Bad Lauterberg. Die Anwohner der Schanzenstraße in Bad Lauterberg erzählen von dem Feuer, bei dem zwei Häuser komplett zerstört, ein drittes schwer beschädigt wurde.

Es ist klirrend kalt in dem Haus in der Schanzenstraße 12, dem Haus, das mehr als 20 Jahre lang das Zuhause von Lore Kreter war. Die Fenster sind mit einer dicken Eisschicht bedeckt. Beim Betreten steigt einem ein penetranter Geruch in die Nase, die Tapeten sind aufgewölbt und fallen zum Teil von den Wänden: Spuren der Löscharbeiten, die von der Brandnacht zeugen. Erst in der oberen Etage wird einem das ganze Ausmaß des verheerenden Brandes gewahr, der das Haus Nummer 12 schwer beschädigte und die beiden Nachbarhäuser komplett zerstörte. Die Möbel – Betten, Schränke, Sofa – sind mit einer dicken Lehm- und Strohschicht bedeckt. Die Decken und Wände sind zu großen Teilen heruntergekommen. Auf dem Bett liegt die Deckenleuchte, die unter der Feuchtigkeit der Lehmschicht keinen Halt mehr fand. „Das sind Schäden, die durch das Löschwasser gekommen sind“, erklärt Wolfgang Tölle. Er wohnt mit seiner Frau Monika im Hinterhaus und verwaltet und vermietet die Schanzenstraße 12, das gut 300 Jahre alte Haus, das seiner Schwägerin gehört.

Das Ehepaar geht in der Brandnacht kurz vor der Alarmierung ins Bett – das Feuer oder den Brandgeruch bemerken sie nicht. Erst als die Sirene ertönt, wirft Wolfgang Tölle einen Blick aus dem Fenster, sieht den Feuerschein, der sich auf der Gläserei Zeitz abzeichnet. Beim Blick aus seinem Badezimmerfenster eröffnet sich ihm die Sicht auf den brennenden Dachstuhl des Hauses Nummer 14. „Wir hatten fürchterliche Angst, dass die Flammen auch auf unser Haus übergreifen, gerade, als die Flammen auf Nummer 12 übergeschlagen sind“, erinnert sich Monika Tölle. Nur mit dem Nötigsten verlässt das Ehepaar sein Haus, wenige Minuten später ist auch ihr Sohn Michael bereits vor Ort, der von einem Freund informiert wurde. „Das Schlimmste war diese Machtlosigkeit: Man sieht es brennen, aber kann nichts tun.“ Klare Gedanken fassen kann die Familie erst, als die Feuerwehr abzieht. Michael Tölle verliert keine Zeit, kümmert sich um die Versicherung – für seine Eltern wie auch für Lore Kreter – und leitet alles in die Wege. „Wie es jetzt weitergeht, wissen wir nicht. Aber es wäre eine Schande, wenn wir das Haus abreißen müssten.“

Zurück auf die Schanze

So weit will Lore Kreter nicht denken. Familie Tölle hat sie in einer Ferienwohnung untergebracht, die Kosten übernimmt vorerst ihre Versicherung. Für sie steht fest, dass sie in ein paar Monaten zurück in die Schanzenstraße zieht. „Einen alten Menschen soll man doch nicht verpflanzen“, sagt die 76-Jährige.

Während sie sich weder in der Brandnacht noch in den Folgetagen richtig begriff, was in jener Nacht in der Schanzenstraße passiert ist, fängt ihr Unterbewusstsein jetzt allmählich an, das Geschehene zu verarbeiten. „Ich träume fast jede Nacht von dem Brand und werde schweißgebadet wach“, sagt sie. Wenn sie von der Nacht des 30. November spricht, ist Lore Kreter ganz ruhig, wirkt, als wäre nichts passiert. „Für gewöhnlich gehe ich immer erst gegen 1 Uhr ins Bett, an diesem Abend war ich aber so müde, dass ich schon früh schlafen gegangen bin.“ Weder die explodierenden Farbdosen noch die platzenden Tonziegel haben sie geweckt, nicht einmal Brandgeruch habe sie bemerkt. „Dreimal haben sie mich wecken müssen, bis ich endlich aufgestanden bin“, sagt sie. „Dreimal.“ Und dann? „Mein erster Gedanke war, dass ich erst einmal mein Bett machen muss.“ Während sie in Ruhe ihre Sachen packt, steht ihr Nachbarhaus bereits im Vollbrand, die Flammen, die aus dem Dachstuhl schlagen, sind weit über der Stadt zu sehen. Auch als Lore Kreter das brennende Haus mit der Nummer 14 erblickt, bleibt sie ruhig – warum, kann sie sich nicht erklären.

