Serienstart: Wie gehen Kulturschaffende mit der Pandemie um? Den Anfang macht Jan Reinartz vom Jungen Theater.

Wie geht es Ihnen, wie geht es dem Jungen Theater in der Pandemie?

Jan Reinartz Der erste Corona-Lockdown hat uns hart getroffen. Wir waren dann erstmal ein bisschen ratlos. Das gilt für uns, die Kollegen, ebenso wie für die Leitung. Die Leitung hat sich sehr schnell gefangen. Wir haben dann gar nicht erst mal das Übliche gemacht, wir waren nicht im Streaming, sind nicht im Internet aufgetreten, sondern die erste Aktion betraf das Erobern neuer Räume.

Was meinen Sie damit?

Das bedeutet zunächst einmal, dass wir mit unserer Musikshow von Altersheim zu Krankenhaus zu Altersheim gezogen sind. Und für die Leute, die auf dem Balkon standen oder am Fenster, einfach etwas gespielt haben. Auf unseren Stippvisiten haben wir gemerkt, dass Kunst und Kultur gebraucht und unheimlich gut angenommen werden.

Woran haben Sie das gemerkt?

Einmal standen wir mit unserem Musikprogramm vor einem Altersheim, plötzlich holten einige Bewohnerinnen und Bewohnern hinter den Fenstern Mundharmonikas hervor und spielten mit. Und von hinten kamen noch Menschen aus dem Wohngebiet dazu, die dann auch zuschauten und zuhörten und ganz begeistert waren, das so etwas stattfindet.

Welche neuen Räume konnten Sie noch erobern?

Zum Beispiel die Sparkassen-Arena in Göttingen, die hat ein Fassungsvermögen von 4.500 Plätzen, wir durften noch 400 Leute reinlassen. Das wurde hervorragend angenommen. Wir haben auch in Autokinos gespielt. Da haben wir eigens eine Radiowelle bekommen, damit die Leute uns in ihren Autos hören konnten.

Und wie lief das auf der Bühne mit den Corona-Maßnahmen?

Auf der Bühne versuchte man Abstand zu halten, hinter der Bühne wurde Maske getragen.

Das Junge Theater ist privat organisiert, wird also nicht staatlich subventioniert. Wie funktioniert das in der Krise?

Wie in anderen Betrieben auch sind wir in Kurzarbeit. Anfangs konnten wir noch eingeschränkt proben, Ende des Jahres wurden dann die Corona-Maßnahmen so streng, dass das nicht mehr möglich war. Dann haben wir gemacht was viele Theater machen: Wir haben sehr aufwendig einen Film produziert, Heines „Winterreise“, da spiele ich die Hauptrolle. Das war dann vom Aufwand aber nicht mehr abgefilmtes Theater, sondern wie ein Spielfilm. Das haben wir dann ins Netz gestellt.

Was hat sich mit dem zweiten Lockdown geändert?

Jan Reinartz ist seit 2004 am Jungen Theater.
Jan Reinartz ist seit 2004 am Jungen Theater. © Privat | Screenshot

Da sind wir sehr schnell dazu übergegangen, das Balladentelefon wieder aufzunehmen, das hatten wir im ersten Lockdown schon mal kurz probiert. Das heißt für mich konkret: Ich trete von zuhause aus auf. Ich habe mir während der Pandemie eine Tonkabine selbst gebaut, die wird dann im Arbeitszimmer installiert und dann spiele ich das Heinz Erhardt-Programm „Danke für das Geräusch!“ von meinem Schreibtisch aus.

Das klingt so, als sei Ihnen während der Lockdowns nicht langweilig geworden.

Wir hatten schon zu tun. Die Aufgabe für uns, vor allem im zweiten Lockdown, lautet: einfach fit zu bleiben, firm in den Texten zu bleiben, die wir für danach auf dem Programm haben. Außerdem bereiten wir schon ein neues Stück vor, das der Autor Peter Schanz für uns geschrieben hat. Dazu führen wir intensive Gespräche, die dann im Videochat stattfinden. So sieht unsere Arbeit gerade aus. Selbstverständlich in Kurzarbeit – mein Plan beinhaltet an drei Tagen in der Woche eine Stunde Arbeitszeit und an einem Tag vier Stunden Arbeitszeit. Es gelten sehr strenge Auflagen für die Benutzung der Übungsräume, also ist man dann viel alleine im Theater und muss nach dem Üben lüften und alles desinfizieren.

Wie ist dieser zweite Lockdown für Sie persönlich?

Es ist weit weniger schlimm, als man glaubt. Was mir wirklich fehlt, ist auftreten zu dürfen. Theater lebt davon, dass man vor dem Publikum steht. Das geht gerade nicht. Aber ich sehe ein, dass das im Moment nicht möglich ist.

Wie nehmen Sie die neuen Theaterformen, vor allem im Internet, wahr?

Im Vergleich zu einem ausverkauften Theatersaal bediene ich da nur wenige Menschen. Beim Balladentelefon sind das an einem Abend mit drei Sitzungen höchstens 15 Gäste. Der Kontakt ist also viel direkter. In einem großen Saal merke ich wohl, wie die Vorstellung aufgenommen wird, wie die Stimmung ist. Und hier sehe ich den Leuten direkt ins Gesicht. Das ist schon komisch. Das hat sich vor allem zu Anfang sehr merkwürdig angefühlt.

Gibt es auch Vorteile dieser Darstellungsform?

Man kann mit den Leuten sprechen. Manche möchten das aber nicht, die setzen sich so hin wie vor den Fernseher und wollen etwas geboten bekommen. Das sehe ich ein – das ist die alte Theaterverabredung: Der da oben soll machen und ich gucke zu. Ich weiß nicht, ob ich diese neuen Formen gut finde. Ich mag das Theater in seiner herkömmlichen Art schon auch. Aber wenn Theater in solchen Situationen überleben will, muss es andere Wege suchen. Muss sich neu erfinden. Vielleicht ist das auch eine Aufforderung.

Was nehmen Sie also mit aus dieser Zeit?

Wir haben über die neuen Räume gesprochen. Vielleicht bleibt etwas von der Stadt als neuem Raum. Dafür müssen wir dann allerdings neue Formen erfinden oder entdecken. Ich glaube nicht, dass man etwa einen großen klassischen Text an der Straßenecke aufführen kann, das muss etwas Leichteres sein wie eine Musikshow oder Sketche. Wir sind da am Experimentieren.

Sie haben gesagt, man spüre, dass die Leute Kunst und Kultur brauchen. Woran haben Sie das gemerkt?

Das ist ganz simpel: Als ich an einem Tag zum Theater kam – Vorstellungen waren schon nicht mehr möglich, Proben eingeschränkt – und an die Sandsteinwand im Theater stand mit Kreide geschrieben: „Liebes JT, wir vermissen euch“. Klar, wir leben auf einer Insel, es gibt ganz viele Menschen, die ohne Theater gut auskommen. Aber die, die es möchten und die es lieben, denen fehlt es wirklich sehr. Der Spruch steht übrigens heute noch da.