Die Regionalkonferenz in Braunschweig soll den Unterschied ausmachen. Jetzt müssen die Erkenntnisse auch genutzt werden.

Braunschweig. An großen Worten mangelte es bei der Regionalkonferenz zur Digitalisierung am Donnerstag im C1-Kino in Braunschweig nicht. „Es geht um unsere Zukunft“, hieß es. „Die Digitalisierung entscheidet über unseren Wohlstand.“ Oder: „Sie ist die Herausforderung unserer Zeit.“ Entscheider aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Verwaltung trafen sich, um Lösungen für unsere Region zu finden.

Der Wirtschaftsjournalist Thomas Range, der zusammen mit einem Professor der Elite-Uni in Oxford ein Buch mit dem Titel „Das Digital“ geschrieben hat, nahm einigen Akteuren den Wind aus den Segeln. Er sagte: „Der digitale Wandel ist unberechenbar.“ Niemand wisse, wie sich der technische Fortschritt in fünf oder zehn Jahren entwickeln werde. „Es lassen sich höchstens Szenarien benennen.“

Wolfgang Räschke, Vorsitzender des Netzwerks Allianz für die Region, hielt dem entgegen: „Wir müssen den Wandel gestalten.“ Das gelte gerade in unserer industriell geprägten Region mit den vielen Forschungseinrichtungen. „Wir haben viele Chancen“, sagte Räschke. „Wir müssen sie nutzen.“

Regionalkonferenz zur Digitalisierung in Braunschweig 2018

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    Die Akteure gingen allerdings kritisch mit sich selbst und der Regionalkonferenz um. Kurz vor Ende der Veranstaltung gab es eine von vielen Umfragen. Die Abstimmung lautete: „Die regionalen Herausforderungen der Digitalisierung sind… erkannt.“ Etwa die Hälfte der Teilnehmer stimmte mit „kaum“ und „teilweise“ ab. Armin Maus, Chefredakteur unserer Zeitung und Moderator der Konferenz, sagte: „Ich würde das als klaren Arbeitsauftrag auffassen.“

    Der Landesbeauftragte für unsere Region, Matthias Wunderling-Weilbier, erklärte sogleich, dass es nicht bei der Konferenz bleiben werde. Er versprach regelmäßige Treffen zu den fünf Schwerpunktthemen, die im C1-Kino besprochen wurden: Mobilität, Wohnen, Arbeit, Bildung und Gesundheit.

    Moderator Armin Maus (rechts) im Gespräch mit dem Landesbeauftragten Matthias Wunderling-Weilbier und TU-Präsidentin Anke Kaysser-Pyzalla. Eine Künstlerin brachte die Diskussions-Ergebnisse simultan auf die große Leinwand im Hintergrund.
    Moderator Armin Maus (rechts) im Gespräch mit dem Landesbeauftragten Matthias Wunderling-Weilbier und TU-Präsidentin Anke Kaysser-Pyzalla. Eine Künstlerin brachte die Diskussions-Ergebnisse simultan auf die große Leinwand im Hintergrund. © Peter Sierigk

    Auch die Landesregierung gab sich selbstkritisch. Digital-Staatssekretär Stefan Muhle bezeichnete den Ausbau des schnellen mobilen Internets in Niedersachsen als „Katastrophe“. Er schob den Schwarzen Peter gleich weiter an den Bund. Der sei für den 5G-Ausbau zuständig. Kleinlaut gab Muhle aber zu, dass es nur in 80 Prozent der Fläche in Niedersachsen mobiles Internet gebe. Er versprach, dass die Landesregierung selbst 50 Millionen Euro in die Hand nehme, um Lücken zu schließen.

    In diesen Bereichen sehen die Akteure künftig Handlungsbedarf:

    Arbeit: Es geht bei weitem nicht nur um eine technische Revolution und neue Geschäftsmodelle, sondern um eine ganz neue Unternehmenskultur. Gemeint sind nicht nur flache Hierarchien, Kreativität sowie flexible Arbeitszeiten und -orte: Der Mitarbeiter soll stärker ins Zentrum rücken, wie sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber forderten. Nötig sei eine Kultur des lebenslangen Lernens, stellte Neurowissenschaftler Martin Korte fest, Professor an der TU Braunschweig. „Wir brauchen eine Kultur, in der Neues zu lernen dazugehört“ – und wer viel Neues lernt, macht mehr Fehler. Umstrukturierungsprozesse kosteten Zeit: Je mehr technische Innovation, desto mehr Fortbildungszeit sei nötig. Die bei der Digitalisierung erfolgreichen Unternehmen machten das vor. Die Weiterbildung, die Gewerkschaften zurzeit lautstark fordern, wird also wohl zum Dauerthema für viele Arbeitnehmer.

