Braunschweig. Das Milliarden-Bußgeld für VW könnte auf die Kommunen in der Region zurückfallen – ihnen drohen hohe Steuerausfälle.

Zur Milliarden-Strafe gegen VW ist nur zu sagen, dass wieder einmal auch die Kommunen bedacht werden sollen, die nicht in der Lage sind, mit ihren Steuereinnahmen vernünftig zu arbeiten.

Das bemerkt unser Leser, der sich Brunswieker nennt, auf unseren Internetseiten.

Zum Thema recherchierte
Andre Dolle

Das Milliarden-Bußgeld, das die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen Volkswagen verhängt hat, offenbart die Schwächen des deutschen Steuersystems. Da erhält das Land Niedersachsen eine Milliarde Euro, die Gekniffenen sind aber allen voran die Städte, in denen VW Gewerbesteuer zahlt. Denn Volkswagen hat ganz offensichtlich die Möglichkeit, sich das Geld über die Steuererklärung wieder zurückzuholen.

Unser Leser hat also nicht ganz Recht. Die Kommunen werden nicht mit dem Geld bedacht, sie zahlen am Ende womöglich sogar noch drauf. Das gilt für alle Städte, in denen VW Standorte hat, also auch für Wolfsburg, Braunschweig und Salzgitter.

Zu den Geschädigten zählen auch die Nettozahler beim Länderfinanzausgleich. Ländern wie Bayern oder Baden-Württemberg dürfte nur schwer zu vermitteln sein, dass Niedersachsen das Geld einstreicht, sie aber über den Finanzausgleich wegen der Mindereinnahmen bei der Körperschaftsteuer herangezogen werden.

Die Summe ist in beiden Fällen beträchtlich. Laut Schätzung des Finanzministeriums in Niedersachsen könnte die Volkswagen AG über die Körperschaftssteuer etwa 150 Millionen Euro zurückfordern, über die Gewerbesteuer sind es nur zehn Millionen Euro weniger. Hier hängt die genaue Zahl am Ende von den Hebesätzen in den Kommunen ab. Dass VW dies macht, davon ist auszugehen. Es handelt sich schließlich um mehrere Hundert Millionen Euro. Wie sollte der Konzern seinen Aktionären erklären, dass er das Geld zwar zurückfordern könnte, dies aber dennoch nicht macht?

Wie viel Steuern VW an den Standorten in Deutschland zahlt, ist ein gut gehütetes Geheimnis. In Braunschweig etwa wissen nur Oberbürgermeister Ulrich Markurth, Finanzdezernent Christian Geiger und wenige auserwählte Verwaltungs-Mitarbeiter, was VW genau an Steuern zahlt. Noch nicht einmal die Fachpolitiker im Finanzausschuss des Rates der Stadt Braunschweig werden informiert. Es gilt das Steuergeheimnis.

Die Prognose für die Gewerbesteuer in Braunschweig liegt für 2018 bei 174 Millionen Euro. Diese Zahl wird die Stadt um etwa 20 Millionen Euro nach unten korrigieren müssen, wie unsere Zeitung erfuhr. Bei etwa 800 Millionen im Gesamthaushalt ist das schon ein ordentlicher Batzen. Der Grund: Volkswagen. Die gesamtwirtschaftliche Lage ist blendend. Auch VW legt trotz des Abgas-Skandals einen Rekord nach dem anderen hin. Dass es dennoch nur an VW liegen kann, erzählt ein Kommunalpolitiker hinter vorgehaltener Hand.

Wahrscheinlich berechnet der Konzern Rückstellungen, die er wegen Dieselgate in den vergangenen Jahren machen musste. Es ist bei der Gewerbesteuer nicht unüblich, dass Beträge aus Betriebsprüfungen zurückliegender Wirtschaftsjahre nachverrechnet werden. Das macht die Planung für viele Kommunen so schwer – besonders, wenn sie von einzelnen großen Steuerzahlern wie VW abhängig sind.

