Die Debatte um Asylbewerber hat CSU-Chef Seehofer sehr scharf geführt. Aber was ist dran? Ein Besuch in Unterkünften in der Region.

Wie viele von diesen Asylsuchenden sind eigentlich ausreisepflichtig?

Das fragt eine Leserin per Mail, die sich Insulanerin2011 nennt.

Die Antwort recherchierte
Andre Dolle

Braunschweig. Verschüchtert sitzt er da. Er spricht nur, wenn er gefragt wird. Der junge Mann aus dem Sudan wird zum ersten Mal in Deutschland registriert. Die Polizei in Hannover griff ihn auf. Danach kam er nach Braunschweig in die Landesaufnahmebehörde (LAB). Sechs dieser Standorte hält das Land Niedersachsen vor.

Der Mitarbeiter nimmt die Fingerabdrücke des Sudanesen. Alleine sei er nach Deutschland gekommen, sagt dieser. „Wie alt bist du?“, fragt der Mitarbeiter ihn. „16“, antwortet er leise. Damit ist er ein Fall für das Jugendamt. Die Befragung endet hier bereits. „Er sieht relativ jung aus. Das kann gut hinkommen“, sagt Christine Möricke-Abifade, die stellvertretende Leiterin des LAB-Standortes Braunschweig. Einen Ausweis hat der Junge nicht dabei. Es kommt vor, dass Flüchtlinge beim Alter tricksen. Das schützt vor Abschiebung.

Die LAB in Braunschweig registriert derzeit 10 bis 15 Neuankömmlinge pro Tag. 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, waren es bis zu 200. Damals wurden Flüchtlinge busseweise in umliegende Landkreise transportiert. Die LAB platzte aus allen Nähten. Auf den Fluren standen Betten, Container und Zelte wurden reihenweise aufgestellt. 5400 Flüchtlinge zählte die LAB im Oktober 2015. Heute sind es nur noch 453.

„Es ist ruhig. Die Lage ist entspannt“, sagt Möricke-Abifade. Die LAB nutzt die Zeit, um Gebäude zu sanieren. Die Erstaufnahme-Einrichtung ist auf 900 Flüchtlinge ausgelegt. „Wir können schnell hochfahren auf 1200 Plätze“, so die stellvertretende Leiterin.

Gelernt aus Fehlern

Die Behörden haben aus Fehlern der Vergangenheit gelernt. Zwar sind derzeit nur gute 4000 Plätze in den sechs Erstaufnahme-Einrichtungen des Landes belegt. Die Kapazität kann aber schnell auf 19 000 Plätze hochgefahren werden.

2015 und 2016 suchten das Land und die Kommunen händeringend nach Unterkünften. Es gab 46 Notunterkünfte des Landes, die Kommunen unterstützten in 92 weiteren Unterkünften. Öffentlichkeitswirksam suchte damals TV-Star Til Schweiger zusammen mit Landesinnenminister Boris Pistorius nach Platz für Flüchtlingen.

Ministerpräsident Stephan Weil war zufällig an einem Sonntag Anfang September bei einer SPD-Veranstaltung in Braunschweig, als ein Sonderzug mit 900 Flüchtlingen am Hauptbahnhof strandete. Weil eilte zum Bahnhof, sprach mit sichtlich verängstigten Syrern.

Es war die Zeit, als Kanzlerin Merkel ihren legendären Satz „Wir schaffen das“ sagte. Es war auch die Zeit, in der in den Folgemonaten ein Stück weit staatlicher Kontrollverlust herrschte. Unter der Hand gaben Behörden-Mitarbeiter aus unserer Region zu, dass sie nicht genau wussten, wie viele Flüchtlinge gerade in ihrem Landkreis seien, woher diese kamen. Nachts klopfte ein Flüchtling an eine Unterkunft, es verschwanden aber auch immer wieder welche, weil sie zum Beispiel nach Bremen wollten, wo bereits Verwandte untergekommen waren. Vermieter riefen Wucherpreise für ihre Wohnungen auf, in denen Flüchtlinge unterkamen.

