Braunschweig. Pharmafirmen veröffentlichen selten Misserfolge in der Forschung, nun fordern Ärzte eine gesetzliche Regelung.

Unser Leser Fritz Peter Mann aus Braunschweig fragt:
„Sind die Erkenntnisse, dass die Pharma-Industrie Ergebnisse zurückhält, belegbar und tatsächlich gefährdend für Patienten?“

Die Antwort recherchierte Katrin Teschner

Als 2009 weltweit die Angst vor der Schweinegrippe grassierte, wurde das Medikament Tamiflu ein Kassenschlager. Die Weltgesundheitsorganisation empfahl den Staaten der Erde, die Arznei für den Notfall einzulagern – es würde die Übertragung des Influenza-Virus hemmen und die Symptome bei Kranken lindern. Auch viele Deutsche ließen sich das begehrte Grippemittel verschreiben – für den Fall, dass die Grippe sie auch noch erwischen sollte. Der Pharmahersteller Roche machte Milliardenumsätze.

Doch inzwischen gibt es erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit des Medikaments. Eine Forschergruppe der internationalen Cochrane Collaboration hat Unterlagen zu klinischen Studien ausgewertet. Ergebnisse seien womöglich geschönt, Nebenwirkungen nicht veröffentlicht worden, so ihr Fazit. Dass Tamiflu die Übertragung des Influenza-Virus hemmen und schwere Komplikationen bei Grippepatienten verhindern könne, sei nicht hinreichend belegt. 60 Prozent der Daten über klinische Studien der Phase III seien niemals veröffentlicht worden, berichten die Wissenschaftler. Phase III umfasst die letzten und umfangreichsten Studien vor Zulassung eines Medikaments.

Für Mediziner wie den Braunschweiger Arzt Wolfgang Schneider-Rathert ist der Fall Tamiflu ein Beispiel dafür, wie Ärzte und Patienten in die Irre geführt werden. Klinische Studien sind wichtig; sie sollen belegen, dass ein neues Medikament wirksam ist und mögliche, riskante Nebenwirkungen in der Abwägung zum Nutzen noch vertretbar sind.

Rund 1300 solcher Tests laufen nach Angaben des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (VfA) jährlich in Deutschland, je nach Prüfphase sind gewöhnlich zwischen 10 und 10 000 Teilnehmer dabei. Doch bislang sind Pharmafirmen nicht gesetzlich verpflichtet, Ergebnisse ihrer Studien zu veröffentlichen – sie können negative Resultate schlichtweg unter den Teppich kehren. „Das führt dazu, dass der Nutzen von Medikamenten regelmäßig überschätzt wird“, sagt Schneider-Rathert.

Der Allgemeinmediziner gehört dem Netzwerk „Mezis“ an, die Abkürzung steht für: „Mein Essen zahle ich selbst“. Die unabhängige Ärztevereinigung will sich frei machen von jedwedem Einfluss der Pharmabranche und tritt für mehr Transparenz im Gesundheitswesen ein.

Doch in punkto Arznei-Studien hapert es mit der Transparenz noch gewaltig. Im deutschen Arzneimittelgesetz soll Paragraf 42 b die Veröffentlichung der Ergebnisse klinischer Prüfungen regeln. Allerdings kommt das Wort Veröffentlichung im Gesetzestext nicht vor. Es heißt lediglich, dass Ergebnisse der zuständigen Behörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, zur Verfügung gestellt werden müssen. Dieses halte die Daten aber unter Verschluss, kritisierte zuletzt Gerd Antes vom Deutschen Cochrane-Zentrum in der Pharmazeutischen Zeitung. Noch nicht einmal die Deutschen Ethikkommissionen hätten Zugriff auf die Informationen. Diese „genehmigen also Studien, ohne zu wissen, was bisher an Forschung gemacht wurde“. Es komme daher sogar vor, dass Studien wiederholt würden.

