Ganz ohne Fibel geht es nicht, so eine Schulforscherin. Am meisten komme es aber darauf an, auf Grundschüler gezielt einzugehen.

Was denken sich Politiker und all die Bildungsexperten eigentlich, wenn sie mit unseren Kindern jahrzehntelang Experimente machen und am Ende doch feststellen, dass die althergebrachten Lernmethoden die einzig zielführenden sind?

Das fragt unser Leser Franz Albert aus Wolfenbüttel.

Die Antwort recherchierte Andre Dolle.

Braunschweig. Lehsän ist schohn schwähr – Schreibähn noch fiel meer! Seit Jahrzehnten streiten Pädagogen in Deutschland um den besten Weg, Schülern die deutsche Rechtschreibung zu vermitteln. Eine Studie der Universität Bonn findet einen eindeutigen Sieger. Reformmethoden, die teils seit Jahren in vielen Schulen angewendet werden, sind offenbar ungeeignet.

Kinder, die im Unterricht eine Fibel benutzen, lernen demnach besser richtig schreiben. Mit ihrem ABC-Buch und der althergebrachten Fibelmethode sind sie klar im Vorteil. So zumindest das Ergebnis der Studie.

„Lesen durch Schreiben“ hingegen fällt durch, sagen die Forscher. Schüler schreiben bei dieser besonders umstrittenen Methode ab der ersten Klasse so, wie sie meinen, dass es richtig ist – gern bis zur dritten Klasse. Korrekturen sind nicht vorgesehen, um Frust bei den Schülern zu vermeiden.

In Niedersachsen herrscht ein hoher Anteil von Phasen im Unterricht, in denen die Rechtschreibung nicht beachtet werden muss. Das hat der Germanist Wolfgang Steinig analysiert. Demnach liegt Niedersachsen mit einem Anteil von im Schnitt 64,7 Prozent für die erste Klasse, erstes Halbjahr, auf Rang fünf von 16 Bundesländern. Im ersten Halbjahr der zweiten Klasse rangiert Niedersachsen sogar auf Platz drei – mit 48 Prozent. Im zweiten Halbjahr der zweiten Klasse sind es immerhin noch 37,2 Prozent – wieder Rang fünf.

Selbst innerhalb einer Schule gibt es oft unterschiedliche Methoden

Laut Professorin Katja Koch von der TU Braunschweig ist die Statistik allein aber allemal ein Fingerzeig und noch kein Beweis dafür, dass in Niedersachsen zu sehr auf die Methode „Lesen durch Schreiben“ gesetzt werde. „Das ist noch kein Beleg für eine schlechte Rechtschreibkompetenz für die Grundschüler hier“, sagt die Schulforscherin.

Zumal es in Niedersachsen keine Empfehlung der Landesregierung gibt, eine bestimmte Methode anzuwenden. „Selbst wenn, wäre diese nicht bindend“, sagt Koch. Schon jetzt sei die gewählte Methode selbst an einzelnen Schulen oft nicht einheitlich. „Teilweise entscheiden sich einzelne Fachlehrer für eine bestimmte Methode, andere für eine andere“, sagt die Schulforscherin.

Eine Sprecherin des Kultusministeriums in Niedersachsen sagt: „Die niedersächsischen Schulen sind eigenverantwortliche Schulen. Sie entscheiden daher selbst über die Methoden, die für den Erwerb von Lese- und Rechtschreibkompetenz zum Einsatz kommen. Landesweite Erkenntnisse darüber, welche Schulen nach welchen Methoden arbeiten, liegen nicht vor.“

Baden-Württemberg setzt auf die Silbenmethode

Björn Försterling, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, hält eine Empfehlung hingegen für dringend geboten. Diese Position hatte die FDP schon im letzten Landtagswahlkampf vertreten. Die Bonner Studie stütze die FDP in ihrer Meinung, sagt Försterling. „In den letzten Jahren ist das Rechtschreib-Niveau von Grundschülern in Niedersachsen deutlich zurückgegangen“, sagt er.

