Braunschweig. Die EU versucht, ihre Außengrenzen weitgehend abzudichten – mit bislang mäßigem Erfolg.

Unser Leser Friedrich-W. Schaeper fragt:

Wie will die EU ihre Außengrenzen schützen?

Die Antwort recherchierte Katrin Schiebold

Ein Motorschaden hätte 70 Menschen fast das Leben gekostet – herrenlos trieb das Boot vor der griechischen Halbinsel Peloponnes, als die verzweifelten Menschen an Bord ein Notsignal senden konnten. Die Küstenwache schleppte den klapprigen Kahn zum kleinen Hafen von Velanidia auf der im Osten liegenden Landzunge der Halbinsel. Die Flüchtlinge wollten offenbar von der türkischen Küste nach Italien kommen.

Seit Jahren versuchen die Europäer, den Flüchtlingsstrom in die EU einzudämmen – mit nur mäßigem Erfolg. Die Situation vor der Küste Griechenlands hat sich nach Aussage der EU-Kommission zwar entspannt. „Allerdings haben sich die Fluchtrouten verlagert“, sagt eine Sprecherin der Brüsseler Behörde. Das Augenmerk richtet sich nun auf das zentrale Mittelmeer, wo inzwischen neun von zehn Migranten von Libyen aus in die EU gelangen. Spanien ist dagegen anders als vor mehreren Jahren kein bedeutendes Einfallstor mehr für Migranten und Flüchtlinge nach Europa – was unter anderem daran liegt, dass die spanische Regierung mit Staaten wie Senegal, Mauretanien oder Nigeria Rückführungsabkommen geschlossen hat.

Wie sieht die Lage an den Außengrenzen der Union aus? Was unternimmt die EU, um die Flüchtlingsproblematik in den Griff zu bekommen?

Mehr Einsatzkräfte an Europas Außengrenzen

Fluchtrouten über das Mittelmeer

Um die EU-Grenzen nach außen dichter und nach innen sicherer zu machen, wurde eine neue EU-Agentur für Grenzschutz und Küstenwache ins Leben gerufen, die auf der Grenzschutzagentur Frontex aufbaut. Seit Oktober ist sie am Start, erste Teams sind mittlerweile gebildet. Insgesamt sollen 1500 Einsatzkräfte zur Verfügung stehen, die innerhalb von Tagen an besonders betroffene EU-Grenzen geschickt werden können. Sie sollen die Kollegen in den betroffenen Ländern dabei unterstützen, Flüchtlinge ohne Papiere zu identifizieren, Reisedokumente aus Drittstaaten anzufordern und Unterlagen für die Abschiebung vorzubereiten.

Seit Anfang Februar läuft zum Beispiel eine Operation der EU-Agentur für Grenzschutz und Küstenwache an der griechisch-mazedonischen Grenze. 13 Angestellte der Agentur unterstützen die Griechen bei der Überwachung und der Passkontrolle, das Personal soll noch aufgestockt werden. Überhaupt ist es inzwischen für Menschen auf der Flucht sehr schwierig geworden, über Griechenland und den Balkan in die EU zu gelangen. Das lässt sich in Zahlen messen: Verzeichnete die EU-Agentur Frontex 2015 noch mehr als 880 000 Flüchtlinge über die Griechenland-Route, waren es im vorigen Jahr nur noch 182 500. Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung ist, dass etliche Länder Zäune errichtet und Polizisten und Soldaten an ihren Grenzen postiert haben – etwa Ungarn, Slowenien und Mazedonien. „Die Landgrenzen sind weitgehend dicht“, sagt Karl Kopp, Europareferent bei der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl.

Zum anderen zeigt das EU-Abkommen mit der Türkei Wirkung: Im März vergangenen Jahres hatte die EU mit der türkischen Regierung vereinbart, dass die Türkei alle Migranten wieder aufnimmt, die von ihrem Territorium aus irregulär auf die griechischen Inseln übergesetzt sind und in der EU kein Asyl erhalten. Dafür hat die Union unter anderem drei Milliarden Euro für die Flüchtlinge in der Türkei zugesagt und eine Abschaffung des Visazwangs für türkische Bürger in Aussicht gestellt.

Einem EU-Bericht vom Dezember zufolge kommen trotzdem immer noch mehr Menschen täglich in der EU an, als in die Türkei zurückgebracht wurden. Die EU-Kommission drängt deshalb die griechischen Behörden, die Asylverfahren zu beschleunigen.

Schleppermafia organisiert Schleusungen per Zug oder Lkw

Auch können hohe Grenzschutzzäune und Stacheldrahtwälle nicht verhindern, dass weiterhin Menschen mit allen Mitteln nach Österreich und Deutschland gelangen. Experten der europäischen Polizeibehörde Europol berichten, dass die Schleppermafia in den Balkanländern Schleusungen per Zug oder Lkw organisieren. Um die Mitgliedstaaten zu unterstützen, hat Europol ein neues Europäisches Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung eröffnet.

