Braunschweig. . TU-Professor Empelmann hält einen Einsturz wie in Genua in Deutschland für unwahrscheinlich – ausschließen ließe er sich nicht.

Jedes Mal nach ähnlichen Katastrophen wird für Deutschland von Experten erklärt, dass so etwas hier nie passieren könnte. Bei den extrem maroden Straßen und auch Brücken wage ich diese sehr überhebliche Ansage doch stark zu bezweifeln.

Das bemerkt unsere Leserin
Gisela Kamp aus Braunschweig

Zum Thema recherchierte
Andre Dolle

Die Katastrophe in Genua wirft die Frage auf, wie es um die Standfestigkeit deutscher Brücken steht. Professor Martin Empelmann, Leiter des Instituts für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz der Technischen Universität Braunschweig, gibt weitgehend Entwarnung. Er sagt aber: Ganz ausschließen lässt sich solch eine Katastrophe in Deutschland nicht.

Wenn Sie die Bilder aus Genua sehen, was geht Ihnen als Massivbau-Experte durch den Kopf?

Es ist natürlich ein Riesendrama, was da passiert ist. Das ist in der Form mit Dutzenden von Toten im europäischen Raum einmalig.

Was ist das für eine Konstruktion in Genua?

Das ist eine Schrägseilbrücke mit einem eingehängten Träger in der Mitte. Diese Konstruktion ist bei einem Versagen sehr empfindlich.

Wie wird hier in Deutschland berechnet, was Brücken aushalten müssen?

Es gibt genaue Regeln, für welche Verkehrslasten solche Brücken ausgelegt werden. Diese Lasten werden ständig nach oben korrigiert. Mit jeder neuen Fassung der Norm werden diese Lasten also erhöht, da der Schwerlastverkehr tatsächlich immer mehr zunimmt.

Sind alte Brücken unsicherer?

Nicht unbedingt. Gerade in Deutschland ist die Verkehrsbelastung in den letzten 10 bis 20 Jahren immens gestiegen. Die Planungsvoraussetzungen von Brücken aus den 50er oder 60er Jahren sind nicht mehr mit dem vergleichbar, was sie heute ertragen müssen. Trotzdem hat man damals schon Reserven eingeplant. Davon zehren die Brücken noch heute. Falls dann etwas nicht stimmt, werden Reparaturen vorgenommen. Deutsche Brücken sind ­– im Vergleich zu Brücken in Italien – robuster.

Brücken in Deutschland werden alle sechs Jahre überprüft. Worauf werden sie dabei untersucht?

Es gibt eine Untersuchung alle drei Jahre und eine Hauptuntersuchung alle sechs Jahre. Bei der Hauptuntersuchung geht man mit Hubsteigern direkt an die Brücke, macht eine handnahe Überprüfung. Risse oder Abplatzungen fallen dabei sofort auf. Das machen zwei Leute, es gilt also das Vier-Augen-Prinzip. Die Brücke wird in einem Brückenbuch eingestuft. Da gibt es drei Kategorien: Es geht um die Standsicherheit, die Dauerhaftigkeit und die Verkehrssicherheit. Die Brücke erhält eine Gesamtnote. Daraus ergibt sich, ob die Brücke überwacht werden muss oder ob sie direkt instandgesetzt werden muss. Das kann man mit einem Ampelsystem vergleichen.

Brücken in Deutschland sollen 80 bis 100 Jahre halten. Ist dieser Zeitraum bei dem wachsenden Verkehr realistisch?

Das setzt natürlich voraus, dass man die Brücken weiterhin überprüft und gegebenenfalls wartet. Gerade bei den Brücken aus den 50er und 60er Jahren muss man jedoch bedenken, dass die Bauweise mit Stahl- und Spannbeton noch sehr jung war. Zudem war das Material in der Nachkriegszeit knapp. Man hat also sehr ressourcenschonend gebaut. Auch das war nicht unbedingt zuträglich. Heute baut man robuster, mit mehr Volumen.

Welchen Zustand haben denn Deutschlands Brücken?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Das hängt davon ab, wann die Brücken gebaut wurden. Der Zustand der Brücken aus den 50er und 60er Jahren ist nicht gut. Das muss man so sagen.

Wie viele Brücken sind das?

Das sind etwa 30 Prozent aller Brücken in Deutschland.

Es gibt Experten, die sagen: Viele Brücken in Deutschland verrotten. Sehen Sie das auch so?

Das ist übertrieben. Auf der A2 nutzen LKW dauerhaft zwei Spuren je Fahrtrichtung. Das tut natürlich keiner Brücke auf Dauer gut. Viele Brücken in Deutschland werden eher kaputtgefahren.

Ist ein Einsturz wie in Genua auch in Deutschland möglich?

Grundsätzlich kann man so etwas auch in Deutschland nicht ausschließen. Das sieht man an der Leverkusener Rheinbrücke. Da hat man bei einer Hauptuntersuchung einen Riss festgestellt und sofort gehandelt. Wenn dieser Riss aber einen Tag nach der letzten Hauptuntersuchung aufgetreten wäre, hätte dieser drei Jahre lang Zeit gehabt, sich zu entwickeln. Da weiß man auch nicht, was passiert wäre. Oft gibt es ein Zusammenspiel von vielen Ursachen. In Italien kennt man den Grund auch noch nicht genau. Wahrscheinlich lagen Mängel vor, es wurde an der Brücke gebaut, dann kam ein Unwetter und eine hohe Verkehrsbelastung hinzu. Ohne den Italienern zu nahe treten zu wollen, aber in Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit doch deutlich geringer.

Die Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr in Niedersachsen hat bereits eingeräumt, dass es bei uns fünf Brücken mit Rissen gibt. Sie haben die langen Zeiträume angesprochen, die zwischen den Prüfungen liegen. Da ist es doch wahrscheinlich, dass es nicht nur diese fünf Brücken mit Rissen gibt, oder?

Es kann auch mehr Brücken geben, ja. Wir ergreifen in Deutschland aber schnell Maßnahmen bei Brücken-Mängeln. Notfalls gibt es Tempolimits oder es werden nicht alle Spuren freigegeben. Das wird in Italien nicht immer gemacht. Hinzu kommt: Ganz wenige Strecken und Brücken sind in Deutschland privatisiert. Das ist sicherlich nicht unbedingt schlecht. Gewinn und Ertrag mögen hier und da eine größere Rolle spielen als die Sicherheit.

Wenn wir noch einmal nach Italien schauen: Es gibt Berichte von Augenzeugen, die gesehen haben wollen, dass ein Blitz in die Brücke einschlug. Halten Sie es für möglich, dass die Konstruktion dadurch zusammenbrach?

Das ist unwahrscheinlich. Die Pylone von solchen Brücken haben in der Regel einen Blitzschutz und eine entsprechend geerdete Bewehrung. Ein Blitz sollte keine großen Schäden hervorrufen können. Aber wie gesagt der Impuls eines Blitzes, der in die Brücke geht, könnte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Da würde ich gerne abwarten wollen, was tatsächlich die Ursache in Genua war.