Herzberg. Die Situation um den Juessee und die Sieber erhitzt weiterhin die Gemüter. Über den aktuellen Stand informieren mehrere Involvierte

Wut, Ärger und Unverständnis: Der Juessee steht seit Tagen im Fokus vieler Bürgerinnen und Bürger, der Stadt Herzberg und der Wasserämter. Der Grund: Übelriechendes und schaumiges Wasser wird von der Sieber konstant in den Badesee geleitet. Die Ursache liegt bei Problemen an der Kläranlage der Firma Kappa. Eine Gefährdung durch Giftstoffe gibt es laut dem Landkreis Göttingen nicht. Die Firma will bereits auf das Problem reagiert haben. Trotzdem übt der BUND Kritik. Das sagen die beteiligten Parteien zum Thema:

Das sagen Herzberger Bürger

In den sozialen Medien schlägt die Situation hohe Wellen. Zahlreiche Bilder, sowohl von der Sieber als auch dem Juessee-Wasser sowie von verendeten Fischen, und Mutmaßungen über den Grund für die schlechte Wasserqualität häufen sich. Auch wird sich über den Stand der Informationen bei den öffentlichen Einrichtungen, von Stadt bis hin zum Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) ausgetauscht. „Es ist wirklich eine sehr starke Geruchsbelästigung. Nach dem Lüften stinkt das ganze Haus danach“, schreibt eine Userin auf Facebook. „Das Problem ist doch nicht neu, so langsam müsste die HP doch mal die Probleme mit ihren Abwässern in den Griff bekommen. Bin zwar kein Fachmann, aber andere Firmen können doch auch ihre Abwässer klären. Zur Not muss die HP halt riesige Rückhaltebecken bauen“, findet ein anderer User.

Das sagt der BUND Westharz

„Seit Monaten versagt die Kläranlage der Papierfabrik und seit Monaten versuchen wir, mit Kontakten zur Firma bis hin zur Geschäftsführung, mit dem Landkreis Göttingen, dem NLWKN und auch anderen Zuständigen weitere Informationen zu bekommen. Es heißt seit Juni, man sei an der Sache dran und suche aktiv nach einer Lösung. Doch die wird offenbar nicht gefunden“, so Dr. Friedhart Knolle, Vorsitzender der Umweltschutzorganisation BUND-Regionalverbandes Westharz. „Kürzlich war die Lage noch schlimmer als sonst, so schaumig war das Sieberwasser und das abgeleitete Sieberwasser im Mühlengraben vorher nicht. Es ist kein Wunder, dass die Anwohner vor Ort ungeduldig werden, denn es herrscht daher ja auch Badeverbot im beliebten Juessee. Verschiedene Behörden sollen bereits zu einem Krisengespräch vor Ort gewesen sein und wir hören, dass auch die Zuständigen langsam die Geduld verlieren.“ So könne es nicht weitergehen. „Das Wasser im Herzberger Mühlengraben ist stark getrübt, schaumig und nach Chemie riechend. Das Badeverbot am Jues bei dieser Hitze macht es nicht besser. Man beachte den schaumigen Einlauf des Mühlengrabens in den Juessee. Die Firma hat offenbar ihre Kläranlage nicht im Griff oder die Kläranlage wird falsch bedient, denn die Jahre davor war die Lage durchaus besser. Der Unmut vor Ort ist sehr groß und zahlreiche Bürger sind bereits zur Polizei gegangen bzw. haben sich an anderen Stellen beschwert. Doch bisher gibt es keine Besserung.“

Das sagt der Bürgermeister

„Seit Tagen ist es für Bewohner und Gäste der Stadt ein Ärgernis. Die Gewässer verströmen zeitweise einen üblen Geruch, der weithin wahrzunehmen ist. Das Wasser ist stark getrübt und immer wieder bildet sich Schaum. In den letzten Tagen erreichen die Verwaltung daher auf den verschiedenen Wegen zahlreiche Anfragen von besorgten Bürgen und Vereinen, aber auch Beschwerden von Gästen“, berichtet Christopher Wagner in einem Schreiben an den Harz Kurier. Es sei bekannt, dass Beschwerden beim Landkreis Göttingen, dem NLWKN und sogar Anzeigen bei der Polizei eingegangen seien. Sogar die Feuerwehr wurde von einem Anwohner zu Hilfe gerufen. Zitat: „Jeden Morgen gehe ich am Mühlgraben vorbei zum Juessee und hoffe, dass sich etwas verändert hat.“ Gespräche über die Situation nehmen mittlerweile einen guten Teil der täglichen Arbeit ein. „Die Stadtverwaltung bedauert sehr, dass sie nach Vorgabe des Gesundheitsamts aufgrund der Blaualgenentwicklung ein Badeverbot für den Juessee verhängen musste. Eine aktuelle Untersuchung vom 8. August zeigt leider noch keine Besserung der Situation. Die Verwaltung und ein sehr engagierter Arbeitskreis arbeiten seit langem an Möglichkeiten zur Verbesserung der Wasserqualität des Juessees.“