„Die westliche Balkanroute ist immer noch nicht so geschlossen, wie es nötig wäre“, sagte Österreichs Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil (SPÖ) vor einigen Tagen der „Welt“. Es gebe „immer noch erhebliche Aktivitäten von kriminellen Schleusern und eine signifikante Zahl von Migranten“. Da auf den EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei kein Verlass sei, plane Österreich mit 15 weiteren Ländern entlang der Balkanroute eine neue Grenzschutzoffensive.

Viel problematischer ist die Lage allerdings im zentralen Mittelmeer. Insgesamt erreichten laut Frontex im vergangenen Jahr 181 000 Flüchtlinge die italienische Küste. Schleuser nutzen die Not der Menschen aus, und betreiben ein skrupelloses Geschäft: Während sich 2014 laut Frontex oft noch rund 90 Flüchtlinge auf ein zehn bis zwölf Meter langes Schlauchboot quetschten, waren es im Jahr darauf schon 100 und 2016 sogar durchschnittlich 116 Menschen – die Gefahr, in Seenot zu geraten und zu ertrinken, ist dadurch erheblich gestiegen.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration sind 2016 etwa 4400 Menschen auf der sogenannten zentralen Mittelmeerroute zwischen Nordafrika und Italien ertrunken. 2015 waren es knapp 3000. „Die Schlepperindustrie lebt von der Abschottung“, sagt Kopp von Pro Asyl – „das Geschäft mit der Not läuft besser als je zuvor.“

Um härter gegen Schleuserbanden vorzugehen, hat die EU die Mission „Sophia“ aufgelegt, an der sich 25 europäische Nationen mit durchschnittlich 1200 Soldaten und Zivilpersonal beteiligen – auch die Bundeswehr ist mit Schiffen im Mittelmeer im Einsatz. Seit Juni 2015 konnten bislang aber nur rund 100 Schleuserei-Verdächtige an italienische Polizisten übergeben werden. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf ein Anfrage der Linkspartei hervor. Dafür haben die Soldaten umso mehr Flüchtlinge aus dem Meer gerettet: Allein deutsche Marine-Schiffe brachten laut Bundesregierung bis Mitte Januar 9455 Menschen nach Italien. 22 641 Menschen wurden durch andere Einheiten gerettet – etwa durch Besatzungen, die im Auftrag von Frontex im Mittelmeer unterwegs sind.

Die EU will stärker mit Libyen zusammenarbeiten

Libyen ist das Hauptdurchgangsland für Flüchtlinge aus Afrika auf der Route über das zentrale Mittelmeer nach Europa. Daher will die EU nun stärker mit dem Land zusammenarbeiten, wie die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem informellen Gipfel Anfang des Monats auf Malta beschlossen haben. Der sogenannte Zehn-Punkte-Plan sieht unter anderem vor, die libysche Küstenwache zu unterstützen – mit Geld, Ausrüstung und bei der Ausbildung von Personal, damit sie Schlepperbanden besser das Handwerk legen kann. Damit Flüchtlinge in dem nordafrikanischen Land bleiben können, sollen „sichere und angemessene“ Aufnahmeeinrichtungen aufgebaut werden.

Die internationale Organisation für Migration geht von 700 000 bis zu einer Million Migranten im Land aus, hinzu kommen libysche Bürgerkriegsflüchtlinge. Wie viele von ihnen auch wirklich weiter nach Europa wollen, ist unklar.

Ein Flüchtlingspakt wie mit der Türkei ist allerdings schon deshalb nur schwer umsetzbar, weil die Lage im Land sehr instabil ist. „Libyen kann nicht als sicheres Drittland eingestuft und Flüchtlinge dürfen nicht dorthin zurückgeschickt werden“, sagt Kopp. Die Situation in den Lagern sei haarsträubend: „Dort wird erpresst, misshandelt, gefoltert, vergewaltigt – es kommt sogar zu Hinrichtungen.“

Auch eine engere Zusammenarbeit beim Küstenschutz sei derzeit völlig utopisch, ist der Europaexperte der Menschenrechtsorganisation überzeugt: Die Küstenwache sei zum Teil ins Schlepperwesen verstrickt. „Der Staat ist zerrüttet, die Lage im Land unüberschaubar.“ Tatsächlich kommt Libyen seit dem Sturz von Muammar al-Gaddafi 2011 nicht zur Ruhe; politisch ist das nordafrikanische Land ein Flickenteppich. Zwei Regierungen und mehrere Milizen konkurrieren um die Macht. „Wer mit Libyen einen Deal machen will, verstößt gegen alle Menschenrechts-Grundsätze“, sagt Kopp.

„Die EU verurteilt Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen von Flüchtlingen“, heißt es in einer Erklärung der EU-Außenminister, die sich Anfang Februar in Brüssel getroffen haben. Die libyschen Behörden müssten ihre Bemühungen verdoppeln, um „in Haftzentren für Migranten“ die Einhaltung der Menschenrechte sicherzustellen. Wie das geschehen soll, bleibt allerdings offen.