Angetrieben durch die CSU ist die öffentliche Debatte heute viel schärfer als damals. In der LAB nimmt man das etwas verwundert zur Kenntnis. Sagen würden das die Mitarbeiter so deutlich nicht. LAB-Sprecherin Hannah Hintze sagt lediglich: „Wir sind für unsere Aufgaben sehr gut gerüstet.“

Auf dem riesigen Gelände in Braunschweig-Kralenriede grüßen die Flüchtlinge freundlich, wenn sie einem entgegenkommen. Einige packen mit an. Zusammen mit LAB-Mitarbeitern verschrotten sie alte Möbel. Auf den Straßen, die sich über das Gelände schlängeln, sind nur wenige Flüchtlinge zu sehen. Ein Pärchen schiebt einen Kinderwagen vor sich her.

Viele von Seehofers Vorschlägen sind schon umgesetzt

Der Alltag ist straff organisiert. Das gilt besonders für Neuankömmlinge: Am ersten Tag werden sie registriert, der Sozialdienst nimmt Kontakt zu ihnen auf. Sie werden untergebracht. Am zweiten Tag steht der Termin beim Gesundheitsamt an. An den Folgetagen können die Flüchtlinge bei Bedarf Sozialleistungen beantragen, vor allem die Interviews mit Bamf-Mitarbeitern aber stehen auf dem Programm. Das Bamf hat Büros auf dem Gelände. Vieles, was Bundesinnenminister Horst Seehofer für seine Ankerzentren vorsieht, geschieht längst in der LAB.

Es kommen zwar viel weniger weitere Flüchtlinge. Das heißt aber nicht, dass die Mitarbeiter in den Erstaufnahme-Einrichtungen des Landes Langeweile schieben. Darauf legt Britta Voigt, die stellvertretende Behördenleiterin, wert. Sie sagt: „Die Einrichtungen sind voll.“

Darauf zielt auch die Frage unserer Leserin ab. Das Problem ist: Es gibt zwar viele ausreisepflichtige Flüchtlinge, bis sie tatsächlich ausreisen, dauert es meistens aber.

Im Kreis Gifhorn etwa sind von derzeit 1227 Flüchtlingen366 Menschen zur Ausreise verpflichtet. Ein Teil von ihnen klagt dagegen, andere sind krankheitsbedingt nicht reisefähig. Sie werden geduldet.

Die Flure des Ausländeramtes in Gifhorn sind dienstags und donnerstags voll. Bis 12 Uhr haben am Donnerstag bereits 52 Flüchtlinge ein Ticket am Schalter gezogen. Sie warten geduldig darauf, aufgerufen zu werden. In den Büros sitzen Dolmetscher neben den Mitarbeitern. Sachbearbeiterin Katharina Manthai sagt: „Wir kriegen das gut hin.“ Die Flüchtlinge brauchen Hilfe für den nächsten Arztbesuch oder beim Ausfüllen von Formularen.

Mehrere Leute teilen sich ein kleines Zimmer

Sehr geordnet läuft es auch in einer der beiden großen Unterkünften des Landkreises, im Clausmoorhof am Rande Gifhorns. Die Flüchtlinge wohnen hier in einem ehemaligen Seniorenheim.

Es klopft an der Tür des Büros von Nadine Lücke-Libro, der stellvertretenden Leiterin. Eine Schwarzafrikanerin tritt ein, bestellt das Bustaxi für fünf Personen. Der Linienbus verkehrt in den Ferien nicht. Kurz darauf klopft es wieder. Ein Schwarzafrikaner will wissen, ob er Post bekommen hat. Lücke-Libro schwärmt vom „familiären Verhältnis“ in der Unterkunft. Es gibt einen Sicherheitsdienst. „Der muss aber ganz, ganz selten eingreifen“, sagt sie. Es gibt eine Fahrradwerkstatt, einen Bolzplatz, eine Kleiderkammer und eine Spielhalle. Vor der Unterkunft steht eine Bushaltestelle und ein Briefkasten. Luxuriös ist die Unterkunft allerdings nicht. Viele Bewohner teilen sich die kleinen Zimmer mit mehreren Leuten.