Tatsächlich fördere die Beschaffenheit des Sees als tiefer Erdfall ohne nennenswerte eigene Zuflüsse bei entsprechender Witterung (anhaltend heiße Temperaturen ohne Niederschlag), also die chemische Situation im See, aus sich heraus das Phytoplankton-Wachstum, so Wagner weiter. Die Nährstoffkonzentrationen der Zuläufe würden allgemein keine hohe Belastung der Gewässer darstellen – durch die sehr geringe Pufferkapazität des Juessees könnten jedoch schon geringe Belastungen zu einer Verschiebung der Bedingungen führen und eine sogenannte „Eutrophierung“, das heißt eine durch Menschen bedingte Erhöhung des Nährstoffgehalts, besonders Stickstoff und Phosphor, des Sees vorantreiben.

„Übrigens haben viele andere Seen derzeit ähnliche Probleme. Eine kurzfristige Verbesserung des Zustands ist nicht möglich. Lediglich niedrige Temperaturen und Niederschläge könnten zu einer Besserung beitragen. Beides ist leider nicht in Sicht. Die Papierfabrik Smurfit Kappa Solid Board hat seit einiger Zeit Probleme mit der eigenen Abwasserreinigungsanlage und muss über die Sieber Abwasser abgeben, welches erhöhte Werte aufweist. Über dieses Wasser gelangen dann auch vermehrt Nährstoffe in den Mühlengraben und den Juessee, die das ohnehin schon vorhandene Blaualgenwachstum verstärken.“

Diese Nährstoffe seien den aktuellen Begutachtungen zufolge weder für Mensch noch Flora und Fauna gesundheitsgefährdend. Allerdings seien sie sichtbar (Schwebstoffe, braune Farbe etc.) und entfalteten unangenehme Gerüche. „Da der Mühlgraben im Moment die einzige Wasserzufuhr für den Juessee darstellt, muss die Stadt den Zulauf offenlassen um im See überhaupt noch einen Wasseraustausch gewährleisten zu können.“ Alle zuständigen Behörden seien informiert arbeiteten gemeinsam an einer Lösung.“ Doch nur das Unternehmen selbst könne die Probleme in der firmeneigenen Abwasserbehandlung beheben. Hier sei signalisiert worden, „entschlossen handeln“ zu wollen. So plane die Firma kurzfristig Anpassungen in der Produktion und mittelfristig eine bauliche Lösung. Diese soll in etwa sechs Wochen zur Verfügung stehen und dann dauerhaft für eine deutliche Verbesserung der Situation sorgen. Langfristig soll dann auch der Bedarf an Kühlwasser deutlich sinken.

Das sagt Kappa

„Wir bedauern die Entwicklung, insbesondere die Eintrübung des Mühlengrabens, die Blaualgenblüte des Juessees sowie die damit verbundene Geruchsbildung. Auch wenn insbesondere die Blaualgen nicht ursächlich auf die Einleitung gereinigter Prozesswässer der Smurfit Kappa zurück zu führen sind, wirken diese unter gewissen Umständen verstärkend“, so die Firma in einer Pressemitteilung. „Neben einigen externen Faktoren kommt aufgrund der aktuellen extremen klimatischen Bedingungen die technische Infrastruktur sowie die Abwasserreinigungsanlage an ihre Kapazitätsgrenzen.“