Das Haus, in dem das Feuer ausbrach, gehört Heinz und Gisela Nawrodt. Seit 1966 dient es dem Ehepaar als Lager und Ausstellungsraum für ihr Möbelhaus – seit vier Jahren nutzt Heinz Nawrodt das Gebäude zudem als Werkstatt, in der er als Hobby alte Möbel restauriert. Bis zum letzten Tag.

„Ich habe einen Stuhl mit Sandpapier abgeschliffen. Genau an diesem Tag habe ich noch ein antikes Schränkchen bekommen“, erinnert sich Heinz Nawrodt. Er atmet ein paar Mal tief durch, sammelt sich, bevor er sich den Abend in Erinnerung ruft. „Ich habe wirklich einiges erlebt, aber so etwas nimmt einen mit.“

Gegen 1.10 Uhr heult die Sirene auf

Das Ehepaar liegt bereits im Bett, als die Sirene gegen 1.10 Uhr aufheult und beide aus dem Schlaf reißt. „Als meine Frau fragte, sagte ich noch: ,Na sicher wird irgendwo etwas brennen‘.“ Als er aus dem Fenster sieht, erkennt er die Lage: „Ich habe nur geschrien: Oh Gott, das sind wir!“ In der Panik ziehen sie einige Kleider über die Schlafanzüge, stürmen hinaus auf die Straße, die bereits von Feuerwehrleuten und Anwohnern gefüllt ist. „Ich konnte in diesem Augenblick an nichts mehr denken“, sagt Gisela Nawrodt. „Bisher konnte ich mit dem Begriff Schock nichts anfangen, aber das, was mir da widerfahren ist, muss einer gewesen sein“, ergänzt ihr Ehemann.

Alles, was dann folgt, geschieht automatisch: Gisela Nawrodt schließt den Laden im Erdgeschoss ihres Wohnhauses, das gegenüber der Brandruine liegt, auf und bietet den Feuerwehrleuten eine warme Unterkunft, während diese sich im Löscheinsatz bei Minus sieben Grad abwechseln.

Der Einsatz dauert bis in die Vormittagsstunden – an Schlaf ist für keinen der Anwohner zu denken. Teilweise ist es das bis heute nicht: „Ich schlafe unheimlich schlecht, ohne Schlaftabletten schon gar nicht“, gibt Gisela Nawrodt zu. Vor ihrem inneren Auge sieht sie noch immer das brennende Haus. „Es hört einfach nicht auf, dass man plötzlich wach wird und anfängt, zu grübeln“, erklärt ihr Mann. Wie es weitergehen soll, weiß das Ehepaar nicht. Das Haus in der Schanzenstraße 14 muss abgerissen werden. „Aber ob ich es mit 87 Jahren noch einmal aufbaue... ich weiß es nicht.“ Heinz Nawrodt seufzt, er geht in sich. Der persönliche Wert, der in der Novembernacht in Flammen aufgeht, sei nicht aufzurechnen. Wie lange die Brandruine dort noch stehen wird, ist nicht klar.

Die Brandnacht hat Spuren hinterlassen – offensichtliche wie auch verborgene. Doch Trost finden Monika, Michael und Wolfgang Tölle, Lore Kreter sowie Gisela und Heinz Nawrodt bei Mitmenschen. Neben tröstenden Worten und Hilfsangeboten erhalten die Anwohner der Schanze seit der Stunde des Unglücks Spenden und kleinere Geschenke. Sie alle eint die Dankbarkeit an ihre Nachbarn, die sie in der Brandnacht bei sich aufgenommen haben, wie auch der Dank an die beteiligten Feuerwehren, das DRK und die Polizei.

Dieser Text wurde mit einem Anerkennungs-Preis bei der Verleihung des Eckensberger-Preises 2017 ausgezeichnet.