Wolfsburg. Bei der Diskussion in der VW-Arena wurden viele Fragen aufgeworfen. Die Funktionäre sind gefordert, damit sich die Fußball-Basis nicht abwendet.

Es geht doch nur noch ums Geld. Immer mehr Länderspiele, die sinnlos sind. Und die Top-Klubs machen immer mehr Profit. Hat man da kein schlechtes Gewissen?

Dies fragt unsere Leserin Angelika Kühn aus Helmstedt

Die Antwort recherchierte Dirk Breyvogel

Zwischen einem Latte Macchiato und dem kurzem Gespräch auf der Bühne nimmt sich DFB-Präsident Reinhard Grindel Zeit für die Basis des Wolfsburger Vereinsfußballs. Er unterschreibt einen Scheck über 8750 Euro, den der SSV Vorsfelde von 1921 für seine integrative Flüchtlingsarbeit erhält. Unserer Leserin hätte das wohl gefallen. „Machen Sie weiter so“, ruft Grindel den Vorsfelder Fußball-Idealisten zu, bevor er sich auch schon wieder auf den Weg macht nach Dortmund, zu einer Sitzung des Deutschen Fußball-Museums.

Zuvor hatte Grindel auf der von der VfL Wolfsburg Fußball GmbH organisierten Veranstaltung „Fußball bewegt die Gesellschaft“ vor rund 50 geladenen Gästen die Fragen zu den vermeintlichen kapitalistischen Auswüchsen im Profi-Fußball – Stichwort Super League – zwar bereitwillig beantwortet, der DFB-Boss war aber in die VW-Arena gekommen, um ein anderes Zeichen zu setzen. Der Fußball in Deutschland habe eine gesellschaftliche Verantwortung, die weit über die erste, zweite und dritte Fußball-Bundesliga hinausgehe.

Grindel, früher Torwart beim SC Victoria Hamburg, wollte sich in dieser Frage gewiss auch der Solidarität des künftigen DFB-Hauptsponsors vergewissern. Auch mit Blick auf die künftige Zusammenarbeit zwischen dem größtem Fußballverband und dem größtem Autobauer der Welt, VW, sagte er: „Wir sind beide der Ansicht, dass der Fußball Spitze und Basis gleichermaßen vertreten muss. Das ist die Grundausrichtung unserer Partnerschaft.“ Große Vereine wie der VfL, aber auch Vereine wie Werder Bremen würden in ihrer täglichen Arbeit nicht vergessen, den „Zirkel zu den kleinen Vereinen aus ihrer direkten Umgebung zu schlagen“, betonte Grindel. Das sei auch weiterhin von zentraler Bedeutung, wenn es um die Lösung gesellschaftlicher Probleme gehe. Es gehe auch um zusätzlichen Freiraum für Kinder, es gehe um Platz zum Fußballspielen, auch in den verdichteten Großstädten. Diese Infrastruktur zu schaffen, sei mit Blick auf die EM 2024 enorm wichtig.

Auch Hiltrud Werner, Vorstand für Integrität und Recht, hob in ihrem kurzen Vortrag hervor, dass sich Volkswagen dieser besonderen Rolle bewusst sei. Sie verwies beispielsweise auf Formen des Alltagsrassismus, denen der Konzern proaktiv entgegentrete. „Die Kapitäne aller Mannschaften des VfL tragen ab dieser Saison eine Kapitänsbinde mit Regenbogenfarben, die für Vielfalt steht. Damit wollen wir ein Zeichen gegen Diskriminierung setzen“, nennt Werner ein Beispiel aus der Praxis. Mit Pablo Thiam habe man als erster Bundesligist einen Integrationsbeauftragten installiert.

Der ehemalige Bundesliga-Profi Thiam diskutierte unter anderem mit der Landtagsabgeordneten und sportpolitischen Sprecherin Dunja Kreiser von der SPD, mit Sylvia Schenk von der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International, dem Fußball-Weltenbummler Lutz Pfannenstiel und dem langjährigen Sportkommentator Marcel Reif über die Frage, wie der Fußball in die Gesellschaft hineinwirken, was er leisten oder aber auch nicht leisten kann. Er empfinde im Nachhinein die Zeit in einer Jugendmannschaft in Bonn für seinen weiteren Lebensweg als prägend, sagte Pablo Thiam. „Wir waren eine Mannschaft aus lauter Afrikanern, viele kamen aus Diplomatenfamilien. Mit der Zeit sind immer mehr Deutsche dazugestoßen. Wir haben früh gelernt, andere Kulturen zu respektieren.“

Pfannenstiel, der als Profi auf allen Kontinenten Fußball spielte, ist überzeugt, dass auch die deutschen Fußballvereine von dem Blick über den Tellerrand lernen könnten. Der ehemalige Profi arbeitet heute als internationaler Botschafter für die TSG Hoffenheim und gibt ein anschauliches Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Kulturen auch im Profisport sein könnten. „Bei der TSG spielte mal Isaac Vorsah aus Ghana. Der hat nur zehn Prozent seines Gehaltes für sich behalten und die anderen 90 Prozent dafür gegeben, das in seinem Heimatdorf beispielsweise Schulen gebaut wurden. Ich glaube nicht, dass ein deutsche Jungprofi dazu bereit wäre.“

In Wolfsburg wurden viele Fragen gestellt – für die tiefere Analyse fehlte die Zeit. Was kann der Fußball für die Gesellschaft tun? Wie funktioniert richtige Integration, wie eine wünschenswerte Inklusion? Was können Kinder auf Fußballplätzen für das Leben lernen? Dürfen Vereine politische Aussagen treffen? Für die Transparency-Frontfrau und ehemalige Weltklasse-Leichtathletin Sylvia Schenk dürfe die Debatte um die Finanzierung ehrenamtlichen Engagements nicht nur auf den Profi-Fußball beschränkt bleiben. Auch große Unternehmen müssten daran ein Interesse haben, so Schenk.

Sollten Profi-Vereine verpflichtet werden, gemeinnützige Arbeit finanziell zu unterstützen? Marcel Reif hält eine feste Abgabequote für den falschen Weg. „Das müssen die Vereine selbst mit ihrem sozialen Gewissen ausmachen.“

In Wolfsburg schwang auch immer latent die Frage mit: Wie weit hat sich der Profi-Fußball von der Realität, der fußballerischen Basis entfernt? Für Schenk ist hier eine konsequentere Haltung der Funktionäre, wenn es um Fragen der Gleichberechtigung oder der Diskriminierung auf dem Sportplatz gehe, alternativlos. „Wir haben gerade eben gesehen, dass Anspruch und Wirklichkeit oft auseinanderklaffen. Die Spende für den Wolfsburger Verein war eine, die, meine ich, geflüchteten Mädchen zugute kommen sollte. Und wer war bei der Scheckübergabe? Vier Männer.“

Das hörte der DFB-Boss nicht mehr. Grindel war da schon auf dem Weg nach Dortmund.