Hinterziehung von Steuern und den Raub von Steuergeld; Steuergeld, das jeder einzelne Bürger in das Staatssäckel zahlt. Für Markus Spiwoks, Professor für Finanzwirtschaft an der Ostfalia-Hochschule in Wolfsburg, ist das ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Staat und Bänkern. Im Gespräch mit Hannah Schmitz fordert er eine konsequentere Politik und spricht über die Vorteile einer Gehaltsobergrenze.

Herr Spiwoks, bei der Deutschen Bank gab es vor kurzem Razzien. Der Vorwurf der Ermittlungsbehörden lautet auf Geldwäsche. Sie soll Kunden geholfen haben, in Steuerparadiesen Briefkasten-Firmen zu gründen. Wie tief steckt die Deutsche Bank im Steuersumpf?

Bis zur Halskrause, das kann man nicht anders sagen. Unter dem Vorstandsvorsitzenden Josef Ackermann wurde die stramme Parole ausgegeben, man wolle 15 Prozent Eigenkapitalrentabilität erwirtschaften. Das ist im normalen Bankgeschäft schlicht nicht möglich. Viele Manager der Bank haben dann Geschäfte gemacht, die mindestens zweifelhafter oder sogar krimineller Natur sind.

Die Ermittlungen sind Folge der sogenannten „Panama Papers“, die Recherchen von Journalisten 2016 aufgedeckt haben. Wie funktionierte das Geschäft?

Es wurden in Panama Offshore-Unternehmen gegründet, die eigentlich nur dazu dienten, das Vermögen von Privatpersonen dort zu verstecken. Die Briefkastenfirma investierte es und erwirtschaftete damit Erträge. Diese werden in Panama faktisch nicht versteuert. Das ist Steuerhinterziehung, weil natürlich der deutsche Bürger verpflichtet ist, auch Erträge, die er im Ausland erzielt, dem deutschen Fiskus bekannt zu machen.

Deutsche Banken haben dazu beigetragen, dass diese Konstruktionen für den deutschen potenziellen Steuerhinterzieher erreichbar waren. Auch die Deutsche Bank war damit sehr aktiv, solche Konstruktionen konnte man in den Filialen besprechen und abschließen.

Inzwischen gibt es weitere Skandale, zum Beispiel die Cum-Ex-Geschäfte. Sie gelten als größter Steuerraub der Geschichte, allein Deutschland hat dadurch seit 2001 31,8 Milliarden Euro verloren.

Das ist richtig. Allerdings ist das Geschäftsmodell 40 Jahre alt und findet sich schon bei den „Karussellgeschäften“ im Umsatzsteuerbetrug. Das ist meiner Meinung nach auch nach wie vor der größte Brocken. Es gibt die Schätzung, dass dadurch allein in der EU pro Jahr 160 Milliarden Euro Schaden entstehen. Das ist knapp die Hälfte des deutschen Bundeshaushalts.

Was passiert bei diesen Karussellgeschäften?

Kriminelle Banden, hauptsächlich die Mafia, gründen Scheinfirmen mit denen sie Scheinrechnungen ausstellen, um sich die Umsatzsteuer erstatten zu lassen. Da man in der Gründungszeit eines Unternehmens selbst noch keinen Umsatz erwirtschaftet, ist das auch rechtens.

Sagen wir, diese Firma kauft eine Maschine für 1 Million Euro, darauf entfällt eine Umsatzsteuer von 19 Prozent, also 190.000 Euro. Die kann sich das Unternehmen wiederholen, solange es noch keine Umsätze generiert. Wenn diese Maschine aber nur auf dem Papier existiert, hat der vermeintliche Lieferant keine 1 Million Euro bekommen und deswegen auch nicht die Umsatzsteuer von 190.000 Euro abgeführt. Wäre das der Fall gewesen, dann hätte der Fiskus besagter neu gegründeter Firma wirklich nur das zurückerstattet, was er an anderer Stelle eingenommen hätte. Bevor die Scheinfirma aber eigene Unternehmenssteuern abführen müsste, taucht sie einfach ab.

Und die Leute hinter den Firmen tauchen an anderer Stelle wieder auf und beginnen von vorn?

Ganz genau. Deswegen nennt man es Karussellgeschäft.

Inwiefern ähnelt das Cum-Ex?

