Wolfsburg. Autopatriarch, Jahrhundert-Manager: Piëch hat eine riesige Bedeutung für den Konzern. Mit dem Verkauf seiner Aktien endet eine Ära.

Seine Nachfolger bei Volkswagen wollen nichts mehr mit dem einst Übermächtigen zu tun haben. Nun will Ferdinand Piëch die Konsequenzen ziehen – mit einem fast kompletten Ausstieg aus der einflussreichen Beteiligungsgesellschaft Porsche SE und damit aus dem Konzern.

Europas größter Autobauer ohne Piëch – das war lange völlig unvorstellbar. Nun aber deutet sich der vollständige Bruch mit seinem Lebenswerk an. Der fast 80-Jährige verhandelt über den Verkauf eines Großteils seiner Anteile an der Porsche SE, über die er bisher auch an VW beteiligt ist. Piëch geht auf Distanz zu VW.

Damit beginnt das Endspiel um die Macht in Wolfsburg und Stuttgart. „Der Rosenkrieg in den Eigentümerfamilien scheint in die Endphase zu gehen“, sagt der Autoexperte Stefan Bratzel. Sein Kollege Ferdinand Dudenhöffer ergänzt: „Er hat sich mit allen verkracht, hat mit allem abgeschlossen.“

Lange Zeit war der Enkel des legendären Konstrukteurs Ferdinand Porsche das Machtzentrum bei VW. Piëch war Audi-Chef, VW-Chef, dann Aufsichtsratsvorsitzender. Er baute das Volkswagen-Imperium aus zum heutigen Mehrmarken-Konzern. Ohne den „Alten“ ging nichts, von seinem Wohnsitz Salzburg aus führte er VW, lange Jahre zusammen mit seinem Ziehsohn Martin Winterkorn. Gestandene Manager fürchteten sich vor Piëch, dem autoritären Chef, der nicht lange fackelte. Leitende Angestellte entließ er handstreichartig und ohne mit der Wimper zu zucken. Ein Machtmensch pur. Zugleich war der Respekt vor ihm – dem genialen Ingenieur – groß.

Inzwischen scheint es jedoch fast so, als ob Piëch in Wolfsburg zur „Persona non grata“ geworden ist, zur unerwünschten Figur. Vorstandschef Matthias Müller, einst ein enger Vertrauter Winterkorns, sagte erst kürzlich: „Ich stehe nicht in Kontakt mit Piëch.“ Cousin Wolfgang Porsche rückte zumindest zwischen den Zeilen von Piëch ab. Stephan Weil, VW-Aufsichtsrat und Niedersachsens Ministerpräsident, warf dem „Alten“ gar vor, „fake news“ zu verbreiten. Und auch der Betriebsrat, früher lange ein enger Verbündeter, ist auf ihn alles andere als gut zu sprechen.

Was war passiert? Rückblick: Frühjahr 2015. Bei VW scheint alles in Ordnung zu sein, im Vorjahr gab es Rekorde bei Ergebnis und Umsatz. Hinter den Kulissen aber braut sich bereits das Unheil zusammen, das den erfolgsverwöhnten Konzern Monate später aus der Bahn werfen wird: In den USA gibt es Probleme mit erhöhten Abgaswerten.

Im März 2015 spricht Piëch auf dem Genfer Autosalon mit dem damaligen Vorstandschef Winterkorn. Er will auf die Probleme hingewiesen haben, auf mögliche Manipulationen – und auch den innersten Machtzirkel bei VW, das Präsidium des Aufsichtsrats mit Leuten wie Weil und Osterloh, heißt es in Berichten. Winterkorn aber soll Piëch beruhigt haben, da sei nichts dran, die Situation im Griff. Ausgesagt hat Piëch all das vor der Staatsanwaltschaft Braunschweig – und vor den Ermittlern der vom VW-Aufsichtsrat beauftragten US-Kanzlei Jones Day. Piëch wusste damals von Abgas-Problemen. Dass daraus ein Betrug und ein Skandal mit elf Millionen betroffenen Autos weltweit und bis heute über 20 Milliarden Euro an Strafen und Umrüstungskosten werden würde, war im März 2015 noch nicht abzusehen.

Die Kontrolleure weisen diese Anschuldigungen jetzt scharf zurück. Der Vorstand prüft Schadenersatzansprüche gegen Piëch.