Trotz der bedauerlichen Eintrübung und geruchlichen Beeinträchtigung bestätigten zwei externe Gutachten eines unabhängigen Umweltlabors, dass keine Gefährdungen für Umwelt und Gesundheit vorlägen, erklärt das Unternehmen weiter. Um dem Problem entgegen zu treten, sollen spezielle Maßnahmen eingeleitet werden: „Als erste Maßnahme wurden die Produktionsmengen gedrosselt. Darüber hinaus wurden weitere kurzfristige Maßnahmen ergriffen, die zur Entlastung der Abwasserreinigungsanlage führen. Zusätzlich wurde ein Kühlturm angemietet, um die Temperatur der Sieber unter Kontrolle zu halten.“

Mit der Planung und Umsetzung einer temporären Erweiterung der Abwasserreinigungsanlage wurde bereits im Juni begonnen. Die Installation sei für Oktober 2022 geplant. Auf die Frage, wann mit einer Verbesserung der Situation zu rechnen sei, erklärt die Firma: „Unsere Prozesswässer werden über eine, ausschließlich biologisch betriebene, Abwasserbehandlungsanlage gereinigt. Das bedeutet, die Klärung der Prozesswässer erfolgt nicht unter Zuhilfenahme von Chemikalien, sondern durch lebende Mikrobiologie. Unter extremen Umweltbedingungen kommt es zu einer verringerten Aktivität der Mikroorganismen und somit zu einer verminderten Reinigungsleistung. Die getroffenen Maßnahmen wirken diesen Effekten entgegen. Um die Reinigungsleistung der Mikrobiologie wieder vollständig herzustellen, muss sich die Mikrobiologie in der Abwasserreinigungsanlage zunächst regenerieren. Dieser Prozess findet über einen längeren Zeitraum statt. Die klimatischen Bedingungen wie sie in letzter Zeit vorgelegen haben, erschweren eine Aussage darüber, wann dieser Prozess abgeschlossen sein wird.“

Das sagt der Landkreis

„Es gibt keine fortdauernde Belastung von Gewässern in Herzberg oder der Rhumequelle. Es gibt keine Gefährdung von Mensch oder Umwelt durch Giftstoffe. Spekulationen über eine drohende Umweltkatastrophe sind maßlos und irreführend. Berechtigt sind Hinweise von Bürgerinnen und Bürgern zum Zustand von Sieber und Mühlengraben sowie dem Juessee in Herzberg. Hier gab es durch Schwankungen in der Qualität des Abwassers der Herzberger Papierfabrik Anfang August eine kurzzeitige Überschreitung von Überwachungswerten der dortigen Abwasserbehandlungsanlage.“ Dies seien die Werte für den Chemischen Sauerstoffbedarf sowie den Nährstoff Phosphor gewesen. „Bestimmte Nährstoffe, wie Stickstoff und Phosphor werden im Reinigungsprozess zugesetzt, um die Arbeit der Bakterien und damit den Abbauprozess zu fördern. Durch die Störung in der Abwasserbehandlungsanlage kann dies bei Gewässern zu Eintrübungen, Algenwachstum und Sauerstoffzehrung führen. Diese Belastung führt nach Einschätzung NLWKN als Genehmigungs- und Überwachungsbehörde für die Anlage aber nicht zu langfristigen Beeinträchtigungen.

Eine Gefährdung der Rhumequelle, die unterirdisch unter anderem durch Wasser aus der Sieber gespeist wird, kann nach allen derzeit vorliegenden Erkenntnissen der unteren Wasserbehörde des Landkreises ausgeschlossen werden. Die Trinkwasserversorgung ist nicht betroffen.“ Eine negative Auswirkung der Gewässerbelastung könne ein verstärktes Algenwachstum in der Sieber, dem Mühlengraben und dem Juessee sein. „Der Nährstoffeintrag erhöht die durch Wasserknappheit und hohe Temperaturen ohnehin gegebene Möglichkeit eines spontanen Algenwachstums, die beim folgenden Algensterben und beginnender Zersetzung zu Fäulnisprozessen mit entsprechender Geruchsbelästigung führt.“ Zudem versichert der Landkreis: „Der NLWKN wird jede Überschreitung der Überwachungswerte bei der Herzberger Papierfabrik umgehend mitgeteilt. Auch Landkreis und Stadt Herzberg sind unterrichtet. Die Behörden sind informiert und aktiv. Nach der Überschreitung der Werte wurden auch vom Unternehmen Maßnahmen ergriffen.“ Nicht nur sei die Produktionsleistung verringert und die Dosiermengen der Nährstoffzugabe kontrolliert und nachjustiert worden. „Die Überwachungswerte werden aktuell eingehalten.“