Osterode. Kriminalstatistik 2020 zeigt unerwartete Entwicklungen beim Straftatenaufkommen und einen erneut überdurchschnittlichen Aufklärungserfolg.

„Im vergangenen Jahr wich die Kriminalitätsentwicklung im Bereich des Polizeikommissariats Osterode, zu dem auch die Stadt Herzberg sowie die Gemeinden Hattorf und Bad Grund gehören, weitestgehend von den landesweiten Trends ab“, bilanziert Osterodes Polizeichef Heiko Fette die polizeiliche Kriminalstatistik 2020. „Aufgrund des Ausmaßes und der Intensität der Corona-Krise ist das Jahr 2020 zwar kaum mit den Maßstäben der Vorjahre zu bewerten. Dennoch hatte ich vor dem Hintergrund der Pandemie mit einer anderen Entwicklung des Kriminalitätsgeschehens in unserer Region gerechnet.“

Die zur Verhinderung der Ausbreitung der Corona-Pandemie ergriffenen Maßnahmen haben im vergangenen Jahr ein öffentliches Leben über lange Zeiträume kaum noch zugelassen: geschlossene Geschäfte, Gaststätten und Restaurants, abgesagte Feste, Feiern und Veranstaltungen, keine Urlaubsreisen oder Kurztrips. Man hätte daher erwarten können, dass sich dadurch die Gelegenheiten für die Begehung von Straftaten spürbar reduziert hätten. Doch bereits im Sommer war zu erkennen, dass sich der Lockdown im Frühjahr kaum auf das Arbeitsaufkommen der örtlichen Polizei ausgewirkt hatte, sodass es zum Jahresende wenig überraschte, dass die Fallzahlen in fast allen Deliktsbereichen gestiegen waren. „Leider ist auch der von vielen erwartete Anstieg der Gewalt im häuslichen und familiären Bereich nach anfänglichen positiven Entwicklungen in der zweiten Jahreshälfte leider noch eingetreten“, so Fette.

Zweitniedrigste Zahl an Straftaten

Nachdem die Fallzahlen im Zuständigkeitsbereich des Polizeikommissariats Osterode 2019 um 16 Prozent unerwartet stark zurückgegangen waren, während landesweit die Fallzahlen stagnierten, war in 2020 mit 172 Straftaten eine Zunahme um acht Prozent zu verzeichnen. Diese Zunahme verteilt sich auf alle Bereiche, mit Ausnahme der Betrugsdelikte.

Insgesamt 2.273 Delikte bedeuten die zweitniedrigste Gesamtzahl von Straftaten, die jemals im Zuständigkeitsbereich des Polizeikommissariats Osterode registriert worden ist. „Der Fallzahlenanstieg gegenüber dem Vorjahr mag zunächst überraschen. Mit Blick auf die langjährige Kriminalitätsentwicklung liegt die Gesamtzahl der Straftaten 2020 jedoch voll im positiven Abwärtstrend“, erläutert Kommissariatsleiter Heiko Fette.

Die Aufklärungsquote lag mit 69,07 Prozent rund vier Prozentpunkte über dem Durchschnitt im Landkreis Göttingen und rund fünf Prozentpunkte über dem Landesdurchschnitt.

„Pandemiebedingt mussten wir interne Abläufe und gewohnte Verfahrensweisen völlig neu strukturieren. Die Beachtung von Hygiene- und Abstandsregeln erhöhten die Aufwände für Eingriffs- und Ermittlungshandlungen deutlich. Vor diesem Hintergrund ist es umso beachtlicher, dass wir erneut weit über zwei Drittel aller Straftaten aufgeklärt haben“, unterstreicht der Leiter des Kriminal- und Ermittlungsdienstes Maik Knappe die Leistung seiner Mitarbeiter.

Im Bereich des Polizeikommissariats Osterode sind im Berichtsjahr 15 Wohnungseinbrüche mehr als im Vorjahr angezeigt worden. Mit insgesamt 39 Delikten haben sich jedoch – mit Ausnahme von 2019 – nie zuvor weniger Einbrüche ereignet als im Jahr 2020. „Der vergleichsweise starke Anstieg von Einbrüchen ist einer hohen Anzahl von Einbrüchen geschuldet, bei denen Personen aus dem nachbarschaftlichen oder gar persönlichen Umfeld der Geschädigten als Tatverdächtige in Frage kommen“, erläutert Kriminalhauptkommissar Knappe. „Professionell begangene Einbrüche, wie z.B. zwei Tageswohnungseinbrüche im November in Wulften, kann man tatsächlich an einer Hand abzählen“, so Knappe weiter. Insgesamt lässt sich ein deutlicher Trend hin zu Tageswohnungseinbrüchen feststellen. Da Bewohner aufgrund der Kontaktbeschränkungen abends und nachts überwiegend zu Hause sind, nutzen Täter tagsüber die berufs- oder einkaufsbedingten Abwesenheiten. Die Zahl der Tageswohnungseinbrüche hat sich von sechs auf 18 verdreifacht. Über ein Drittel aller Einbrüche bleibt im Versuchsstadium.

