Göttingen. Mit einem Jahr Verspätung feierten die Händel-Festspiele in Göttingen 2021 nun ihren 100. Geburtstag. Intendant und Nachfolger ziehen positive Bilanz.

„Unser hundertjähriger Geburtstag ist über die Bühne gegangen. Für sich genommen schon ein kleines Wunder, angesichts der weiterhin angespannten pandemischen Situation. Umso mehr freut es mich, dass unsere Erwartungen sogar noch übertroffen wurden.“ Das sagt Jochen Schäfsmeier, neuer Geschäftsführender Intendant der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen.

Die Zahlen geben ihm recht: 96,4 Prozent Auslastung für die Festspieloper „Rodelinda“ bei insgesamt fünf Aufführungen im Deutschen Theater, volle Punktzahl sogar für die sieben Kammerkonzerte in Göttingen, Duderstadt, Hannover und Hann. Münden. Insgesamt erlebten rund 4.100 Besucherinnen und Besucher die Darbietungen. Ein wohlverdientes Abschiedsgeschenk für Laurence Cummings und Tobias Wolff, das langjährige Leitungsteam der Göttinger Händel-Festspiele.

Bei aller Euphorie: Lokhalle Göttingen und die Region sollen – als obligatorische, attraktive Spielräume – noch stärker im Bewusstsein des internationalen Publikums verankert werden. Entsprechend blickt man ebenso optimistisch wie tatenhungrig auf die kommenden Festspielwochen vom 12. bis 22. Mai 2022, dann unter neuer künstlerischer Leitung.

Alle 42 Händel-Opern zum Jubiläum

Der minutenlange Applaus nebst stehender Ovationen, der am Sonntag, 19. September, um ca. 19.15 Uhr im Deutschen Theater Göttingen aufbrandete, galt nicht allein der Leistung von Ensemble und Orchester: Mit der Derniere der Festspieloper „Rodelinda“ ging auch die Ära der Führungsspitze Laurence Cummings (Künstlerische Leitung) und Tobias Wolff (Geschäftsführende Intendanz) endgültig und ganz offiziell zu Ende. Über zehn Jahre lenkten die beiden die Geschicke der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen, steuerten in den letzten Jahren gezielt auf das große, hundertjährige Jubiläum zu: Alle 42 Opern Georg Friedrich Händels sollten, in den unterschiedlichsten Formaten, im Mai 2020 über die Bühne gehen.

Dass dieses ambitionierte Programm, Corona-bedingt mit sechzehnmonatiger Verspätung und in einer sorgsam verdichteten Version überhaupt realisiert werden konnte, ist für Wolff ein Erfolg auf ganzer Linie: „Gerade ihr runder Geburtstag hat überdeutlich gezeigt, was die Händel-Festspiele in Göttingen so besonders und langlebig macht. Die feste Verankerung in der Stadt, der großartige Rückhalt durch unsere Gesellschafter, Förderer, Sponsoren und natürlich unser Publikum in Verbindung mit unserer eigenen, unerschütterlichen Überzeugung von und für Händel lässt uns am Ende sagen: Wir haben es geschafft! Allen Widrigkeiten zum Trotz.“

Sein Nachfolger Jochen Schäfsmeier ergänzt: „Allen Beteiligten gebührt Dank – vor, auf und hinter der Bühne. Schließlich haben Künstlerinnen und Künstler, Besucherinnen und Besucher gleichermaßen die teils erheblichen Einschränkungen und Vorschriften auf sich genommen. Und ohne das ausführliche Hygienekonzept der Universitätsmedizin Göttingen wären weder Proben noch Premieren möglich gewesen.“

Naturgemäß hatte die Pandemie ebenfalls Auswirkungen auf die Bestuhlung der Veranstaltungsorte und damit auf den Ticketabsatz: Knapp 4.100 belegte Plätze sind kaum vergleichbar mit dem Rekordjahr 2019 (gut 11.000 Besucher). Der Blick auf die prozentuale Platzbelegung indes relativiert diesen Vergleich sofort wieder, allen voran auf die fünf „Rodelinda“-Vorstellungen im Deutschen Theater Göttingen, die mit durchschnittlich 96,4 Prozent Auslastung bei drei ausverkauften Häusern keinen Vergleich zu den Vorjahren scheuen müssen.

