Braunschweig. Die Knackpunkte der GroKo-Verhandlungen: Jobs sollen nicht mehr so leicht befristet werden, Kassen- und Privatpatienten gleich behandelt werden.

Unser Leser, der sich „Alles offen“ nennt, bemerkt auf unseren Internetseiten:

Die Parteimitglieder werden den Koalitionsvertrag durchfallen lassen, wenn zentrale Forderungen in den Verhandlungen nicht durchgesetzt werden.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle

In der Parteizentrale der SPD, im Willy-Brandt-Haus in Berlin, feiert man den knappen Ausgang des Bonner Parteitags als Zeichen „gelebter Demokratie“ nach intensiver Diskussion. Das stand am Montag auf der SPD-Homepage. Die mehr als 440 000 SPD-Mitglieder stimmen über den Koalitionsvertrag ab – haben damit das letzte Wort.

SPD-Mitglieder

In unserer Region gehen viele Mitglieder kritisch mit der Situation um. Viele sind verärgert, stellen Bedingungen.

Laut Dirk Roller, Geschäftsführer des SPD-Bezirks Braunschweig, bekommt die Partei Zulauf. „Am Sonntag hatten wir im Bezirk 14 Neueintritte über unsere Homepage. Das ist ungewöhnlich für ein Wochenende. In den Unterbezirken gab es am Montag einige telefonische Anfragen. Die Leute wollen mitbestimmen.“

Unsere Region genießt spätestens seit der Bundes- und Landtagswahl eine Art Sonderstellung. Bei beiden Wahlen gingen sämtliche Direktmandate an die SPD. Der Raum zwischen Harz und Heide gilt als Bastion. Zudem ist er die Heimat von Außenminister Sigmar Gabriel (Goslar) und Hubertus Heil (Peine), Fraktionsvize im Bundestag. Mit seinen 9700 Mitgliedern stellt der SPD-Bezirk Braunschweig fast so viele Mitglieder wie Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen zusammen.

Das sagen SPD-Mitglieder

Jens Kloppenburg, Vorsitzender der Goslarer SPD, sagte: „Die Entscheidung des Parteitags war gut für das Land – glaube ich. Ob sie gut für die SPD war, wird sich zeigen.“ Die Goslarer haben Erwartungen für den Ausgang der Verhandlungen mit der Union: Die sachgrundlose Befristung von Arbeitnehmern müsse gekippt werden. Außerdem müsse ein Ende der Zwei-Klassen-Medizin her. Kloppenburg: „Wir wollen eine Versorgung der Patienten nach Bedarf statt nach ihrem Versicherungsstatus.“ Die SPD fordert eine gerechtere Honorarverordnung und die Öffnung der gesetzlichen Krankenversicherung für Beamte.

Ralf Krüger, SPD-Ortsratsmitglied in Fallersleben und Sülfeld , begrüßt die Verhandlungen mit der Union. „Ich bin grundsätzlich zufrieden.“ Allerdings hat auch er Vorbehalte. „Jetzt geht es um Inhalte.“ Befristete Arbeitsverhältnisse sind ihm ein Dorn im Auge, ebenso fordert er mehr Gerechtigkeit im Gesundheitssystem. „Es kann nicht sein, dass ein Kassenpatient Monate auf einen Termin wartet, der Privatpatient nicht.“

Laut Manon Luther, der Juso-Chefin im SPD-Bezirk, lehnt der SPD-Nachwuchs in der Region die Koalitionsverhandlungen geschlossen ab. „Wir wollen den Erneuerungsprozess in der Opposition. Wir wollen der AfD nicht die Oppositionsführerschaft im Bundestag überlassen.“

Vielen jungen SPD-Mitgliedern liegt der Familiennachzug am Herzen. Das Sondierungspapier sieht vor, dass 1000 Angehörige von Flüchtlingen pro Monat nachkommen dürfen. Das reicht den Sozialdemokraten nicht aus.

Hans-Peter Palm, Chef des SPD-Ortsvereins in Braunschweig-Rüningen, glaubt nicht daran, dass die SPD die Nachbesserungen durchsetzen kann. „Ich tendiere daher zu einer Minderheitsregierung.“ Parteichef Martin Schulz habe die SPD in einen Schlingerkurs gebracht.

Das sagen SPD-Abgeordnete

Die SPD-Mandatsträger aus unserer Region begrüßen das Parteitagsergebnis. Der Wolfenbütteler Landtagsabgeordnete Marcus Bosse erklärte: „Der Sonntag hat erneut verdeutlicht, dass Mitbestimmung in der SPD nicht bloß eine Floskel, sondern gelebter Alltag ist. Darauf bin ich stolz.“ Er fordert aber auch Nachbesserungen – zum Beispiel bei der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen. Er sagte: „Der Ball liegt nun im Spielfeld der CDU.“

Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel äußerte sich gegenüber dem „Tagesspiegel“ relativ unkonkret. Der Außenminister hob die Streitkultur hervor. „Darauf kann die SPD stolz sein“, sagte er. Mit Blick auf die Diskussionen beim Parteitag in Bonn sagte Gabriel: „Das alles ist anstrengend und manchmal auch schmerzhaft, aber Demokratie kennt keinen Schaukelstuhl, in dem man es sich bequem machen kann.“ Die SPD-Basis erwartet nun aber konkrete Vorschläge.

Der Landtagsabgeordnete Matthias Möhle ist Chef des Unterbezirks Peine. „Inwieweit die SPD im Unterbezirk einer Koalitionsvereinbarung mit der Union zustimmen wird, kann ich im Moment nicht einschätzen“, sagte er. Möhle erwartet kontrovers geführte Diskussionen und deutet an, dass noch einiges passieren muss, um die Basis zufriedenzustellen. „Der Parteispitze ist sicher bewusst, dass nun die Inhalte des Sondierungspapiers einer Überprüfung und Bewertung unterzogen werden müssen.“