Wernigerode. Am Tag vor dem großen Sturm traut sich unsere Reporterin auf den Brocken. Die Tour läuft allerdings ganz anders als geplant.

Unser Leser Marcel schreibt auf unseren Facebook-Seiten:

Kaum fallen in Deutschland 5 Zentimeter Schnee, bricht alles zusammen. Unglaublich.

Eine Reportage von Ramona Dusny

Während im Flachland, worauf sich unser Leser beziehen mag, mancher Lokführer seine Bahn schon bei der ersten rieselnden Schneeflocke lieber sicher im Bahnhof weiß, gibt es einen Flecken Erde, auf dem sich Züge unermüdlich durch Schneemassen wälzen. Viele Menschen arbeiten sisyphusgleich daran, im Winter wetterfeste Touristen von Wernigerode im Harz bis auf den Sehnsuchtsberg Brocken und sicher wieder zurück zu bringen.

Ich habe keine Zweifel daran, dass auch heute Gleisbauer, Zugführer und Entscheider alles daran setzen, die Brockenbahn ins Rollen zu bringen – auch wenn Meteorologen einen Orkan und Windgeschwindigkeiten bis zu 130 Kilometern pro Stunde vorhergesagt haben. Denn ich habe die Entschlossenheit der Gipfelfesten erlebt.

Eigentlich will ich die Wettertechniker besuchen, die die Sturmwarnungen ihrer Kollegen nicht auf sich beziehen dürfen. Sie müssen ausharren auf der turmartigen Wetterwarte, die seit 1895 steht, um dem Wetterdienst ihre Messergebnisse zu melden. Wenn sie durch Schnee und Wind zu ihrem Arbeitsplatz kommen, sollte das für mich doch auch kein Problem sein, so denke ich. Erste Zweifel bekomme ich aber schon am Telefon. Wie ich vom Brockenbahnhof zur Wetterstation käme, frage ich. Durchkämpfen, wie wir alle, lautet die Antwort.

Der angedrohte Kampf nimmt schon vier Stunden früher, bei der Fahrt nach Schierke seinen Anfang. Die Straßen sind nicht geräumt. Gefrorene Spurrillen! Es rumpelt bei jedem Reifenkontakt. Die B 4 schraubt sich von Bad Harzburg aus in die Höhe. Aus den Eisrillen werden Eisflächen. Die Straße ist zweispurig, doch rechts häuft sich der Schnee höher. Eine Spur zeigt, dass sich die Autofahrer vor mir dafür entschieden haben, eher mittig zu fahren. Viele Fahrzeuge sind nicht unterwegs. Plötzlich steht vor mir ein LKW mit Warnblinklicht. Er kommt nicht weiter, mein Kleinwagen aber fährt noch sicher. Der nächste LKW versucht zu bremsen, rutscht seitlich weg. Ein grauer BMW schlingert Zentimeter für Zentimeter voran, schwarze Abgaswolken bezeugen die Mühe. Genug, ich wende. Also auf zu der anderen Schmalspurbahnstation, etwas tiefer bei Wernigerode! Aber ob der Zug bis zum Gipfel durchfährt? Vielleicht, vielleicht auch nicht, sagt die Fahrkartenkontrolleurin. Die Aussicht entschädigt für die Ungewissheit. Die Fichten beugen sich unter ihrer Schneelast wie skurrile Skulpturen. Der Qualm der Lok hüllt Waggons wie Bäume ein, verschmilzt mit der Nebelwand, die sich um den Berg legt. Der Zug tuckert, die Heizung zischt, die Fahrgäste raunen, als es auf freier Strecke kurz zum Stillstand kommt. In Schierke dann Rätselraten, ob die Gleise weiter oben frei sind. Die Wanderer blicken mürrisch. Dann ein Funkspruch, die Bahn darf weiter. „Sind die denn alle bescheuert oder was“, ertönt ein Ruf aus der Lok. Tatsächlich wird es desto schwieriger, je höher sich der Zug hinaufschiebt. In 1141 Metern Höhe ist dann alles weiß. Grellweißer schneebedeckter Boden, fluffigweiße Bäume und vor allem rauschend weißer Nebel. Dieser lässt den steinbestreuten Schnee-Pfad einen Meter vor meinen Augen verschwinden, als ich aussteige. Wind und Eisschnee bohren sich schmerzend kalt in ungeschützte Wangen. Meine Haare wehen aus der Kapuze, und als ich nach wenigen Minuten nach ihnen greife, fasse ich verdutzt in vereiste Strähnen. Der Winter ist auf dem Kriegspfad, so scheint es, und ich habe mich allzu schlecht bewaffnet hineinbegeben. Nur kurz zur Wetterstation, dort bin ich im Warmen, so meine Hoffnung. Ich frage einen Gleisbauer in neonorangener Warnkleidung nach dem Weg. Immer geradeaus, dann links, meint er, während er die Gleise freifegt. Ich folge dem schmalen Pfad. Nach zehn Minuten schnaufe ich wie eben noch die Dampflok. Vor, neben und hinter mir nur noch die Nebelwand. Gebäude schälen sich heraus. Ist das die Station? Weit gefehlt, ich bin beim Museum. Die Wegweiser daneben sind von einer dicken Schneeschicht überzogen. Ich stapfe weiter, über einen Schneewall, lande beim Gipfelstein. Die Kälte frisst sich durch meine Stoffhandschuhe. Ich ziehe sie aus, um das GPS zu Rate zu ziehen, vergesse sie in der Hand. Kurz darauf sind sie schneedurchtränkt und steif gefroren.

