Braunschweig. Bei uns gelten ab Samstag leicht veränderte Übergangsregeln. Stadien werden wieder voll. Und die Landesregierung schimpft auf die Berliner „Ampel“.

Die Infektionszahlen steigen, da werden die Regeln gelockert… Nein, die immer schon komplizierte Corona-Debatte ist in diesen Tagen nicht eben einfacher geworden. Doch es ist so: Der Bund ändert das Infektionsschutzgesetz, die Länder fügen sich, der Flickenteppich wird wieder ausgerollt. Die Alternative zu dem Kompromiss, so sagte es Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gestern Abend nach der Ministerpräsidentenkonferenz, hätte bedeutet, ganz ohne gesetzliche Grundlage für Maßnahmen dazustehen. Was Wunder, dass es Gesundheitsausschuss des Landtages am Donnerstag beinahe richtig Knatsch gab – obwohl die Beteiligten in Berlin doch zusammen „ampeln“.

Fragen und Antworten zur aktuellen Pandemie-Lage aus niedersächsischer Perspektive.

Warum wird überhaupt gelockert?

Eigentlich sollte der 20. März der „Tag der Freiheit“ sein. Die Idee des Auslaufens der bundesweit geltenden Maßnahmen war allerdings, dass der Scheitelpunkt der Omikronwelle schon längst hinter uns liegen würde. Nun können die Bundesländer, die jetzt wieder am Zug sind, die bislang gültigen Regeln größtenteils weiterlaufen lassen – aber nur zwei Wochen lang. Richtig spannend dürften jetzt also landespolitisch und gesundheitspolitisch die Beratungen über die dann im April geltenden Regeln werden.

Weshalb gab es Knatsch im Gesundheitsausschuss?

Während Grüne und FDP in Berlin mitregieren, sind sie in Niedersachsen in der Opposition. Derlei spielt bei der Beurteilung der Corona-Politik eine Rolle. Die Grünen in Niedersachsen sehen die von den Bundesgrünen – zum Teil widerwillig - mitgetragene Entscheidung, die bundesweit geltenden Regeln trotz des dynamischen Infektionsgeschehens auslaufen zu lassen, äußerst kritisch. Die grüne Fraktionsvorsitzende in Hannover, Julia Willie Hamburg, meinte, das Handeln der FDP in der Ampel-Koalition grenze an Realitätsverweigerung. Die FDP argumentierte hingegen, bei einer veränderten Pandemielage müsse es auch veränderte Regeln geben. Gefragt sei nun mehr Eigenverantwortung. „Viele wollen nicht mehr und können nicht mehr, die Menschen wollen ein Licht sehen am Ende des Tunnels“, sagte die FDP-Gesundheitspolitikerin Susanne Schütz unserer Zeitung zur Stimmung der Leute in Bezug auf Anti-Corona-Maßnahmen. „Unterirdisch“ fand die FDP-Abgeordnete, dass die grüne Gesundheitspolitikerin Meta Janssen-Kucz im Gesundheitsausschuss andeutete, nur dem Krieg in der Ukraine verdanke es die FDP, mit dieser Linie überhaupt durchgekommen zu sein. Das hatte empörte Reaktionen aus der FDP zur Folge – war laut Meta Janssen-Kucz aber gar nicht so polemisch gemeint. „Ich wollte darauf hinaus, dass die Corona-Politik in anderen Zeiten sicher eine Frage für den Koalitionsausschuss gewesen wäre“, sagte sie am Donnerstag nach der Sitzung unserer Zeitung.

Und was sagt die Landesregierung?

Die rot-schwarze Landesregierung macht keinen Hehl aus ihrer Unzufriedenheit mit den bundespolitischen Vorgaben. Am Donnerstagabend ließ Stephan Weil einen nachgerade bitter klingenden Satz mitteilen: „Wenn der Bund den Ländern nicht mehr die notwendigen Instrumente an die Hand gibt, bedeutet das, dass der Bund dann auch die Verantwortung für die weitere Pandemieentwicklung trägt.“

Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) hatte schon am Mittwoch darauf hingewiesen, der Berliner Beschluss komme zu früh. Auch nahm Althusmsann Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aufs Korn: Es sei „schon merkwürdig, dass der Bundesgesundheitsminister die Länder auffordert, die Übergangsfrist für die geltenden Verordnungen bis zum 2. April zu nutzen, statt selber darüber nachzudenken, den aktuellen Zustand des Infektionsschutzgesetzes zu verlängern“. Man habe in Berlin wohl den Überblick verloren, so Althusmann.