Kriminalstatistik 2020- Mehr Fälle in fast allen Bereichen

Folgende Ergebnisse der Kriminalstatistik für das Jahr 2020 sind besonders hervorzuheben:

Die Gesamtzahl der registrierten Straftaten ist erstmals seit fünf Jahren wieder gestiegen – um acht Prozent im Vergleich zum historischen Tiefststand in 2019.

Zugleich ist mit 2.273 Taten der zweitniedrigste Jahreswert überhaupt erreicht worden.

Die Gesamtaufklärungsquote liegt mit über 69 Prozent weiterhin auf hohem Niveau, deutlich über dem Landesschnitt.

In fast allen Deliktsbereichen ist ein – wenn auch oftmals nur geringer – Fallzahlenanstieg zu verzeichnen. Dies gilt auch für den Wohnungseinbruch – entgegen aller auf Landkreis und Landesebene festzustellenden Trends.

Lediglich Betrugsdelikte stagnieren überraschenderweise und entgegen überregionaler Trends auf dem „Vor-Corona-Niveau“.

In Zeiten von Lockdowns, Kurzarbeit und Home-Schooling sind auch die Gewaltdelikte im häuslichen Bereich erneut angestiegen.

Die Betäubungsmittelkriminalität hat auch 2020 weiter zugenommen.

Widerstandshandlungen gegenüber Polizeibeamten waren wieder vermehrt zu verzeichnen.

Kinder und Jugendliche haben so selten wie nie Straftaten begangen.

Die Bekämpfung des Wohnungseinbruchs, der einen der gravierendsten Eingriffe in die Privatsphäre darstellt, bleibt ein Schwerpunkt der Arbeit der Polizei. „Auch wenn die Taten im Vergleich zu 2017 um über 50 Prozent zurückgegangen sind, werden regelmäßige Kontrollen und, sobald es die Situation wieder zulässt, Beratungen zu technischen Sicherungsmöglichkeiten von Wohnungen und Wohngebäuden unvermindert fortgesetzt“, kündigt der Dienststellenleiter an.

In den letzten Jahren war ein deutlicher Trend hin zu Betrugsdelikten festzustellen. Der zunehmende Online-Handel sowie die Verbreitung digitaler Kommunikations- und Bezahlformen förderten diese Entwicklung spürbar. „Dass während der Corona-Pandemie der Internet-Handel quasi explodiert ist, ließ einen weiteren starken Anstieg der Betrugsdelikte erwarten. Stattdessen stagnierten die Fallzahlen exakt auf dem Niveau des ,Vor-Corona-Jahres’ 2019“, stellt Heiko Fette mit einiger Überraschung fest.

Ein Trend ist jedoch ungebrochen: Betrüger versuchen immer häufiger, an das Geld älterer Menschen zu gelangen. 2019 waren rund 50 Taten zu verzeichnen, 2020 waren es fast 70. Glücklicherweise blieb es in beinahe allen Fällen beim Versuch. Dies ist der mittlerweile hohen Sensibilität der potenziellen Opfer zu verdanken, manchmal aber auch der Aufmerksamkeit von Bankmitarbeitern – kurz bevor es zur Geldauszahlung oder -überweisung gekommen wäre. Wenn die Tat dann doch vollendet wird, geht der Schaden oftmals in die Zehntausende. In einem der drei vollendeten Betrugsdelikte zum Nachteil älterer Menschen lag der Schaden sogar bei mehr als 200.000 Euro.

Betrüger wollen an Geld von Senioren

„Seien Sie bitte skeptisch bei Telefonaten mit vermeintlichen Verwandten, Banken oder offiziellen Stellen, bei denen um Geld oder persönliche Daten gebeten wird. Geben Sie niemals Passwörter, Zugangsdaten oder persönliche Informationen preis. Übergeben Sie niemals Geld oder Wertsachen an Unbekannte. Informieren Sie bei Zweifeln die Polizei“, so der eindringliche Rat von Volker Hahn, Sachbearbeiter für Prävention. „Die Täter agieren überwiegend aus dem Ausland heraus. Sie sind zumeist hoch organisiert, gezielt geschult, redegewandt und verfügen über eine hohe Überzeugungskraft.“ Osterodes Polizeichef ergänzt: „Wir hoffen, dass wir unsere Aufklärungsarbeit bald wieder im persönlichen Kontakt intensivieren können.“

Die bekannt gewordenen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sind noch einmal deutlich gestiegen: um ein Drittel auf 227 Taten. Dabei machten Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis und Amphetamin rund 85 Prozent aller allgemeinen Verstöße und 93 Prozent aller Handelsdelikte aus. Eine wesentliche Ursache dafür liegt in der hohen Verfügbarkeit der Drogen, die durch Beschaffungswege über das Internet begünstigt wird. Gerade die Entwicklung beim Cannabis ist bedenklich, da sich sein Wirkstoffgehalt (THC) in den letzten Jahren durchschnittlich verdoppelt hat. „Hier kann man nicht mehr von ,weichen’ Drogen sprechen. Die negativen Folgen für Körper und Psyche sind unabsehbar. Die Beeinträchtigung von Leistungen in Schule, Ausbildung und Beruf sowie der Verlust der Verkehrstauglichkeit sind nur einige der sichtbaren konsumbedingten Folgen“, so der Leiter des Ermittlungsdienstes Maik Knappe.