Unsere Reporterin traut sich im Schneechaos auf den Brocken

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Im Museum frage ich noch mal nach dem Weg. Eine Angestellte schickt mich zurück Richtung Bahnhof, hinter dem Gasthof sei ein Pfad. Dort ist aber kein Pfad, dort ist eine Schneewand. Doch auch die Wirtsleute weisen dorthin, das sei schon richtig, einfach durch. Da kann doch der Wettertechniker unmöglich durchgepflügt sein, überlege ich. Auf meine Frage, ob er mich abholt, bekomme ich einen Korb. Hinzu kommt: Wer im Schneegestöber den Mund öffnet, schluckt automatisch welchen, der dann zusammen mit den Schleimhäuten einen seltsam metallischen Geschmack erzeugt. Das scheint die hier Arbeitenden gelehrt zu haben, nicht überflüssig viel zu reden. Auch der nächste Gleisbauer, den ich anspreche, hält sich bedeckt. Wie es eigentlich sei, auf dem Brocken zu arbeiten? Bei schönem Wetter schön, meint der junge Riese. Aber morgen habe er ja bei dem Orkan sicher frei, frage ich. Weit gefehlt. Die Strecke werde immer wieder freigeräumt. „Zumindest versuchen wir es“, sagt er, und schippt im Schneegestöber weiter.

Mich zieht es immer noch zu der Wetterstation. Ich teste wieder den Weg bei den Gleisen. Tatsächlich zeigt sich endlich ein weißer Turm im Nebel. Freudig stapfe ich drauf zu – und versinke hüfthoch im Schnee. Ich balanciere, teste, der Wind drückt mich zur Seite und ich sinke doch immer wieder ein. Ich stolpere, schreie vor Wut. Niemand hört es. Nur der Wind streicht gleichsam höhnisch um mich herum.

Na gut, ich gebe auf. Triefnass drehe ich um zum Bahnhof, zu den anderen Wartenden, die sich wie eine Pinguinkolonne zusammengestellt haben, und dankbar den Zug in Empfang nehmen, der sich zum letzten Mal an diesem Tag auf die frisch freigeräumten Gleise am Brocken begibt.