Osterode. Ali Abo-Hamoud, der 2015 als Geflüchteter aus Syrien nach Deutschland kam, spricht in einem Gastbeitrag über das Privileg des Wahlrechts.

2011 war ich 16 Jahre alt. Ich ging auf den Straßen Syriens mit vielen anderen Menschen verschiedener Generationen demonstrieren. Wir wollten mehr Freiheit und Demokratie und riskierten dafür unser Leben. Ich träumte von freien und fairen Wahlen. Ich sah damals zum Beispiel bei CNN und DW, wie die Menschen im Westen ihre Meinung frei äußern und frei wählen durften. Das tat mir damals sehr weh, weil ich in Syrien nicht in den Genuss dieser Rechte kommen konnte.

Im Dezember 2015 kam ich als Geflüchteter nach Deutschland. Ich hatte eine große Motivation, die deutsche Sprache so schnell wie möglich zu lernen. Der Hauptgrund für diese Motivation war, die Demokratie und das politische Leben in Deutschland verstehen zu wollen. Mit der Zeit verstand ich immer mehr die Politik hier. Das führte dazu, dass ich mich entschied, mich aktiv in die Politik in Deutschland einzubringen.

„Ich ging auf den Straßen Syriens mit vielen anderen Menschen verschiedener Generationen demonstrieren. Wir wollten mehr Freiheit und Demokratie und riskierten dafür unser Leben“, sagt Ali Abo-Hamoud, Lokalpolitiker, über seine Zeit in Syrien und das Privileg des Wahlrechts in Deutschland.
„Ich ging auf den Straßen Syriens mit vielen anderen Menschen verschiedener Generationen demonstrieren. Wir wollten mehr Freiheit und Demokratie und riskierten dafür unser Leben“, sagt Ali Abo-Hamoud, Lokalpolitiker, über seine Zeit in Syrien und das Privileg des Wahlrechts in Deutschland. © HK-Archiv | FDP

Niedrige Wahlbeteiligung bereitet Sorgen

Die sehr niedrige Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen in Niedersachsen im Oktober und der Stimmenanteil der AfD machen mir sehr viele Sorgen und Angst! Vor den Wahlen durfte ich viele Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürgern in meinem Wahlkreis führen. Ich sah und verstand in diesen vielen Gesprächen, dass viele Bürgerinnen und Bürgern aufgrund ihrer Sorgen, der vielen Krisen und in vielen Fällen der Fehlentscheidungen der Politik, ihr Vertrauen in die deutsche Politik verloren haben. Ich bemerkte die Wut in den Augen dieser Bürgerinnen und Bürger.

„Es wird sich eh nichts ändern, deswegen will ich nicht mehr wählen gehen“ oder „Ich finde die AfD nicht gut und von dieser bin ich auch nicht überzeugt, aber ich werde trotzdem den Alternativen meine Stimme aus Protest geben“.

Demokratie ist nicht selbstverständlich

Solche Aussagen hörte ich immer wieder an Infoständen und bei Wahlkampfveranstaltungen. Das ist erschreckend, meine Damen und Herren. Ich denke häufig daran. Insbesondere seit der Wahl am 9. Oktober. Viele Mitbürgerinnen und Mitbürger halten es für selbstverständlich, dass man frei wählen und die Politik in diesem Land mitbestimmen darf. Aber nein, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, das ist nicht selbstverständlich. Werfen Sie einen kurzen Blick auf andere Länder auf dieser Welt und Sie werden danach direkt merken, welches Privileg wir in Deutschland haben. Es ist wunderschön, dass es in Deutschland zur Normalität geworden ist frei wählen zu können, aber diese Normalität muss weiterhin hochgeschätzt werden. Demokratie ist nicht selbstverständlich.

Verantwortungsvoll wählen zu gehen muss die Antwort auf die falsche Politik in diesem Land sein. Es mag sein, dass keine Partei Ihre Ansichten und Meinungen komplett vertritt, aber es gibt bestimmt wenigstens eine demokratische Partei in diesem Land, die einen großen Teil sowohl Ihrer Werte als auch Ihrer Meinungen vertritt.

Die Krisenzeiten sind die besten Zeiten für die Populisten. Diese sind laut und arbeiten meist mit emotionalen und nicht sachlichen Argumenten in der Politik. Schützen Sie unsere Demokratie, indem Sie Ihr Wahlrecht nach dem besten Wissen und Gewissen nutzen und dieses immer hoch schätzen!