Der Vorsitzende des Corona-Krisenstabs, Heiger Scholz, sagte am Donnerstag beinahe trotzig, man werde versuchen, das, was „an rudimentären Maßnahmen noch zulässig sein wird“, zu nutzen. Scholz bedauert, dass der Bund infektionsschutzpolitisch „die wesentlichen Werkzeuge nicht etwa nur in den Schrank legt, sondern wegschmeißt“. Zwar sieht der Bundesentwurf vor, dass die Länder für einzelne Hotspots auch weitergehende Beschränkungen beschließen könnten. Derzeit allerdings sind die Corona-Infektionszahlen und die Zahl der Krankenhausaufnahmen von Infizierten landesweit so hoch wie nie. Deshalb weist Claudia Schröder, Scholz’ Stellvertreterin im Krisenstab, darauf hin, dass die Hotspot-Regel zur Not sogar auf das gesamte Bundesland angewendet werden könnte, wenn eine gefährlichere Virusvariante auftrete oder eine Überlastung der Krankenhäuser drohe.

Aber wie sind bis dahin die Regeln in Niedersachsen?

Viele, doch nicht alle Auflagen werden verlängert. Die Corona-Testpflicht für betreute Kinder ab drei Jahren soll weiterhin gelten. Auch sind weiter drei verpflichtende Tests pro Woche an Schulen angesagt. Wie geplant entfallen soll indes am Montag die Maskenpflicht für Grundschüler während des Unterrichts. Neu ist auch, dass Fußballspiele und andere Großveranstaltungen ab Samstag wieder ohne Begrenzung der Teilnehmerzahl stattfinden können. Auch sind Veranstaltungen unter freiem Himmel künftig ohne Mindestabstände oder Maskenpflicht möglich. Bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen müssen dagegen FFP2-Masken getragen werden, ab 2000 Teilnehmern gelten drinnen zudem Abstandsvorgaben. Veranstaltungen mit maximal 2000 Zuschauern sollen nach der 3G-Regel möglich sein – dort reicht also auch ein negativer Corona-Test aus. Mit der Lockerung der Maskenpflicht in Clubs und Diskotheken setzt das Land einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg um. Weiter gilt die FFP2-Maskenpflicht in Geschäften.

Wie sind die Zahlen im Land?

Die Infektionszahlen in Niedersachsen steigen rasant an. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag am Donnerstag laut RKI bei 1540,4. Insgesamt wurden landesweit 25.632 Neuinfektionen registriert, 20 weitere Menschen starben.

Corona Inzidenz Niedersachsen
Corona Inzidenz Niedersachsen © Jürgen Runo | Jürgen Runo

Die Gesamtzahl der Covid-19-Todesfälle in Niedersachsen stieg damit auf 7764. Auch die Belastung der Krankenhäuser nimmt zu. Der Hospitalisierungswert stieg auf 14,3. Dieser Wert gibt an, wie viele Menschen in sieben Tagen je 100.000 Einwohner mit Covid-19 aufgenommen wurden. Die Auslastung der Intensivbetten mit Covid-Patienten stieg leicht an.

Und was ist eigentlich mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht?

Seit Mittwoch gilt die Impfpflicht für Arbeitnehmer in Pflegeberufen. Bis Dienstag hatten sie Zeit, Impf- oder Genesenennachweise vorzulegen – oder ein Attest, dass sie nicht geimpft werden können. Ungeimpften im Gesundheitssektor können nun Konsequenzen drohen. Die Gesundheitsämter dürfen Bußgelder, Tätigkeits- und Betretungsverbote verhängen. Stichprobenartige Nachfragen in unserer Region ergaben, dass wenige dies zu befürchten haben. In einigen Einrichtungen war „von drei oder vier“ impfunwilligen Pflegekräften die Rede. Bei der Arbeiterwohlfahrt im Bezirk sind von 836 Pflegekräften in 11 Wohn- und Pflegeheimen 19 Mitarbeiter ungeimpft. Verdi-Bezirksgeschäftsführer Sebastian Wertmüller teilt auf Anfrage mit, „nur sehr vereinzelt“ seien ihm hartnäckige Verweigerinnen und Verweigerer untergekommen. Das „eigentliche Problem“ seien derzeit nicht die Impfunwilligen, sondern hohe Krankenstände bzw. Abwesenheiten wegen Quarantäne, vor allem in Anbetracht der „völlig unzureichenden Personaldecke“ im Pflegesektor.

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