Die Gewaltdelikte im häuslichen Bereich sind um fünf Fälle auf 102 gestiegen.
Die Gewaltdelikte im häuslichen Bereich sind um fünf Fälle auf 102 gestiegen. © dpa (Symbol) | Maurizio Gambarini

Die Gewaltdelikte im häuslichen Bereich sind im vergangenen Jahr um fünf Fälle auf 102 gestiegen. Das entspricht einer Steigerung des hohen Vorjahreswertes um weitere fünf Prozent. „Zum Halbjahr hatte sich dieser negative Trend noch nicht abgezeichnet. Mit fortschreitender Dauer von Lockdown, Kurzarbeit und Home-Schooling ist es zum Jahresende hin leider doch zu einem stärkeren Anstieg von Gewalt und Aggression im häuslichen Bereich gekommen“, stellt Heiko Fette fest. Die Fallzahlen liegen zum zweiten Mal in Folge über dem langjährigen Mittelwert von 86 Taten. Vier von fünf Opfern sind weiblich. In nahezu allen Fällen handelt es sich bei der ausgeübten Gewalt um Körperverletzungen. „An die Opfer häuslicher Gewalt kann ich nur appellieren, sich frühzeitig, bereits beim ersten Vorfall an die Polizei zu wenden. Mit wirksamen Maßnahmen, die wir gemeinsam mit unseren Netzwerkpartnern ergreifen, gelingt es uns regelmäßig, die Spirale der Gewalt rechtzeitig und nachhaltig zu beenden“, so Osterodes Polizeichef. Vorrangiges Ziel des polizeilichen Einschreitens ist neben der Strafverfolgung der Schutz der Opfer vor weiteren Gewalterfahrungen. Das Gewaltschutzgesetz und das Niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG) geben der Polizei wirksame Befugnisse an die Hand, um den überwiegend männlichen Tätern die Grenzen und Konsequenzen ihres Handelns aufzuzeigen.

Die Verletzung einer Osteroder Polizeibeamtin bei Ausschreitungen in einem Wohnkomplex an der Groner Landstraße in Göttingen im Juni 2020 steht exemplarisch für ein Phänomen, das zunehmend festzustellen ist: Polizeibeamte sind bei der Durchführung ihrer Maßnahmen immer häufiger Aggressionen ausgesetzt. Mit 17 Fällen ist im Bereich des Polizeikommissariats Osterode 2020 ein neuer Höchstwert beim Widerstand gegen Polizeibeamte erreicht worden. Die Tätlichkeiten reichen von Bedrohungen und Beleidigungen über das Werfen von Gegenständen bis hin zu Treten, Beißen und Schlagen. „Ich bin überzeugt davon, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier den größten Spagat zwischen Aufgabenerfüllung und Infektionsschutz leisten müssen“, erklärt Fette. Seit 2019 steht der Polizei mit den „Bodycams“ zudem ein Einsatzmittel zur Verfügung, das auch die beweissichere Überführung der Täter erheblich erleichtert.

Mit einem Anteil von 7,5 Prozent an der Gesamtzahl aller ermittelten Täter sind Minderjährige in 2020 so selten wie nie als Tatverdächtige in Erscheinung getreten. Diese positive Entwicklung ist landesweit festzustellen. Bei minderjährigen Tatverdächtigen überwiegen nach wie vor leichte Körperverletzungen, Ladendiebstähle, Cybercrime und Verstöße mit Cannabis-Produkten.

Der polizeiliche Alltag ist – wie so viele andere Bereiche auch – stark geprägt von der unberechenbaren Entwicklung des Pandemie-Geschehens. Abläufe, Ermittlungs- und Interventionshandlungen, die Präventionsarbeit sowie der Kontakt zu Bürgern und Netzwerkpartnern müssen stets mit einer hohen Dynamik angepasst werden. „Dass uns dies trotz allem gelungen ist und dass wir zudem auf eine erfolgreiche Ermittlungsarbeit zurückblicken können, ist der Flexibilität und Professionalität der Bediensteten in Osterode, Herzberg, Hattorf und Bad Grund zu verdanken. Aber auch den Bürgern danke ich für ihr Verständnis und für ihre Unterstützung, indem sie beispielsweise verstärkt der Bitte gefolgt sind, die Onlinewache für die Mitteilung von Hinweisen und Anliegen oder zur Anzeigenerstattung zu nutzen. Das war ein wichtiger Beitrag zur Reduzierung des Infektionsrisikos“, betont Heiko Fette zum Abschluss seiner Bilanzierung. kic