Tatsächlich hat eine vom Universitätsklinikum Freiburg durchgeführte Untersuchung ergeben, dass etwa die Hälfte aller in Deutschland angekündigten Studien nie an die Öffentlichkeit gelangt. Seit 2008 gibt es in Freiburg zwar ein Deutsches Register Klinischer Studien, die Registrierung ist allerdings freiwillig. Inzwischen wurden 1675 Studien dort gemeldet.

In einem Beitrag für das Bundesgesundheitsblatt 2009 weisen Antes und weitere Experten außerdem darauf hin, dass positive Ergebnisse häufiger und schneller publiziert werden als negative. Unliebsame Nebenwirkungen könnten so einfach ignoriert werden. Für den Allgemeinmediziner Wolfgang Schneider-Rathert ein Skandal: „Patienten werden einem unnötigen Risiko ausgesetzt“, sagt er. „Sie dürfen nicht zu Opfern des statistischen Zufalls werden.“

Dabei sieht der Braunschweiger nicht nur die Pharmaindustrie in der Verantwortung, sondern vor allem den Gesetzgeber. „Bislang ist es doch so: Man kann eine Münze so oft werfen, bis endlich Zahl herauskommt“, kritisiert er. „Es werden so viele Studien durchgeführt, dass immer eine herauskommt, die einen Nutzen nahelegt.“

Bereits vor knapp drei Jahren hatte die SPD-Bundestagsfraktion deshalb einen Antrag in den Bundestag eingebracht und gefordert, dass der öffentliche Zugang zu Informationen über klinische Studien umfassend sichergestellt wird. Union und FDP lehnten den Antrag damals ab. Laut der Braunschweiger SPD-Bundestagsabgeordneten Carola Reimann könnte das Thema aber nach der Bundestagswahl im Herbst dieses Jahres wieder auf den Tisch kommen. „Ärzte und Patienten müssen die Möglichkeit haben, sich über die Ergebnisse, aber auch über laufende Studien zu informieren“, sagt sie.

Die Pharmaindustrie hält eine gesetzliche Regelung in Deutschland dagegen nicht für notwendig. Sie verweist auf die europäische Arzneimittelagentur EMA, die Studienergebnisse in einem EU-Register zugänglich machen will – auch wenn die technische Umsetzung noch hakt. Außerdem gebe es eine Selbstverpflichtung der Industrie, sagt VfA-Sprecher Rolf Hömke. Man müsse nur sicherstellen, dass sich die Unternehmen daran halten.

Doch genau das ist das Problem. Was ist, wenn sie es nicht tun?

„Uns ist nicht bekannt, dass es in einem Land Bußgelder oder dergleichen gäbe für nicht rechtzeitige Publikation von Studienergebnissen“, räumt Hömke ein. Wenn aber irgendwann endlich das EU-Register zu einer Ergebnis-Datenbank ausgebaut ist, erledige sich das Thema von allein – „dann ist die Veröffentlichung ja nicht mehr an die Initiative des Unternehmens gebunden“.

Wie sehr der Druck auf die Unternehmen steigt, zeigt wieder das Beispiel des umstrittenen Medikaments Tamiflu: Inzwischen hat der Pharmakonzern Roche angekündigt, Forschern den vollständigen Zugang zu klinischen Studiendaten zu gewähren.

„Roche ist sich des öffentlichen Interesses an der Transparenz von Studiendaten im Zusammenhang mit dem Grippemittel Tamiflu bewusst“, heißt es in einer Pressemitteilung des Unternehmens von Februar. Von 74 Studien seien 71 inzwischen der Öffentlichkeit zugänglich. Die Veröffentlichung der drei Studien, die bislang noch unter Verschluss sind, werde vorbereitet.

Wann diese aber tatsächlich eingesehen werden können, ist nach wie vor unklar.

Petition

Auf der Webseite alltrials.net läuft eine Petition für mehr Transparenz im Umgang mit medizinischen Studien. Auch das für die Arzneimittelbewertung in Deutschland zuständige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen unterstützt die Petition. Die deutsche Übersetzung finden Sie unter: www.alltrials.net/home/german-translation