Ungewöhnlich deutlich sagen Markurth und sein Wolfsburger Amtskollege Klaus Mohrs (beide SPD) in einer gemeinsamen Erklärung: „Die VW-Standorte leiden bereits deutlich unter geringeren Gewerbesteuereinnahmen. Schon jetzt können wir unsere Haushalte zum großen Teil nicht mehr ausgleichen.“ Dass unsere Region am Tropf von VW hängt, kann von Vorteil sein – wenn die Steuereinnahmen sprudeln.

Nun müssen Wolfsburg, Braunschweig und auch das klamme Salzgitter offenbar auch noch dafür geradestehen, dass VW sich einen Teil der Bußgeld-Milliarde über die Steuer zurückholen kann. Im Finanzministerium in Niedersachsen hat man zumindest noch nicht über mögliche Kompensationszahlungen nachgedacht. Die drei Städte fordern dies jetzt ganz vehement.

Dem wird sich das Land kaum verweigern können. Schließlich ist Finanzminister Reinhold Hilbers die Bußgeld-Milliarde in den Schoß gefallen. Dass dafür jetzt die VW-Standorte bluten müssen, ist kaum zu vermitteln.

Besonders Wolfsburg als Konzernsitz würde leiden müssen. Auch Braunschweig mit dem VW-Werk und dem Sitz von VW Financial Services wäre stark betroffen. Denn grundsätzlich gilt bei der Gewerbesteuer von VW: Sie wird zerlegt und auf die Kommunen verteilt, die Standorte von VW-Fabriken oder -Töchtern wie die Financial Services AG sind. Die Höhe der Gewerbesteuer, die die Kommune dann erhält, ist abhängig davon, wie groß der Anteil der Löhne und Gehälter des Standorts an der Gesamtsumme der Löhne und Gehälter ist, die das Unternehmen in Deutschland zahlt. Dabei kommt es zwar auch, aber nicht allein auf die Kopfzahl in den einzelnen Standorten an. Oft profitiert vor allem der Stammsitz eines Unternehmens. Grund: Dort sitzen Vorstand und Entscheidungsträger, entsprechend hoch sind die Vergütungen und entsprechend hoch ist die Gewerbesteuer, die das Unternehmen anteilig dort zahlt.

Lange Jahre galt Wolfsburg auch deshalb als der absolute Krösus unter den Städten und Gemeinden in Niedersachsen. 2014 nahm die Stadt alleine über die Gewerbesteuer mehr als 300 Millionen Euro ein. Ein Jahr später kam der Abgas-Skandal – und VW drosselte die Gewerbesteuer. Die Stadt Wolfsburg hatte 2015 nur noch etwa 175 Millionen Einnahmen aus der Gewerbesteuer.

Das wirkte sich auch auf den kommunalen Finanzausgleich in Niedersachsen aus. Wolfsburg war lange Jahre der mit Abstand größte Nettozahler. Noch 2014 zahlte die Stadt pro Einwohner 320 Euro in den Finanzausgleich ein. Städte wie Wilhelmshaven, Delmenhorst und auch Salzgitter profitierten. Ein Jahr später zahlte Wolfsburg noch 263 Euro pro Einwohner, 2016 nur noch etwa 55 Euro. Damit war Wolfsburg aber immer noch der größte Nettozahler.

Wie stark abhängig Kommunen von der Gewerbesteuer sein können und wie schwer Städte mit diesen Einnahmen planen können, zeigt das Beispiel Salzgitters. Mit der Salzgitter AG, VW, Alstom, Bosch und MAN sind hier gleich fünf große Konzerne mit ihren Werken ansässig. Die Einnahmen schwanken stark. Die Kommunen können diese Quelle kaum beeinflussen. Zwischen 2003 und 2017 schwankten die Einnahmen Salzgitters zwischen 22 Millionen und 128 Millionen Euro.