Braunschweig. Die Politologen sind sich einig: Die Liberalen in Niedersachsen nehmen die Absage an ein Ampel-Bündnis ernst, die Große Koalition wird kommen.

Auf der Wahlparty der FDP in einer Szene-Bar in Hannovers Innenstadt konnte man am Sonntagabend fragen, wen man wollte. Es gab stets die gleiche Antwort: „Eine Ampel-Koalition mit der SPD und den Grünen? Niemals!“ Das sagten die Ex-Minister Jörg Bode und Walter Hirche, das sagten auch Ex-Generalsekretär Patrick Döring und andere. Sie folgen ihrem Spitzenkandidaten Stefan Birkner. Der erklärte mehrere Male vor der Wahl und auch am Wahlabend, dass es keine Ampel geben werde.

Nach Einschätzung von Politologen wird die Partei standfest bleiben. Sie sehen eine Große Koalition unter Führung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) als wahrscheinlichste Option.

Wissenschaftler der Universität Mannheim haben nun sogar berechnet, wie wahrscheinlich genau diese Konstellation ist. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine Große Koalition mit 72 Prozent deutlich wahrscheinlicher als die Bildung einer Jamaika-Koalition unter Führung der CDU ist. Letztere stufen die Wissenschaftler lediglich mit 20 Prozent Wahrscheinlichkeit ein.

Professor Marc Debus von der Uni Mannheim sagt zur Ampel-Koalition: „Hier tendiert die Wahrscheinlichkeit gegen Null.“ Debus geht fest davon aus, dass die FDP es ernst meint mit ihrer Aussage.

In ihrem Modell berechnen die Politologen neben Aussagen über mögliche Koalitionen und inhaltlichen Übereinstimmungen auch, wie viele Regierungsposten eine Partei besetzen möchte und welchen Vorteil die stärkste Fraktion hat. Das Modell umfasst alle Bundes- und Landtagswahlen seit 1990, wie Debus sagt. In 91 aller 113 berücksichtigten Wahlen habe sich sein Schätzmodell bewährt, sagt der Politologe. „Die Koalition mit der höchsten Wahrscheinlichkeit bildete in rund 80 Prozent der Fälle tatsächlich auch das nächste Kabinett.“ So sagte Debus zum Beispiel Rot-Rot-Grün in Thüringen voraus. Vor der Bundestagswahl legte er sich bereits auf eine Jamaika-Koalition im Bund fest. Die Vorzeichen sind nicht die schlechtesten. Womöglich liegt er auch mit seiner Prognose für Niedersachsen richtig.

Der Mannheimer rät der FDP, nicht mehr von der Koalitionsaussage abzuweichen. Debus verweist mahnend auf das Beispiel der Hessin Andrea Ypsilanti (SPD). Da es für Rot-Grün allein keine Mehrheit gab und sich die FDP einer Zusammenarbeit strikt verweigerte, setzte die SPD-Chefin 2008 auf eine von der Linkspartei unterstützte rot-grüne Minderheitsregierung, eine Option, die sie im Wahlkampf dutzendfach kategorisch ausgeschlossen hatte. Als „Lügilanti“ musste sich Ypsilanti daraufhin beschimpfen lassen. Am Ende scheiterte sie an vier Abweichlern aus den eigenen Reihen. „Nach den Neuwahlen verlor die SPD dann ein Drittel der Stimmen“, sagt Debus. Er warnt: Gleiches könnte auch der FDP in Niedersachsen widerfahren, falls sie doch noch wortbrüchig wird.

Ähnlich beurteilt das der Göttinger Parteienforscher Matthias Micus. Die FDP habe ein Trauma, als Umfaller-Partei zu gelten. „Das würde sie wieder einholen, wenn sie ihre Position jetzt ändert“, sagte er der dpa. Denkbar sei diese Kehrtwende allenfalls, sollte FDP-Landeschef Stefan Birkner abgelöst werden.

Auch der Braunschweiger Politik-Professor Nils Bandelow hält die Liberalen für standhaft. „Die Position der FDP ist: Lieber geht sie in die Opposition, als SPD und Grüne weiter an der Macht zu halten.“ Das Verhältnis zwischen FDP und Grünen in Niedersachsen bezeichnet er als „spannungsreich“. „Es gibt hier kein Özdemir-Lindner-Bündnis.“ Im Bund kommen die beiden Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl, Cem Özdemir (Grüne) und Christian Lindner (FDP), ganz gut miteinander aus.

Eine Jamaika-Koalition hält Bandelow in Niedersachsen aber für ebensowenig denkbar. „Ich sehe nicht, dass die Grünen nach dem Twesten-Desaster Lust dazu haben.“ Die Landtagsabgeordnete Elke Twesten brachte mit ihrem Übertritt von den Grünen zur CDU Rot-Grün im August überraschend zu Fall. Vorher regierte das Bündnis viereinhalb Jahre lang mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit.

Debus von der Uni Mannheim sieht es ähnlich. Hätten sich CDU, FDP und Grüne im Bund aber bereits auf eine Jamaika-Koalition geeinigt, hätte er eine solche Koalition auch in Niedersachsen für wahrscheinlicher gehalten.

Bandelow sieht wie die anderen die Große Koalition in Niedersachsen kommen. „Weil bliebe Ministerpräsident. Ich habe am Sonntagabend einen sehr entspannten, glücklichen Weil im Fernsehen beobachtet.“