    Mobilität: Die Experten waren sich ziemlich einig: Um eine neue Mobilität in unserer Region zu etablieren, müssen sich die Kommunen und die Verkehrsunternehmen stärker miteinander vernetzen. Gerhard Künne, der bei Volkswagen Financial Services die Mobility Unit leitet, ist davon überzeugt, dass unsere Innenstädte im Jahr 2030 größtenteils befreit vom Individualverkehr sein werden. Stattdessen würden sich Park-and-Ride-Plätze mit angeschlossenen Bike- und Carsharing-Diensten etablieren, neben dem ÖPNV auch private Shuttledienste. Nicole Magiera, die im Data Lab von Volkswagen arbeitet, machte deutlich, wie wichtig die Transparenz von Daten sei, um etwa Verkehrsströme zu erheben.

    Dass das jedoch nicht ganz so einfach sei, erwiderte Thomas Krause, Vorstandsmitglied der Wolfsburg AG. „Natürlich würden Kommunen gerne Daten erheben, aber sie sind wegen rechtsregulatorischer Rahmen nun einmal nicht frei in ihrem Wirken.“

    Bildung: Während die Teilnehmer der Konferenz sich bei einer Umfrage grundsätzlich optimistisch gegenüber den Chancen des digitalen Wandels zeigten, herrschte beim Thema Bildung Skepsis vor. Knapp 80 Prozent sahen das Bildungssystem nicht gut auf die Digitalisierung vorbereitet. Dazu passend changierte die Diskussion im Panel zur Bildung zwischen Ideen um einen „Masterplan“ für die Digitalisierung an Schulen und dem Einwurf von Dirk Bode, dem Vorstandsvorsitzenden des IT Unternehmens fme. Angesichts von Gymnasiallehrern, die in die Grundschulen abgeordnet werden, sei er schon froh, wenn der reguläre Unterricht stattfinden könne. Und während Bode „Mut zum Experimentieren“ forderte, warnten Lehrer im Publikum: „In der Schule kann man nicht einfach mal machen und ausprobieren. Das geht schief.“

    Wohnen: Beim Wohnen lag der Fokus vor allem auf dem demografischen Wandel: „Wir müssen Lösungen erreichen, die älteren Menschen sowohl eine möglichst lange als auch selbstbestimmte Teilhabe in ihrem Wohnquartier ermöglicht“, erklärte Rüdiger Warnke, der ehemalige Geschäftsführer der Nibelungen-Wohnbau-GmbH in Braunschweig. Katrin Oswald von der Baugenossenschaft Wiederaufbau und Torsten Voß, Geschäftsführer der Nibelungen-Wohnbau-GmbH, stellten Wohn-Projekte in Braunschweig, Goslar und Seesen vor, bei denen intelligente Technik jetzt schon eingesetzt, getestet und weiterentwickelt wird. Professor Reinhold Haux von der TU Braunschweig erklärte, die Wohnung könne dank neuer Technologien zum Diener des Menschen werden, der „sich um die Bewohner sorgt, vieles weiß, aber wenig darüber redet“. Durch die Informationen, die die Wohnung über den Menschen sammelt, könne sie auch zu einem therapeutischen und diagnostischen Raum werden, sagte Haux. Gerade für ältere Menschen würde das Vorteile bieten, die alleine wohnen und durch die Technik im Alltag begleitet werden.

    Gesundheit: Im Panel Gesundheit wurden die Herausforderungen offen angesprochen, vor denen die Gesundheitswirtschaft im Zeitalter der Digitalisierung steht. Der Awo-Vorstandsvorsitzende für den Bezirk Braunschweig, Rifat Fersahoglu-Weber, sagte: „Uns fehlen allein in Niedersachsen rund 1000 hochausgebildete Pflegekräfte. Für die, die täglich die Menschen versorgten, intensiviert sich die Arbeit durch den Mangel an Fachkräften. Wir müssen aufzeigen, dass Digitalisierung die Arbeit erleichtern kann.“ Niemand müsse Angst haben, dass Maschinen bald die Arbeit von Menschen übernehmen würden. „Es geht darum, dass Neuerungen den Menschen zu Gute kommen – denen, die pflegen, aber auch denen, die gepflegt werden.“