Viel Lob für Ensemble und Orchester

Während die musikalische Leistung des Ensembles und des Festspiel-Orchesters Göttingen durchweg gelobt wurde, stieß die Inszenierung von Dorian Dreher (Regie) und Hsuan Huang (Bühnen- und Kostümbild), obschon die Stringenz und Schlüssigkeit des Konzeptes allenthalben (an)erkannt wurde, auf ein vergleichsweise geteiltes mediales Echo. „Das soll auch so. Es allen recht zu machen, ist keine Kunst“, federt Wolff ab. Und führt aus: „Es war eine bewusste Entscheidung, über den Regieteam-Wettbewerb jungen Theatermacherinnen und -machern eine große Bühne zu bieten. Die Göttinger Händel-Festspiele sind seit 101 Jahren bekannt dafür und erfolgreich darin, neue Impulse zu setzen. Auch dieser Tradition fühlen wir uns verpflichtet.“

Sogar noch bessere Zahlen als die Festspieloper konnten die kammermusikalischen Konzerte für sich verbuchen: Angefangen beim Auftakt mit Maurice Steger und Laurence Cummings am 25. August in Duderstadt über die beiden Stiftungskonzerte in der Aula der Universität bis hin zu „Händel goes Tango: Il pastor fido“ mit Susanna Wolff und dem Glorvigen Trio am 11. September holten sie ausnahmslos die hundert Prozent. „Ganz besonders freut mich, dass sogar vergleichsweise experimentelle und ‚junge‘ Produktionen so großen Zuspruch erfahren haben“, erklärt Wolff mit Blick auf den Film „Dancing Messiah“ und die Verbindung von Butoh-Tanz und Alter Musik in „Spirto amato“, die die Neustädter Kirche in Hannover, die Göttinger St. Jacobi-Kirche und – gleich zweifach – das Programmkino Méliès bis auf den letzten Platz füllen konnten.

Lokhalle macht „reichlich Angebote“

Ausgerechnet die Lokhalle Göttingen, die Alternative zur weiterhin im Ausbau befindlichen Stadthalle, markiert mit durchschnittlich 51,59 Prozent Auslastung eine Ausnahme in dieser erfreulichen Reihe. „Das ist ein klarer Auftrag für die Zukunft“, kommentiert Jochen Schäfsmeier. Er bedaure, dass gerade der Jubiläumsgala am 15. und 16. September nicht noch mehr Zulauf zuteil geworden wäre, zumal sich gezeigt habe, „dass sich Gesang und Orchesterklang dank einer überragenden Tontechnik eins zu eins in den Raum übertragen lassen. Die Lokhalle macht uns also reichlich Angebote. Jetzt müssen wir sie nur noch füllen. Mit passenden Formaten. Und mit Publikum“, schmunzelt der neue Intendant.

Luft nach oben sieht er noch an anderer Stelle: „Wir wollen und werden schon in 2022 wieder stärker in die Region hinein wirken. Der Bedarf ist eindeutig da; es ist an uns, ihn zu stillen. Nicht nur während der Festspielwochen. Die Festspiele sind für Göttingen und die Region eben kein entfernter Verwandter, der jedes Jahr für zehn Tage auf Stippvisite vorbei kommt. Wir müssen präsent bleiben, davor und danach, als vitaler, viraler Teil des gesellschaftlichen Lebens.“

Schäfsmeiers Vorgänger Tobias Wolff hegt keinerlei Zweifel daran, dass diese Vorhaben aufgehen: „Es ist ein gutes Gefühl, das Festival in die Hände eines so kompetenten und sympathischen Kollegen zu übergeben.“