In der Studie der Uni Bonn sind aber lediglich Daten von 3000 Grundschülern aus Nordrhein-Westfalen eingeflossen. Repräsentativ ist die Studie aufgrund unterschiedlicher Schwerpunkte in den Ländern also nicht.

Die mehr als 3000 Kinder wurden den Machern der Studie zufolge zunächst nach ihrer Einschulung auf ihre Vorkenntnisse getestet. Danach seien fünfmal jeweils halbjährlich Diktate ausgewertet worden – immer waren Fibelkinder die leistungsstärksten. Schüler, die mit „Lesen durch Schreiben“ unterrichtet wurden, machten am Ende der vierten Klasse im Schnitt 55 Prozent mehr Rechtschreibfehler. Auch Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch war, profitierten demnach vom „Fibel“-Ansatz.

Die Sprecherin des Kultusministeriums sagt jedoch: „Unsere Absichten zur Überprüfung der unterschiedlichen Lehrmethoden sind unabhängig von der vorliegenden Studie. Sie stellt einen Beitrag zur Debatte dar, aber kein absolut zu befolgendes Ergebnis.“

Experten sprachen bereits 2013 von einer Rechtschreib-Katastrophe. In einigen Bundesländern ist die umstrittene Methode „Lesen durch Schreiben“ bereits wieder abgeschafft worden, darunter in Hamburg und Baden-Württemberg. Laut Schulforscherin Koch aus Braunschweig setzt Baden-Württemberg verstärkt auf eine weitere Methode, auf die Silbenmethode. Demnach sollen Kinder Worte durch Silben besser erfassen können.

Unser Leser verweist also ganz richtig auf die große Vielzahl unterschiedlicher Ansätze in den Bundesländern.

Ganz ohne Fibel geht es jedoch nicht. Das sagt Schulforscherin Koch. „Orthografie ist Fleißarbeit.“ Verstehen sei die Grundlage. „Das Gelernte müssen die Schüler übertragen können.“ Schließlich gehe es darum, zu üben, damit das Gelernte auch abgespeichert bleibt.

Die Fibel sei aber sicher nicht das Allheilmittel, wie die Studie der Bonner nun nahelegen möge. „Die Fibel ist nicht für alle Kinder gleich gut. Sie hat auch Schwächen“, sagt Koch. So werde der Wortschatz der Kinder nicht erweitert. „Sie haben außerdem Probleme bei der Rechtschreibung von bisher unbekannten Wörtern“, erklärt Koch. Für leistungsstarke Kinder sei die Methode „Lesen durch Schreiben“ besser geeignet. Für schwächere Schüler biete sich die Fibel an, diese Methode sei strukturierter. „Sie lernen Buchstaben und Wörter so schrittweise und nach festen Vorgaben.“

Die Schulforscherin macht sich jedoch für eine „unideologische“ Herangehensweise stark. Die Diskussion werde in Deutschland viel zu dogmatisch geführt. Koch plädiert vielmehr für eine Mischform. Je nachdem, wie hoch zum Beispiel der Anteil von Kindern mit ausländischen Wurzeln in einer Klasse sei und je nachdem wie leistungsstark die Schüler einer Klasse seien, müssten die Lehrerin oder der Lehrer reagieren. „Der Anteil der einen Methode oder der anderen verschiebt sich demnach.“

Das setzt allerdings voraus, dass Lehrer unterschiedliche Methoden beherrschen – und erkennen können, welche Methode zu welchem Anteil für die jeweilige Klasse am besten geeignet ist. Koch geht sogar noch einen Schritt weiter: „Idealerweise müssten Lehrerinnen und Lehrer auch innerhalb einer Klasse unterschiedliche Methoden anwenden können.“ Sie schränkt aber selbst ein: „Dafür brauchen sie sehr viel Zeit.“