Braunschweig. Die Antibiotika-resistenten Erreger bereiten Experten Sorgen. Nun wurde festgestellt: Sie finden sich in Gewässern in Niedersachsen.

Unser Leser A. Fischer schreibt auf unseren Internetseiten:

Bei multiresistenten Keimen liegt das tatsächliche Problem in der Tiermedizin.

Zum Thema recherchierten Andre Dolle und Alina Reichardt

Es ist das Schreckensszenario in vielen Filmen und Serien: Gefährliche Keime haben die Gewässer besiedelt, verseuchen Bäche, Flüsse und Badeseen. Laut einem Bericht des TV-Magazins „Panorama“, den der NDR am Dienstagabend sendete, ist die Realität davon nicht allzu weit entfernt. In Gewässern hatten die Autoren Proben genommen und im Labor untersuchen lassen. Überall fanden sich multiresistente Bakterien – ein „alarmierender“ Befund, so das Resümee.

„Resistente Keime sind ein sehr ernstes Problem. Wir steuern auf eine Krise zu.“
„Resistente Keime sind ein sehr ernstes Problem. Wir steuern auf eine Krise zu.“ © Dirk Heinz, Wiss. Leiter des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung

Das bedeute, dass wir uns auch in Deutschland mehr und mehr klar machen müssten: „Diese Keime sind allgegenwärtig“, sagt Dirk Heinz, Wissenschaftlicher Leiter des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig. Das Robert-Koch-Institut und das Umweltbundesamt (UBA) entwarnen indes, die Ergebnisse seien „nicht überraschend“ und die gefundenen Keime nicht per se gefährlich. Dennoch hätten die NDR-Autoren auf ein großes Problem aufmerksam gemacht.

Was wurde genau untersucht?

Reporter des NDR haben an zwölf verschiedenen Orten in Niedersachsen Boden- und Wasserproben genommen: aus Bächen, Flüssen sowie an zwei Badeseen, dem Zwischenahner Meer und der Thüsfelder Talsperre. Andere Probeorte lagen in Gegenden mit intensiver Tierhaltung sowie neben einem Krankenhaus und einem Altenpflegeheim. Die Proben stammen allesamt aus dem Westen und Nordwesten Niedersachsens – in einer Gegend, in der viel und intensiv Tierhaltung betrieben wird. In unserer Region haben die Reporter keine Proben entnommen.

Die Proben wurden von der Technischen Universität Dresden und dem Universitätsklinikum Gießen auf multiresistente Erreger untersucht – Keime, gegen die mehr als drei Antibiotika nicht mehr helfen. „Dass solche Keime in allen zwölf Proben gefunden wurden, damit habe ich nicht gerechnet“, erklärt der an der Untersuchung beteiligte Gewässerforscher Thomas Berendonk von der Technischen Universität Dresden. Auch Heinz vom HZI in Braunschweig ist überrascht. Solche Ergebnisse kenne man sonst aus Ländern wie Indien, die besonders große Problem mit Hygiene-Standards hätten. Allerdings sei die Dosis der gefundenen Keime entscheidend. Darauf geht der NDR aber nicht ein.

Welche Erreger wurden gefunden?

Im Fokus der Untersuchung standen bestimmte Bakterien, die als besonders problematisch gelten: multiresistente gramnegative Bakterien (MRGN). Gramnegative Keime unterscheiden sich von grampositiven im Aufbau ihrer Zellwände. Ärzte können das Gramverhalten eines Bakteriums bestimmen und dann gezielt Antibiotika auswählen, welche die Struktur des Bakteriums besonders gut angreifen können. MRGN sind jedoch für viele dieser Mittel unempfindlich. Unterschieden wird zwischen solchen MRGN, die gegen drei, und solchen, die gegen alle vier bekannten Antibiotikaklassen immun sind – darunter fallen auch wichtige Reserveantibiotika.

Bei der Untersuchung im Labor etwa seien die Wissenschaftler aus Dresden und Gießen unter anderem auf ein Gen gestoßen, das den Bakterien ermöglicht, das Enzym MCR-1 zu bilden. Keime von fünf der zwölf Orte verfügten über das genetische Merkmal. Es macht sie unter anderem immun gegen das wichtige Reservemedikament Colistin. Es wird in der Tierhaltung in größeren Mengen eingesetzt – und zwar nur, wenn alle anderen Antibiotika versagen.

Wie gefährlich sind die Keime?

Die meisten Bakterien-Arten, die eine solche Multiresistenz entwickeln können, sind ansonsten harmlose Keime, die etwa im menschlichen oder tierischen Darm, auf der Haut und auch in der Umwelt vorkommen. Ihre resistenten Varianten sind vor allem dort verbreitet, wo viele Antibiotika verwendet werden, etwa in Krankenhäusern, erklärt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Etwa fünf von 100 gesunden Menschen seien von multiresistenten MRGN-Bakterien besiedelt. Bei ihnen führten die Keime in der Regel nicht zu einer Erkrankung. Sei das Immunsystem jedoch geschwächt, wie bei chronisch Kranken, sagt Heinz vom HZI, könnten sie zu lebensbedrohlichen Infektionen führen, die sich aufgrund der Resistenzen kaum noch mit Antibiotika behandeln ließen.