Bei Cum-Ex wird das Karussellprinzip auf den internationalen Kapitalmarkt übertragen. Finanzdienstleister haben dabei immer kurz vor der Dividendenausschüttung mehrfach Aktien hin- und herverkauft. Jedem, der diese Aktie am Tag der Dividendenausschüttung nun im Depot hatte, haben die Banken dann eine Bescheinigung für die Kapitalertragssteuern auf die Dividendenerlöse ausgestellt. Letzlich bekamen dadurch viele Leute Steuergutschriften, obwohl die Steuer nur ein einziges Mal abgeführt worden ist. Das ist nicht mehr Steuerhinterziehung, das ist Steuerbetrug.

Welche Klientel hat von diesen Cum-Ex-Deals profitiert?

Das sind findige kleine Finanzdienstleistungsunternehmen, die aus dieser Konstruktion Investmentprodukte gestrickt haben und die konnte jeder Investor kaufen. Auch guten Glaubens. Ihnen ist meiner Ansicht nach nicht der erste Vorwurf zu machen. Die allerwenigsten dürften überhaupt verstanden haben, was da passiert.

Gibt es die Möglichkeit, das Geld, dass durch Panama Papers, Cum-Ex und Karussellgeschäfte verloren geht, wiederzubekommen?

Das Geld ist weg. Die eine oder andere Million kann man vielleicht wieder reinholen, das ist aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das Geld ist versickert.

Die Bundesregierung hat 2012 nach jahrelangem Zuschauen die Ausstellung mehrerer Steuerbescheinigungen unterbunden. Ist damit der Betrug wie bei Cum-Ex heute nicht mehr möglich?

Man muss immer davon ausgehen, dass es wieder findige Leute geben wird, die versuchen, die nächste Lücke zu finden und ähnliche Geschäftsmodelle aufzuziehen. Das ist ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel. Bei den Cum-Ex-Geschäften lässt sich die Betrugsbekämpfung auch weniger gut handhaben, als es bei den Karussellgeschäften im Umsatzsteuerbetrug möglich wäre.

Woran liegt das?

Bei den Karussellgeschäften könnte der Gesetzgeber festlegen, dass das eigene Umsatzsteuerguthaben nur mit der eigenen Umsatzsteuerschuld verrechnet werden darf, es also keine Erstattung gibt, sondern eine Gutschrift. Bei Cum-Ex geht es aber um sehr komplexe internationale Finanztransaktionen, die man ja im Grundsatz nicht behindern will. Wir können davon ausgehen, dass wir in ein, zwei, drei Jahren den nächsten, ähnlich gelagerten Skandal haben werden.

Die nächsten warten also schon, ein neues Steuerschlupfloch zu finden und auszubeuten?

Davon dürfen Sie mit großer Sicherheit ausgehen.

Das wird auch „Kriminalität im Nadelstreifenanzug“ oder „Weiße-Kragen-Kriminalität“ genannt. Ist das, wie bei der Mafia, organisiertes Verbrechen?

Mafia und Finanzkriminalität liegen meines Erachtens nicht so weit auseinander. Zu meinen, das Bankgeschäft wäre stets etwas Seriöses und Feines und sehr weit weg von kriminellen Machenschaften, das ist eine illusorische Vorstellung.

Wie können solche Steuerbetrügereien verhindert werden?

Es gibt sicherlich einige Dinge, die man machen könnte, gerade bei der Steuerhinterziehung. In Nordrhein-Westfalen gab es etwa den sehr engagierten SPD-Finanzminister Norbert Walter-Borjans, der sich darum bemüht hat, die Ankäufe von Steuer-CDs vorzunehmen. Das hat die Steuereinnahmesituation in Deutschland schon einmal erheblich verbessert. Man könnte beispielsweise auch eine Auslandssteuerfahndung einrichten, die darauf hinwirkt, dass solche Steuer-CDs weltweit angekauft werden.

Das Interesse der Politik daran scheint nicht besonders hoch.

Es gibt diese ungesunde Vermischung von Politik und Kommerz. Die Parteienfinanzierung ist bei uns so organisiert, dass es der Sau graust. Jedes Unternehmen kann beliebig hohe Spenden an Parteien vornehmen oder einem Politiker einen Nebenjob anbieten. Dürften Parteien nur noch von natürlichen Personen finanziert werden mit einer maximalen Höhe von 100 Euro im Monat, dann wäre diese Abhängigkeit mit einem Schlag abgeschafft.

Wenn wir darüber hinaus sagen würden, die Politiker im deutschen Bundestag müssen Profi-Politiker sein und dürfen keinem anderen Beruf nachgehen, dann hätte man wirklich eine ernstzunehmende Firewall zwischen den Wirtschaftsinteressen und den Interessen der Allgemeinheit. Das wäre ein wichtiger Schritt, um dem Bestreben der Vermögenden, keine Steuern zu zahlen, einen Riegel vorzuschieben.