Dann, im April 2015, folgt das mittlerweile legendäre Zitat Piëchs im „Spiegel“: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“ Es beginnt ein beispielloser Machtkampf. Eine Allianz aus Land, Betriebsrat und Wolfgang Porsche stützt am Ende – zur Überraschung vieler – Winterkorn. Piëch erfährt bei einem Zusammentreffen am Flughafen Braunschweig-Waggum, dass er alleine da steht. Er tritt als Aufsichtsratsvorsitzender zurück.

Seitdem ranken sich die Spekulationen über Piëchs Motive. Die gängigste: Piëch wollte seine

19 Jahre jüngere Ehefrau Ursula in einer Art dynastischer Erbfolge als Nachfolgerin an der Spitze des Aufsichtsrats durchsetzen, Winterkorn – im September 2015 über den Abgas-Skandal gestürzt – aber wollte selbst diesen zentralen Posten. Es halten sich aber auch Gerüchte, Piëch sei höchst unzufrieden mit der Entwicklung von Volkswagen in den USA gewesen – vor dem Hintergrund des später bekanntgewordenen Diesel-Skandals.

Aber Genaues weiß man nicht, schriftliche Belege darüber soll es nicht geben. Piëch selbst hat sich seit fast zwei Jahren nicht mehr öffentlich geäußert, Interview-Anfragen sind zwecklos. Sein Anwalt Gerhard Strate, ein gewiefter Profi, vertritt ihn mit Blick auf den Abgas-Skandal. Strate blockt alles ab.

Dennoch zieht Piëch hinter den Kulissen noch Fäden, wie ein „Phantom“. Es wird vermutet, dass „der Alte“ Geschichten über Winterkorn, Weil und Osterloh in den Medien lanciert. Genaues weiß man nicht. Noch nicht. Alles wartet auf den großen Rachefeldzug aus Salzburg.

Noch ist Piëch Miteigentümer der Porsche SE und damit von VW. Diese Machtarchitektur ist wesentlich von ihm gezimmert worden, als Ergebnis des Übernahmekampfes zwischen der Porsche AG und VW.

Einen Posten hat er noch: Er sitzt im Aufsichtsrat der Porsche SE. Aber angeblich drängen ihn Familienmitglieder, auch diesen Posten aufzugeben. War dies der Stein des Anstoßes dafür, dass er nun über den Verkauf seiner milliardenschweren Beteiligung verhandelt?

Das Land Niedersachsen ist wie Piëch Großaktionär bei Volkswagen. Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) äußerte sich am Freitag gelassen über die Verkaufsankündigung bei der Porsche SE: „Für uns ändert sich an den Mehrheitsverhältnissen ja nichts.“ Er gehe davon aus, dass die Familien Piëch und Porsche das unter sich ausmachen werden. Und doch wäre der Verkauf eine Zäsur.

Autoexperte Dudenhöffer rechnet damit, dass Piëch daran gelegen ist, möglichst viel aus dem Verkauf seiner Aktien herauszuholen – ohne Rücksicht auf den Konzern und seine eigene Familie. Der Verkauf biete eine große Chance für industrielle Investoren aus China. „Ich gehe davon aus, dass die Familie den Kaufpreis nicht aufbringen kann und daher fremde Investoren – eben aus China – in das Unternehmen einsteigen. So eine Chance lassen sich Chinesen nicht entgehen. SAIC und FAW müssten schon in Wartestellung sein“, vermutet Dudenhöffer. Mit dieser Einschätzung steht er aber ziemlich alleine da.

Am 17. April wird Piëch 80 Jahre alt. Aus seinem Umfeld ist zu hören, der Ex-VW-Boss verfolge die Entwicklung im Konzern genau. Er sei direkt und geradlinig, aber auch stur und nachtragend. Scheinbar hat es Piëch nicht verwunden, dass er vor fast zwei Jahren als Aufsichtsratschef zurücktreten musste. Dabei ist schon seit längerer Zeit ein Generationswechsel im Gange bei den Familien Porsche und Piëch. Dieser könnte nun wesentlich beschleunigt werden – wenn der Patriarch seine Anteile verkauft und andere Familienmitglieder das Aktienpaket übernehmen können.

Und was bedeutet das für VW? „Für den Konzern könnte der Abgang auch ein positives Signal sein“, meint Bratzel. Schließlich sei das Unternehmen wie die ganze Autobranche in einem radikalen Umbruch zur Elektromobilität und zum autonomen Fahren. Piëch habe von solchen Neuerungen wenig gehalten. Daher sei es gut, wenn jüngere Leute, die mehr Verständnis dafür hätten, an Einfluss gewännen: „Dadurch kommt frisches Blut samt frischen Ideen in die Reihen der Anteilseigner.“