Bad Gandersheim. Redakteur Thomas Kügler begleitete die Proben zu „Jedermann“, das Hauptstück bei den 60. Gandersheimer Domfestspielen.

In Kürze beginnen die Domfestspiele. Es sind die 60. – und das gilt als ein kleines Jubiläum. Deshalb ist die Nervosität in diesem Jahr wohl etwas größer als sonst. Hauptstück ist in der Spielzeit 2018 der „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal. Das Stück ist symbolträchtig für Bad Gandersheim. Es stand auf dem Spielplan der ersten Domfestspiele und zum 50. Jubiläum vor zehn Jahren.

Redakteur Thomas Kügler begleitete die Proben zu „Jedermann“ an einem Nachmittag.

Freitag, 14.00 Uhr

Männer schleppen Tische und Bänke über die Stiftsfreiheit in Bad Gandersheim. Das Zelt ist bereits aufgebaut und die Domfestspiele stehen in den Startlöchern. Am Sonntag um 12 Uhr ist Theaterfest.

Ich bin mit Laura und Lisa Goldfarb verabredet. Die Zwillinge führen Regie im Jedermann. Bei der Aufführung des „Jedermann“ vor zehn Jahren standen sie noch selbst auf der Bühne.

Doch, doch, sie sind sich der Bedeutung des Stücks für Gandersheim bewusst, versichert Lisa Goldfarb. Trotzdem sei man einige Risiken eingegangen und habe deutliche Änderungen vorgenommen.

Musik und Tänzer hat das Programmheft schon angekündigt. Aber die Regisseurinnen haben noch die ein oder andere Szene umgestellt, einiges ist sogar entfallen. „Aber die Sprache, dieses Mittelalterliche, das haben wir gelassen“, versichert Laura Goldfarb.

Der Änderungsprozess scheint noch nicht abgeschlossen. Auf dem Regietisch liegen Textbücher und Stifte, die deutlich Spuren in den Büchern hinterlassen haben.

14.15 Uhr

Die Schauspieler und Musiker sind eingetroffen, zumindest fast alle. Klischees muss man auch erfüllen. Lisa Goldfarb bespricht mit dem Ensemble, die Änderungen, die das Regieteam in der letzten Nacht ausgearbeitet hat.

Auf dem Plan steht die Szene „Der Glauben“. Schon jetzt ist die Zeit knapp. Vier Stunden sind für die Probe angesetzt. Mehr Zeit gibt es nicht, da alle Darsteller auch in anderen Produktionen eingesetzt werden.

14.25 Uhr

Musiker und Schauspieler haben ihre Positionen eingenommen. Felicitas Heyerick und Marco Luca Castelli beginnen ihren Dialog. Sie ist die Buhlschaft, er der Jedermann, die Szene stellt den Wendepunkt dar.

Durch das weite Rund schallen die Worte vom bevorstehenden Tod und von Einsicht in einer antiquierten Sprache. Heyerick und Castelli sollen mehrere Wege über die Bühne ausprobieren.

Das Bühnenbild ist aufgebaut. Auf den ersten Blick besteht es aus acht Teilen eines Turnkastens.

14.35 Uhr

„Kommt in deiner Todesstund‘ eine andere Red‘ aus deinem Mund?“ Jedermann und seine Buhlschaft haben die Szene dreimal geprobt. Jedes Mal sind sie auf der Tribüne gelandet. Den Zuschauerraum in die Vorstellung einzubeziehen, auch das ist eine Gandersheimer Tradition. Die Eroberung der Ränge ist gewissermaßen die vierte Dimension im Theatertreiben.

Die beiden Hauptdarsteller sind so weit durch, nun kommt das Ensemble ins Spiel und die Musik. In der Zwischenzeit haben sich auch die letzten Wolken verzogen. Die Sonne strahlt, und zwar erbarmungslos.

Jennifer Traum freut sich. Das gute Wetter ermögliche viele Proben unter freiem Himmel und so sei man vor dem Plan, so die Leiterin des Künstlerischen Betriebsbüros. Auf der Bühne haben die Temperaturen die 30 Grad-Grenze längst überschritten.

14.40 Uhr

Nach einer kurzen Besprechung geht es weiter. Castelli hängt, Heyerick hilf ihm weiter. Lisa Goldfarb schaut von ganz oben auf das Arrangement von Schauspielern und Musikern und stellt noch einmal um. Dann trägt das Ensemble einen imaginären Gott auf die Bühne. Es sind wohl noch nicht alle Requisiten fertig.

Für alle heißt es Aufstellung nehmen. Der Prozessionszug zum Beichtstuhl steht auf dem Plan. Jeder Akteur der 12 brummelt etwas anderes, es klingt wie eine Mischung aus Latein, Mittelhochdeutsch und Klingonisch. Ferdinand von Seebach und sein Trio begleiten den Zug mit verhaltenen, dunklen Tönen.

Kurze Pause für eine Besprechung und einen Gedankenaustausch. Dann sind Heyerick und Castelli wieder dran. Lisa Goldfarb zeigt beiden den Weg, den sie in der nächsten Szene nehmen sollen: Vorwärts, rückwärts, zwischen den Kästen hindurch und daran vorbei. Im dritten Anlauf klappt es.

14.50 Uhr

Die Vertikaltänzer haben die Fassade der Stiftskirche erklommen. Vom Sims über dem Portal schauen sie entspannt dem Treiben zu. Patryk Durski vertreibt sich die Wartezeit mit Dehnübungen 12 Meter über der Bühne. Katarzyna Gorczyca läuft noch einmal den Kirchturm ab. Dann üben beide Sprünge. Dem Beobachter wird allein vom Zuschauen schwindelig, das Ensemble hat sich an den Anblick gewöhnt.

Die Vertikaltänzer sind die 5. Dimension beim Jedermann 2018, der soll schließlich spektakulär werden. Mit der Tanzeinlage am Turm der Stiftskirche hat sich Intendant Achim Lenz einen langgehegten Wunsch erfüllt.

15.00 Uhr

Die Glocken läuten, das Ensemble macht weiter. Auch daran gewöhnt man sich in Bad Gandersheim.

„Wo ist Gott? Wo ist Gott?“ Das Stück gewinnt an Tiefe. Buhlschaft und Jedermann streiten über Strafe, Buße und Vergebung. Das Ensemble antwortet im Chor. Die Vorlage von Hofmannsthal entpuppt sich als Diskussion über alttestamentarische und neutestamentarische Glaubensinhalte. Die Vertikaltänzer schauen aus der Höhe interessiert zu.

15.15 Uhr

Mittlerweile kommt die Sonne direkt von vorn. Die Probe wird zur Hitzeschlacht, aber es stehen noch drei Stunden auf dem Programm und bis zur Premiere sind es nur noch zwei Wochen. Ich habe genug gesehen und schleiche mich davon, während Buhlschaft und Jedermann immer noch über ihren Gott streiten.