Das EU-Parlament fordert nun Aufklärung des Cum-Ex-Skandals durch die europäischen Aufsichtsbehörden für Banken und Börsen. Ist das ein erster Schritt?

Ich glaube, im Bereich der Finanzkriminalität dürfen wir keine großen Durchbrüche erwarten. Die EU unterhält keine Strafgerichte, die Strafrichter sitzen in Duisburg oder Hamburg. Und diese müssen dann einen ganz bestimmten Steuerbetrüger überführen, der seine Geschäfte aber in Spanien oder Frankreich abgewickelt hat. Von den jeweiligen Behörden dort mit ihren unterschiedlichen Rechtssystemen die Unterlagen zu bekommen ist eine sehr langwierige und schwierige Angelegenheit.

Wir können uns aber nichtsdestotrotz sehr freuen, dass wir die EU haben. Etwa beim Thema Feinstaub bin ich sehr froh, dass nicht alles in Händen der deutschen Politiker liegt – so lange sie noch nicht richtig abgekoppelt sind von den Interessen der Autoindustrie.

Macht Sie das als Finanzprofessor nicht ein bisschen schaudern? Durch die Skandale der Finanzbranche verliert diese schließlich auch immer mehr Vertrauen.

Ich bin hin- und hergerissen. Auf der einen Seite habe ich den Eindruck, dass sich die Umgangsformen in den letzten 40 Jahren stark verändert haben. Damals wäre ein Bankvorstand bei solchen Geschäften nicht eingestiegen, weil es eine andere Vorstellung von einem seriösen Bankgeschäft gab. Andererseits, wenn wir durch die Jahrhunderte schauen, müssen wir feststellen, dass es ähnliche Praktiken schon immer gegeben hat.

Die einzige Änderung ist vielleicht, dass wir in den letzten 20 bis 25 Jahren ein intensiveres Fallen der Hemmungen beobachten können. Die, die solche Geschäfte abwickeln, können daran irrsinnige Summen verdienen. Das trägt dazu bei, dass sie nicht darauf angewiesen sind, auch in den nächsten 25 Jahren noch einen Job zu haben. Deswegen sollte man auch darüber nachdenken, ob es bei den Verdienstmöglichkeiten im Bankensektor nicht eine Obergrenze geben sollte.

Wo könnte die liegen?

Wenn ein Bankmanager nicht mehr als 500.000 Euro pro Jahr verdient, muss er darauf bedacht sein, seinen Job auf Dauer zu behalten.

Boni von beispielsweise 200 Millionen US-Dollar, wie sie einzelne Investmentbänker in den Vereinigten Staaten verdienen, verleiten sicherlich dazu, auch unseriöse Geschäftspraktiken in Erwägung zu ziehen.

Gibt es noch gute Banken?

Ja, die gibt es. Leider weiß man als Kunde nur nicht, welche das ist. Ich persönlich wende mich meistens an den Sparkassenbereich. Dort bekommt man vielleicht nicht die besten Konditionen, hat es aber in der Regel mit Akteuren zu tun, die nicht darüber nachdenken, wie sie möglichst schnell 250 Millionen Euro auf die Seite schaffen können. Auch im Vorstandsbereich gibt es dort Leute, die durchaus versuchen, ihren Posten zehn, 15 Jahre zu behalten. Das ist im Genossenschaftsbereich ganz ähnlich.

Brauchen Bankenwesen und Finanzwirtschaft ein ethisches Update, einen Kulturwandel, wie ihn sich etwa Volkswagen nach dem Dieselskandal verordnet hat?

Nötig wäre es. Aber es bleibt die Frage, wie man solch einen Kulturwandel durchsetzen kann. Vielleicht ausgehend vom Bankenverband, doch da bin ich skeptisch.

Muss die universitäre Lehre sich nach diesen Skandalen ändern?

Wir können seit der Finanzkrise 2008 beobachten, dass ethische Überlegungen im Finanzgeschäft stärker thematisiert werden. Es gibt Veranstaltungen dazu, die sich ausschließlich mit ethischer Betriebswirtschaftslehre auseinandersetzen.

Sicherlich wird da schon einiges getan. Aber die Versuchungen sind eben auch sehr groß. Die Frage ist, wie stark nachwirkt, was man zuvor an der Universität gelernt hat.