„Das individuelle Risiko ist allerdings nicht das Hauptproblem“, sagt Regine Szewzyk vom Umweltbundesamt. „Dass eine Person mit schwachem Immunsystem in einem betroffenen Gewässer badet und mit einer durch diese Keime erzeugten Erkrankung ins Krankenhaus kommt, ist ein möglicher, aber sehr unwahrscheinlicher Ausnahmefall“, so die Expertin. Das größere Problem sei, dass durch Abwässer oder Gülle immer mehr Antibiotika und resistente Bakterien in die Umwelt gelangten und dort verschiedene Resistenzen untereinander austauschen könnten. „Damit erhöht sich generell das Risiko, dass multiresistente Krankheitserreger entstehen, gegen die gar kein bekanntes Medikament mehr hilft“, so Szewzyk. Laut Heinz vom HZI stellen einzelne Keime an sich keine große Gefahr dar. „Mit wenigen Keimen kann unser Immunsystem gut umgehen.“

Woher stammen die Bakterien?

In einem Bach im Süden Niedersachsens, in dem das aufbereitete Abwasser aus einer privaten Kleinkläranlage eines Altenpflegeheims fließe, seien verschiedene multiresistente Erreger gefunden worden, erklären die NDR-Autoren in ihrem Bericht. Darunter ist auch ein Keim, der in Kliniken und Heimen gefürchtet sei, weil er Lungen und Bronchien dauerhaft schädige. Auch in dem Fluss Hase in Osnabrück hätten Wissenschaftler kurz hinter dem Auslauf des kommunalen Klärwerks eine sehr hohe Konzentration an multiresistenten Erregern gefunden. „Vor allem über Klinikabwässer oder wenn Gülle vom Regen in Gewässer geschwemmt wird, gelangen resistente Keime in die Umwelt, das hat die NDR-Untersuchung zeigen können“, bestätigt UBA-Expertin Szewzyk. Aber auch aus Privathaushalten könnten resistente Bakterien in Gewässer gelangen.

Welchen Anteil haben Landwirte?

Laut Umweltbundesamt wurden inzwischen über 150 Arzneimittelwirkstoffe in der Umwelt in Deutschland nachgewiesen, darunter auch Wirkstoffe, die zur Behandlung von Nutztieren verwendet werden.

Tierarzneimittel werden hauptsächlich durch den Einsatz von Wirtschaftsdünger in die Umwelt eingetragen, etwa Gülle. Und Tieren werden immer noch viele hundert Tonnen Antibiotika verabreicht. 2016 wurden 742 Tonnen Antibiotika an Tierärzte in Deutschland abgegeben. Damit ist die Menge seit 2011 aber um mehr als die Hälfte gesunken. Das ist gut. Die mit Abstand höchste Abgabemenge (294 Tonnen) entfiel auf die Postleitzahl-Region 49 (Osnabrück, Melle, Ibbenbüren, Lingen).

Heinz vom HZI sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Ausbreitung von Keimen, gegen die kaum noch ein Antibiotikum wirkt, und der Landwirtschaft. „Das ist naheliegend“, sagt er. Je mehr Antibiotika in der Landwirtschaft eingesetzt würden, desto höher sei das Risiko, dass sie auch beim Menschen ihre Wirksamkeit verlieren würden. Jedoch: „Antibiotika dienen auch dem Tierschutz. Wir hätten eine Zunahme der Durchseuchung in vollen Ställen, falls Antibiotika weniger stark eingesetzt würden.“

Wie ernst ist das Problem resistenter Keime weltweit?

Die Vereinten Nationen sprechen mit Blick auf die Antibiotika-Resistenzen von der größten globalen Gefahr. Heinz vom HZI sagt: „Die Lage ist sehr ernst. Wir steuern eindeutig auf eine Krise zu.“ Es gebe kaum neue Medikamente, hingegen immer mehr Resistenzen. „Die Pharmaindustrie hat sich aus diesem Bereich weitgehend zurückgezogen, da er nicht lukrativ genug ist.“

Der Braunschweiger fordert: „Man muss gegensteuern, die Forschung stärken, der Industrie die Möglichkeit geben, im Bereich der Zulassung von Medikamenten neue Wege zu gehen.“ Er hat einen Vorschlag: „Die Politik muss ein Kompensationsangebot an die Pharmaindustrie machen. Für Unternehmen könnte gelten: Wer ein neues Antibiotika-Medikament findet und produziert, dessen Patent für ein anderes Medikament wird verlängert.“

Was folgt aus der Untersuchung in Deutschland?

„Es ist noch viel Forschung bei Kläranlagen nötig, und auch die Praxis des Gülleausbringens sollte überdacht werden“, sagt Gewässerforscher Berendonk. Derzeit können Kläranlagen resistente Keime nicht vollständig aus dem Wasser entfernen. „Sie reduzieren den Gehalt an solchen Bakterien um den Faktor 100 bis 1000“, sagt Szewzyk, „das klingt viel, aber trotzdem finden sich im gereinigten Abwasser noch multiresistente Bakterien“. In Forschungsprojekten werde die Reduktionsleistung von zusätzlichen Reinigungsschritten bereits untersucht. „Mögliche Optionen sind etwa UV-Bestrahlung, Ozonung oder Membranfiltration“, so die UBA-Expertin.

Der Braunschweiger Heinz fordert stärkere Kontrollen in den Klärwerken. Gegebenenfalls müsse technisch nachgerüstet werden.

Wie reagiert die Politik?

Die Kosten, um alle größeren Klärwerke nachzurüsten, würden bei jährlich 1,3 Milliarden Euro liegen, sagt die UBA-Präsidentin Maria Krautzberger im Interview für die NDR-Sendung. Die Landesregierung in Niedersachsen würde das Gesundheitsrisiko allerdings als gering einschätzen und keinen besonderen Handlungsbedarf sehen.

Auf Bundesebene will man das Problem hingegen an der Wurzel packen, weiß Szewzyk: „Das Bundesforschungsministerium arbeitet an einer deutschlandweiten Untersuchung von Eintragsquellen, Gewässern und Kläranlagen, um zu prüfen, wo und in

welchen Mengen in Deutschland resistente Keime in die Umwelt gelangen.“